Zum Jahreswechsel ist der ärztliche Bereitschaftsdienst eingeschränkt worden. Die Notaufnahmen stellt das vor große Herausforderungen. Wieso, erklärt der Leiter der Notaufnahme im Klinikum Mutterhaus in Trier.
SWR Aktuell: Die ärztlichen Bereitschaftsdienste haben ihr Angebot zuletzt stark eingeschränkt. Was bedeutet das für die Notaufnahmen in Trier?
Daniel Stefka: Wenn die Bereitschaftsdienstzentrale inzwischen montags, dienstags und donnerstags komplett geschlossen ist, ist das eine deutliche Verschlechterung der Versorgung von Notfallpatienten. Allerdings beobachten wir, dass zwar einige einfachere Krankheitsfälle gerade in der Nacht und in den späten Abendstunden jetzt in die Notaufnahmen kommen, die früher von der Bereitschaftsdienstzentrale behandelt worden wären.
Zumindest in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres ist aber eine Flutung der Notaufnahme mit zusätzlichen Patienten nicht eingetreten. Erfreulicherweise - wir haben Schlimmeres befürchtet. Die Patienten scheinen gut informiert zu sein oder kommen von sich aus nicht zu uns in die Notaufnahme.
Grippewelle: Mögliche Folgen für die Notaufnahmen
SWR Aktuell: Rechnen Sie damit, dass die Situation zu meistern bleibt?
Stefka: Falls wir dieses Jahr noch eine Grippewelle bekommen, womit alle rechnen, dann wird das sicherlich problematisch. Gerade jetzt die Fastnachtszeit war immer eine Zeit, in der sehr viele Patienten die Bereitschaftsdienstzentralen angelaufen haben.
SWR Aktuell: Weshalb ist eine Grippewelle ein Problem für die Notaufnahme?
Stefka: Wenn lungenerkrankte Patienten eine Grippe bekommen, sind die häufig so stark erkrankt, dass sie tatsächlich stationär aufgenommen werden müssen, etwa weil sie mit Sauerstoff versorgt werden müssen oder vielleicht sogar auf die Intensivstation müssen, wenn sie noch als Komplikation Lungenentzündung oder andere Infekte dazubekommen. Das sind häufig schwerkranke ältere oder vorerkrankte Personen.
Aber auch jüngere Patienten können richtig schwer erkranken, sodass der Kreislauf versagt, sie kollabieren und sie sich unglaublich schwach fühlen. Hinzu kommt, dass parallel zur Grippewelle viele Menschen auch eine starke Erkältung haben. Und wenn die dann einen Arzt brauchen und kein Angebot der Bereitschaftsdienstzentrale besteht, befürchten wir, dass sie vermehrt in die Notaufnahme kommen.
Nach Schließung von sieben Bereitschaftspraxen So steht es um die Notfallversorgung in Rheinland-Pfalz
Die an der Notfallversorgung beteiligten Ärztinnen, Ärzte und Krankenhäuser sehen dringenden Handlungsbedarf - und appellieren an die Politik.
SWR Aktuell: Werden die Notaufnahmen oft von Patienten aufgesucht, die gar kein Notfall sind?
Stefka: Für die Stadt Trier und vor allen Dingen für unsere Notaufnahme kann ich sagen, dass der Tenor, die Notaufnahmen würden von Bagatellen verstopft, nicht stimmt. Jeder zweite bis dritte Patient, den wir in der Notaufnahme behandeln ist so krank ist, dass wir ihn am Ende stationär aufnehmen. Jeder zehnte bis zwanzigste Patient ist sogar so krank, dass wir ihn auf der Intensiv- oder Überwachungsstation aufnehmen.
Und wir haben jeden Tag etliche Patienten, die notfallmäßig operiert werden müssen, einen Herzkatheter brauchen, eine Magenspiegelung oder Ähnliches. Wir behandeln also sehr viele Patienten, die wirklich akut und schwer krank sind. Bei kleineren Notaufnahmen auf dem Land, wo die hausärztliche Versorgung viel schlechter ist als in der Stadt, mag das anders aussehen.
Patientenzahl in Notaufnahme hat sich verdoppelt
SWR Aktuell: Wie hat sich das Aufkommen in den Notaufnahmen denn generell entwickelt?
Stefka: Insgesamt sind in den vergangenen zehn Jahren die Fallzahlen in den Notaufnahmen weltweit sehr stark gestiegen, vor allen Dingen in der westlichen Welt haben sie sich verdoppelt. Vor allem, weil die Bevölkerung immer älter und auch kränker wird.
Dazu kommt: Viele Notaufnahmen sind aber schon vor zehn, zwanzig Jahren gebaut worden. Fast alle sind baulich eigentlich zu klein. Wer schon mal in einer Notaufnahme war, kennt das: Das sieht dann aus, also ob sie aus allen Nähten platzen.
SWR Aktuell: Je älter die Menschen werden, desto größer das Problem?
Stefka: Die Medizin ist besser geworden, und viele Krankheiten sind behandelbar oder heilbar geworden. Die Menschen werden also - zum Glück - älter, oft aber eben mit ihren Krankheiten. Und sie kommen häufiger ins Krankenhaus, weil sie Komplikationen haben, wegen denen sie stationär aufgenommen werden müssen.
Beispielsweise schwer herzkranke Patienten, die viele Medikamente nehmen müssen. Durch die kann unter bestimmten Bedingungen die Niere schlechter arbeiten oder geschädigt werden. Die krasseste Folge kann dann ein Nierenversagen sein. Oder wenn das Herzmedikament nicht so gut eingestellt ist und der Körper voller Wasser ist und der Patient keine Luft bekommt. Solche Leute sollten auch grundsätzlich in die Notaufnahme gehen.
Triage schon beim Notruf
SWR Aktuell: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will bei Menschen, die den Notruf wählen, noch am Telefon entscheiden lassen, ob sie überhaupt in die Notaufnahme müssen. Mit der Notfallreform will er auch die Notaufnahmen entlasten. Wird Ihnen das helfen?
Stefka: Mir geht die Diskussion teilweise zu sehr in die Richtung, dass man Patienten davon abbringen möchte, in die Notaufnahmen zu gehen. Nach unserer Erfahrung sind es gerade die schwerkranken Patienten - da rede ich von Patienten, die fünf oder zehn Medikamente am Tag nehmen, die etliche Vorerkrankungen haben - das sind dann oft die "Netten", die zu Hause bleiben, wenn es ihnen schlecht geht. Da sehen wir immer wieder Fälle, in denen Patienten besser früher zu uns in die Notaufnahme gekommen wären oder zu einem anderen Arzt.
Also: Patienten, die glauben, dass sie eine akute schwere Erkrankung oder Verletzung haben und es für möglich halten, dass sie deswegen akut im Krankenhaus aufgenommen werden müssen, die kommen auf jeden Fall in eine Notaufnahme. Dafür sind Notaufnahmen da. Rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.
SWR Aktuell: Was sollen die einfacher erkrankten Menschen machen?
Stefka: Die kann man anderweitig versorgen, wie es bisher in den ärztlichen Bereitschaftsdienstzentralen funktioniert hat. Bei Rückenschmerzen, einer starken Erkältung mit Husten oder starken Kopfschmerzen zum Beispiel. Oder wenn man eine Krankmeldung braucht für den Arbeitgeber. Für diese Dinge brauchen wir keine Notaufnahme. Und wer von vornherein weiß, dass er vielleicht nur keinen Termin beim Hausarzt oder Facharzt bekommt, sollte sich auch nicht in der Notaufnahme vorstellen. Solche Menschen erleben wir hier zwar jeden Tag, aber das ist die Minderheit.
Da gibt es die 116 117, um sich beispielsweise einen Facharzttermin organisieren zu lassen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass ein Notfallarzt zu Hause vorbeikommt, wenn Sie akute Beschwerden haben – das ist zuletzt auch verbessert worden.
SWR Aktuell: Die Wartezeiten in der Notaufnahme können heftig sein. Woran liegt das?
Stefka: Seit 2018 sind alle Notaufnahmen in Deutschland verpflichtet, die Patienten zu registrieren und systematisch zu erfassen, wie schwer die Erkrankung ist und wie dringend die Behandlung. Durch diese sogenannte Triage ist mehr Struktur und Systematik in die Versorgung von akuten und Notfallpatienten gekommen. Darüber entscheidet sich auch, wie schnell Sie in der Notaufnahme selber behandelt werden oder ob Sie warten müssen, bis kein Patient mehr an der Reihe ist, der schwerer erkrankt ist als Sie.
Manchmal rufen Patienten vorher bei uns an und möchten wissen, ob gerade wenig los ist, ob sie dann schnell drankommen. Das ist erfahrungsgemäß sehr schlecht vorhersehbar und kann sich von einer Minute auf die andere ändern. Wenn dann ein oder zwei schwerstkrankte Patienten reinkommen, sind alle Pläne über den Haufen geworfen und das gesamte Team versorgt dann erst mal diese Patienten. Alle anderen müssen dann warten.
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Personalsituation entwickelt sich kritisch
SWR Aktuell: Dass immer mehr Ärzte in den Ruhestand gehen, geht auch an einem Krankenhaus nicht spurlos vorbei. Finden sich für die Notaufnahmen überhaupt noch genügend Mediziner?
Stefka: Der zunehmende Arbeits- und Fachkräftemangel geht auch an den Krankenhäusern nicht vorbei und wird in den nächsten Jahren sicherlich noch zunehmen. Immer mehr kleine Krankenhäuser in der Peripherie werden geschlossen, und viele Praxen werden schließen, weil viele Ärzte in den Ruhestand gehen werden - jeder vierte Arzt in Rheinland-Pfalz ist über 60 Jahre alt.
Wenn die Versorgungsmöglichkeiten für Patienten insgesamt weniger werden, ist das für die Notaufnahmen eine negative Entwicklung. Für das Klinikum Mutterhaus in Trier kann ich sagen, dass wir relativ gut mit Personal ausgestattet sind. Es gibt natürlich Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden, und es gehen regelmäßig viele Mitarbeiter mit langjähriger Erfahrung in den Ruhestand.
Aber Stand heute bekommen wir die Lücken noch geschlossen. Auch, weil wir sehr viele Immigranten aus dem Ausland haben, die als Ärzte nach Deutschland kommen und hier arbeiten. Inzwischen stammt fast jeder zweite Arzt im Krankenhaus aus dem Ausland. Das sind Geflüchtete, aber auch viele aus der Europäischen Union, Slowaken, Kroaten, Tschechen, hin und wieder kommt mal jemand aus Finnland oder Schweden, Italiener, Franzosen, viele Luxemburger. Aber auch Serben, Ukrainer, Moldawier, Georgier. Auch viele Syrer, Ägypter, Libyer. Also von überall her.
Deutschland ist ein sehr attraktives Land, und das Gesundheitswesen scheint ein sehr attraktiver Arbeitgeber zu sein. Und ohne die wäre, glaube ich, kein Krankenhaus in Deutschland mehr arbeitsfähig. Im Moment gibt es eher Schwierigkeiten, Pflegepersonal zu rekrutieren.
SWR Aktuell: Verschärft die Nähe zu Luxemburg die Personalsituation noch? Verlieren Sie Ärzte und Pflegekräfte dorthin?
Stefka: Eher im Gegenteil. Wir bilden viele luxemburgische Assistenzärzte aus, die sehr gute Arbeit hier machen. Wir befürchten allerdings schon seit längerem, dass die irgendwann in Luxemburg ausgebildet werden könnten. Dann würde uns ein sehr großer Anteil an ausländischen Ärzten wegbrechen.
Wenn alle Luxemburger Ärzte, die im Mutterhaus arbeiten, morgen nicht mehr hier arbeiten, dann hätten wir ein Problem. Beim Pflegepersonal ist es auch nicht so, dass wir viele nach Luxemburg verlieren. Es sind mir allerdings auch keine Pflegekräfte bekannt, die als Luxemburger nach Trier zum Arbeiten kommen.
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