Rund 120 Häuser sind bei der Juli-Flut 2021 im Eifelort Irrel beschädigt oder zerstört worden. Fast alle konnten wieder saniert oder neu aufgebaut werden, wenn auch anders als zuvor. Und dennoch gibt es in Irrel noch einiges zu tun.
Gerlinde Schlich steht vor dem Rohbau ihres Hauses. Und das ist etwas ganz Besonderes. Denn das Haus steht nicht klassisch auf dem Boden, sondern auf zahlreichen Betonstelzen. Aus dem Inneren des Hauses ist ein Klopfen zu hören, Bauarbeiter laufen mit Werkzeug durch die Gegend, überall liegen Steine, Stahl und andere Baumaterialien.
Nach der Flut: Hoffnung auf ein neues Zuhause
Auch wenn hier alles nach Baustelle aussieht – Gerlinde Schlich hat ein großes Lächeln im Gesicht. Denn der Rohbau wird bald ihr neues Zuhause sein. "Das ist ein super Gefühl, das ist wirklich das Schönste überhaupt. Wir haben so lange gewartet und es hat sich alles so rausgezögert. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder ins eigene Haus zu gehen."
Tagelange Regenfälle lösen Katastrophe aus
Dass sie jemals ein neues Haus braucht, hätte sie vor zwei Jahren noch nicht gedacht. Doch dann kam die Flut und das Leben von Gerlinde Schlich und ihrem Mann sollte sich schlagartig ändern. Es war der 14. Juli 2021.
Bereits Tage vorher habe es fast ununterbrochen geregnet, erinnert sich die Irrelerin. "Das war halt eine wahnsinnige Wetterlage. Wir hatten Tage vorher Regen ohne Ende, und es wurde schon bedrohlich."
Auf Hochwasser vorbereitet
Hochwasser kannte die Familie bereits. Denn auch in der Vergangenheit war nach starken Regenfällen bereits hin und wieder Wasser im Keller. Die Schlichs bereiteten sich also vor, füllten Sandsäcke, stellten Stahlwände auf. Doch mit dem, was kommen sollte, hat auch in Irrel niemand gerechnet.
In der Nacht, so erinnert sich Gerlinde Schlich, stand die Feuerwehr vor der Tür. Sofort mussten sie und ihre Familie das Haus verlassen. Mit nichts als Angst im Gepäck verbrachten sie - wie viele andere Irreler auch – die Nacht in der Notunterkunft.
Wasser hinterließ Chaos und Zerstörung
Das Ausmaß der Katastrophe zeigte sich bei Tageslicht. Die Prüm war gnadenlos, hatte die ganze Ewerhartstraße geflutet, erinnert sich Gerlinde Schlich. Das Wasser stand immer noch so hoch, dass die Familie erst gegen Abend ins Haus gehen konnte.
"Das war ein Wahnsinn. Da waren immer noch diese Wassermassen voller Fäkalien und Öl, die gestunken haben, ganz viele Sachen, die weg geschwommen sind, kein Möbelstück stand mehr da, wo es war. Es war alles voller Schlamm und Schmutz. Es war alles zerstört", sagt Gerlinde Schlich.
Wenn das Zuhause nicht gerettet werden kann
Fassungslos stand Familie Schlich vor den Trümmern ihres Eigenheims. Mehr als zehn Jahre hatten sie dort verbracht. Während der Aufräumarbeiten hatten sie noch Hoffnung, dass ihr Zuhause gerettet werden kann, sagt Gerlinde Schlich. Doch Wochen später stand fest: Das Haus muss abgerissen werden.
"Das war ganz schlimm, weil man schon so viel Herzblut und auch alles Mögliche in dieses Haus investiert hatte und man immer von Tag zu Tag dachte: ach, das wird schon , das bekommen wir wieder hin."
Den Abriss ihres Hauses hat Gerlinde Schlich mit Fotos dokumentiert. Es sind Momente, die sie nie vergessen kann: "Das fängt von oben an und zum Schluss ist alles, was man aufgebaut und fürs Leben investiert hat, weg. Da stehen sie schon mit Tränen vor diesem Nichts."
Ein neues Haus an gleicher Stelle
Doch die Entscheidung, genau an dieser Stelle wieder neu zu bauen, kam schnell, sagt Gerlinde Schlich. Das Ehepaar sammelte Ideen bei verschiedenen Architekten und entschied sich letztendlich für die Variante auf Stelzen. "Wir wussten, dass wir es nicht wieder so machen können wie vorher, denn dann wären wir ja nie mehr frei oder glücklich, weil wir immer mit diesem Hochwasser rechnen müssen."
Nun kann das Wasser, wenn es kommen sollte, einfach durch die untere Etage durchfließen. Die ist nämlich komplett offen, sodass man von vorne bis hinten durchlaufen kann. Es ist genügend Platz, um ein Auto zu parken oder auch überdacht eine Feier abzuhalten.
Weniger Quadratmeter dafür mehr Sicherheit
Ein Fahrstuhl bringt die Schlichs in den Wohnbereich in der ersten Etage. Zwar hätten sie nun weniger Quadratmeter Wohnfläche als vorher, aber immerhin ist alles ebenerdig. Und darauf, dort alles einzurichten, freut sich Gerlinde Schlich riesig. Bereits im Oktober - so hofft sie – soll es endlich so weit sein.
Ein Hauch von Normalität
Ein paar hundert Meter weiter hat Philipp Leisen sein Elektro- und Metallwarengeschäft. Er steht zwischen Bohrmaschinen, Schaufeln und Schrauben. Die Regale in seinem Laden sind wieder gut gefüllt. Kaum etwas erinnert auch hier an die Flut.
Nur wer genau hinschaut, entdeckt vereinzelt an der Decke Wasserflecken. Der ganze Laden stand damals unter Wasser. "Es sah sehr schlimm aus. Wir hatten das Wasser teilweise bis ins zweite Geschoss stehen. Die Zerstörung war schon enorm."
Zwei anstrengende Jahre
Seine Waren, so erzählt er, sind damals entweder durchs Schaufenster weggeschwommen oder blieben völlig zerstört im Laden zurück. Alles wieder so herzurichten, wie es sein soll, habe den 39-Jährigen viel Kraft gekostet. Anfangs habe er seine Waren in Zelten vor der Tür angeboten, nach etwa fünf Monaten konnte er wieder in sein Geschäft zurück.
Seitdem arbeitet er jeden Tag an unterschiedlichen Stellen daran, die durch die Flut angerichteten Schäden zu beseitigen, sagt er. Auch wenn er schon viel geschafft hat – fertig ist der Irreler noch lange nicht.
"Es müsste noch an vielen Stellen gestrichen werden, auch der Boden müsste eigentlich komplett neu gemacht werden, im laufenden Betrieb ist das aber gar nicht möglich. Da müssen wir uns noch was einfallen lassen."
Keine Versicherung - Finanzierung aus eigenen Mitteln
Parallel zu seinem Laden musste Philipp Leisen auch den Wohnbereich im gegenüberliegenden Gebäude komplett renovieren. Stemmen musste er das alles ohne die Hilfe einer Versicherung. Größtenteils habe er die Schäden aus Rücklagen, ein paar Spenden und Fördermitteln der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) bezahlt. Einen Überblick über die endgültigen Kosten habe er noch nicht, er gehe aber bereits jetzt von einem mittleren sechsstelligen Betrag aus.
Noch einiges an Arbeit
Auch wenn noch viel zu tun ist: Auf das, was er bisher geschafft hat, ist er stolz:"Ich bin froh, dass im Geschäft jetzt einigermaßen wieder alles rundläuft. Da würde ich das alles gerne so haben, dass ich noch zufrieden bin. Es gibt noch einiges zu tun, man muss sich nur darüber klar sein, dass man nicht alles gleichzeitig machen kann", sagt er
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Wenn es noch einmal so regnen würde wie vor zwei Jahren. Was würde dann passieren? Kämen wir dieses Mal glimpflicher davon? Wären wir besser vorbereitet?
Die Angst bleibt
Mehrere Jahre, so vermutet Philipp Leisen, wird es noch dauern, bis alle Schäden, die die Flut angerichtet hat, behoben sind. Doch die enormen Wassermassen, die im Juli 2021 durch Irrel zogen, haben nicht nur Spuren in Geschäft und Haus hinterlassen.
Auch er selbst ist sich sicher, dass er dieses Ereignis nur schwer vergessen kann. "Sobald es heftig regnet, und das ist ja komischerweise oft nachts, mache ich kein Auge mehr zu. Dann liegt man im Bett und mit Schlafen ist nichts mehr. Es ist schon belastend", sagt der Unternehmer.
Keine Angst vor dem Fluss
Auch Gerlinde Schlich in der Ewerhartstraße gibt zu, dass auch bei ihr die Angst bei einem ähnlichen Ereignis wie der Juli-Flut 2021 groß wäre. Doch für sie ist das kein Grund, bei jedem Gewitter zusammenzuzucken, sagt sie. In der fußläufig erreichbaren Prüm sieht sie trotz alledem, was passiert ist, immer noch etwas Schönes.
"Ich schaue den Fluss nicht wirklich mit anderen Augen an. Ich schaue eher alles, was außen rum ist, mit anderen Augen an. Ich bin zum Beispiel aufmerksam, wenn es lange trocken ist und es dann einen Regen gibt, bei dem das Wasser nicht sofort einziehen kann. Aber den Fluss mag ich sehr gerne", sagt Gerlinde Schlich.
Hochwasserschutzkonzept wird umgesetzt
Damit die Prüm bei einem Hochwasser wie vor zwei Jahren nicht wieder solche enormen Schäden anrichten kann, ist die Gemeinde Irrel derzeit dabei, ihr Hochwasserschutzkonzept umzusetzen. So soll unter anderem das Flussbett etwa 15 Meter verbreitert werden.
Außerdem ist geplant, ein bisher asphaltiertes Gelände am Fluss zu renaturieren und später als Freizeitfläche zu nutzen. All das soll dazu beitragen, dass das Wasser beispielsweise bei Starkregen besser abfließen kann, sagt Irrels Bürgermeister Herbert Theis.
Mit gutem Gefühl in die Zukunft
Gerlinde Schlich, die auf dem Gelände ihres zukünftigen Gartens derzeit noch auf hügeligen Erdhaufen steht blickt unterdessen positiv in die Zukunft. "Ich freue mich riesig, wenn unser Haus fertig ist und wir alle wieder hier in dieser Straße wohnen können. Die Angst wird immer bleiben. Aber erstmal bin ich sehr zuversichtlich."
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