Sie haben ihr erstes Date am Tag der Flut 2021. Jetzt bauen sich Nadine aus Altenahr und Mark aus Kerschenbach ein neues Leben mit Unternehmen in der Vulkaneifel auf.
Alles begann mit einem schwachen Moment, erzählt Nadine Böhm am Küchentisch ihres Partners Mark Herzog in Kerschenbach in der Vulkaneifel: "Da saß ich abends auf dem Sofa und hab mir gedacht, ich melde mich einfach mal bei dieser Dating-App an."
Nadine hatte sich ein halbes Jahr zuvor von ihrem Mann getrennt, ist mit der damals zehnjährigen Tochter und dem sechsjährigen Sohn seit drei Monaten allein in der neuen Wohnung und will auf der App ein bisschen flirten und sich ein paar Komplimente abholen. Dann steht aber auch bald das erste Date an. Mit Mark. Am 14. Juli 2021. In Bad Münstereifel.
Erstes Date: Regen und Aufregung
"Ich war mega aufgeregt, weil ich so etwas in der Form noch nie gemacht hatte. Dass es da schon geregnet hat, hat mich überhaupt nicht gestört. Dann kam er um die Ecke und ich war noch aufgeregter. Und dachte nur: Oah." Auch Mark ist aufgeregt. Dieses erste Date läuft gut.
Damals wissen sie noch nicht, was durch die Flut noch an dem Tag und in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren auf sie zukommen wird. Aber die beiden sind sich sicher, dass sie sich auch ohne die Ausnahmesituation der Katastrophe verliebt hätten: "Es hätte nur alles länger gedauert und wäre anders gewesen", sagt Mark.
Dass sie heute zusammen am Küchentisch sitzen können, ist am Abend des 14. Juli und in der folgenden Nacht noch nicht absehbar. Denn Nadine kommt aus Altenburg, einem Ortsteil des besonders von der Flut betroffenen Altenahr.
Plötzlich geht alles ganz schnell
Nachmittags holt sie ihre beiden Kinder ab, da steht das Wasser schon auf der Straße. "Da dachte ich: Mensch, das regnet aber ordentlich." Weil in ihrem Wohnhaus 2016 schon das Wasser im Keller stand, beobachtet sie die Pegelstände und räumt Dinge aus dem Keller.
"Dann ging alles ganz schnell. Ich habe dann sogar Mark irgendwann geschrieben, dass mir das langsam Angst macht. Da sagte er noch: Mach dir keine Sorgen, zur Not rette ich dich mit einem Paddelbötchen." Aber er kommt natürlich nicht mit dem Boot. Nadine bringt ihre Kinder zu ihrem Ex-Mann ins Haus auf der anderen Seite der Straße.
Sie selbst geht kurz in ihre Wohnung, um den Kindern trockene Kleidung zu holen. Zurück kommt sie nicht mehr. Stattdessen muss Nadine sich bald mit ihrer Vermieterin auf den Dachboden retten. Denn das Wasser steht schon in ihrer Wohnung im ersten Stock.
Detektivische Suche nach Nadine
Der Kontakt zu Mark bricht ab, als am frühen Abend das Mobilfunknetz den Geist aufgibt. Mark ist zu dem Zeitpunkt zu Hause in Kerschenbach. "Dann ging auch hier irgendwann der Strom weg. Es war einfach keine Verbindung mehr zu Nadine da und da hab ich mir schon extrem Sorgen gemacht."
Und: Zu dem Zeitpunkt weiß Mark nicht einmal genau, wo Nadine wohnt. Die Nacht schläft er schlecht: "Ich wusste ja überhaupt nicht: Lebt sie noch? Lebt sie nicht? Was ist da passiert?" Am nächsten Tag schaut er sich die Fotos an, die er von Nadine hat und auf denen im Hintergrund ihre Wohnung zu sehen ist.
"Ich habe dann viele Stunden damit verbracht, über Karten im Internet zu recherchieren, wo sie wohnt." Tatsächlich findet Mark das heraus. Trotzdem weiß er nicht, wie es Nadine geht. Die Erleichterung kommt um die Mittagszeit: Nadine ruft Mark an. Es geht ihr gut. "Ich hab etwas in die Richtung gesagt: Ich hab nix mehr. Aber ich lebe noch."
Nadine hat mehr als 13 Stunden auf dem Dach ausgeharrt. Wusste zunächst nicht, ob ihre Kinder im Haus gegenüber überlebt haben: "Der schlimmste Moment war, als dort die ganze Giebelwand weggebrochen ist. Da hab ich gedacht, die Kinder und mein Ex-Mann wären noch drin. Ich habe gedacht: Du hast nicht nur dein ganzes Hab und Gut verloren, sondern auch deine Kinder."
Irgendwann in der Nacht, sagt Nadine, hat sie angefangen, sich vom Leben zu verabschieden. Aber ihre Vermieterin neben ihr sieht, wie Nadines Kinder ihr vom Dach gegenüber zuwinken. Die Kinder werden am nächsten Morgen gerettet, Nadine watet selbst zusammen mit anderen Nachbarn durch das sinkende Wasser der Ahr.
Näherkommen bei den Aufräumarbeiten
Als zwei Tage nach der Flut das Ausmaß der Katastrophe klar ist, ist auch etwas Weiteres klar: Mark möchte zu Nadine fahren und helfen. "Das war schon komisch, weil ja auch ihr Exmann da war. Ich kannte ja auch ihre ganzen Freunde nicht. Man hat auch die Trauer bei allen gemerkt."
Aber Nadine wiederzusehen: "Das war auch einfach total schön. Wie im Film. Das war so ein Happy-End-Gefühl", erinnert sich Mark. Neben den Aufräumarbeiten gehen die beiden lange spazieren. Da ist es eigentlich schon entschieden, sagt der 39-Jährige: "Wir haben dann gesagt: Du willst es. Ich will es. Dann sind wir jetzt halt zusammen."
Über das gemeinsame Aufräumen lernen die beiden sich besser kennen. Klassisch romantisch ist das nicht, sagt Nadine: "Das war nicht das Schöne. Das war im Schlamm stecken. Ungeschminkt. Dreck in den Haaren. Es war das ungefilterte, echte Kennenlernen."
Neuanfang in der Vulkaneifel
Nadine kommt zunächst bei Freunden unter. Zwei Wochen nach der Flut setzt sie sich mit ihren Kindern zusammen und fragt sie, ob sie in Altenburg bleiben wollen: "Und sie sagten beide gleichzeitig: Wir möchten da nicht mehr wohnen. Das finde ich gut. Ein Teil meines Herzens ist immer dort. Aber nach dem, was in Altenburg passiert ist, könnte ich da nicht mehr leben."
Aber wohin sollen Nadine und die Kinder? Auch da kommt Mark ins Spiel: Drei Monate nach der Flut sucht er für eine der Wohnungen, die er in der Vulkaneifel besitzt, einen Nachmieter. "Und dann habe ich nur aus Spaß gesagt: Ich kenne ja auch eine alleinerziehende Mama, die mit ihren zwei Kindern eine Wohnung sucht", erinnert sich die 35-Jährige.
Aus dieser fixen Idee sei es dann gekommen, dass sie mit ihren Kindern im Januar 2022 nach Jünkerath gezogen ist. Sie findet schnell einen Job und Schulen für die Kinder. "Das hat sich alles irgendwie gefügt", sagt Nadine. Ein großer Schritt für alle. Und bald reifen weitere Ideen: Die Wohnung unter Nadine, die auch Mark gehört, wird plötzlich frei.
Mark hat keine Lust auf eine weitere Vermietung. Und Nadine ist gelernte Hotelfachfrau. "Mit Herz und Seele", sagt Mark dazu. Sie hatte schon immer den Traum einer eigenen kleinen Pension. Also gestalten sie die Wohnung kurzerhand zur Ferienwohnung um. Es gibt zwar Hürden, aber sie stemmen das aus eigener Tasche.
Zweifel und Blockadehaltung der Kinder
Zusammen in der Eifel neu starten und dann auch noch ein kleines Unternehmen zu betreiben und das nicht mal ein Jahr nach der Flut - kommen da nicht manchmal Zweifel auf, ob das alles nicht zu überstürzt war, weil sich alle in einer Ausnahmesituation befanden?
"Bei mir ja", sagt Nadine. "Nach anderthalb Jahren habe ich gemerkt, dass ich das alles doch nicht so gut wegstecke und mir Hilfe suchen muss. Im Zuge dessen hab ich mir dann doch öfter gedacht: War das hier die richtige Entscheidung?" Denn im Gegensatz zu Mark hat Nadine alles aufgeben und bei Null anfangen müssen.
Vor allem für ihre heute zwölfjährige Tochter und ihren achtjährigen Sohn ist das alles schwierig, sagt sie: "Am Anfang haben sie total abgeblockt. Mein Sohn hat sich dann schnell damit angefreundet. Meine Tochter war eher 'anti' drauf." Das erste Abendessen gemeinsam mit Mark ist eine Katastrophe für alle, erzählen die beiden.
Zunächst habe es auch Zoff mit Marks heute sechsjährigem Sohn gegeben. Aber seit dem ersten gemeinsamen Urlaub würden die drei sich als Geschwister sehen. Die Patchworkfamilie hat sich zusammen gefunden. Denn auch Nadine und Mark sind in der gemeinsamen Arbeit aufeinander abgestimmt. Ihre Leidenschaft für die Hotellerie und sein Faible für Büro- und Hausmeisterarbeiten als Versicherungsfachmann fügen sich im Betrieb der Ferienwohnung perfekt zusammen.
Gemeinsame Pläne für die Zukunft
Wenn man Nadine und Mark - die sich vor nicht einmal zwei Jahren zum ersten Mal getroffen haben - nach ihren Zukunftsplänen fragt, sprechen sie direkt von den nächsten zehn Jahren: Marks Nachbarhaus wollen sie zur Pension umgestalten. Auf das Grundstück dahinter kommen zwei Ferienwohnungen.
Die leer stehende Garage soll zu einer Luxus-Ferienwohnung umgebaut werden. "Wir sind uns da sehr ähnlich: Wir reden dann ganz euphorisch darüber, was wir noch alles machen könnten", sagt Nadine. Und natürlich soll sie mit den Kindern auch bald zu Mark ins Haus nach Kerschenbach ziehen.
Nur auf eins werden sie für die gemeinsame Zukunft wahrscheinlich nicht setzen können: auf viel Sonnenschein. "Seit unserem ersten Date hat uns der Regen begleitet. Immer, wenn wir unterwegs sind, egal, wo wir hinfahren - irgendwie regnet es immer", bemerkt Mark.
"Wie im Cartoon hängt so eine Wolke immer über uns", lacht Nadine. Und Mark ergänzt: "Wir haben schon mal überlegt, nach Afrika zu gehen, wo Regen gebraucht wird." Der Regen gehört mittlerweile also zu den beiden. Aber er ist jetzt etwas Positives für sie.