Die 32-jährige Julia (Name geändert) war für rund 18 Jahre Sexarbeiterin. Im SWR-Interview spricht sie über ihre Geschichte und ihren schweren Weg raus aus der Prostitution.
SWR Aktuell: Wie hat es mit der Prostitution angefangen?
Julia: Ich habe eine sehr, sehr schwierige Vergangenheit. Ich galt früher als Systemsprenger. Ich habe mit zwölf Jahren erfahren, dass ich nicht das leibliche Kind meiner Familie bin. Danach bin abgehauen und hatte dann eine Vergewaltigung von einem geistig und körperlich behinderten Mann. Den haben meine Eltern dann auch nicht angezeigt, da sie stark christlich sind und gesagt haben, der kann ja nichts dafür, du bist schuld.
Das hat mein Bild zu meinem Körper und das Vertrauen zu meinen Eltern so stark geschädigt, dass ich dann irgendwann durch Zufall an Drogen gekommen bin. Da haben dann die Gedanken, die Flashbacks und die Panikattacken aufgehört. Bei der erneuten Suche nach Drogen hat mich dann ein alter Mann Ende 50 angesprochen, ob ich ihm nicht mal mit meiner Hand helfen könnte.
SWR Aktuell: Wie hat sich die Prostitution für dich angefühlt?
Julia: Ich war viele, viele Jahre in einer Prostitution tätig und auch eigentlich eine Zeit lang davon überzeugt, dass ich es freiwillig mache. Es ist ja mein Körper. Ich nehme Geld dafür. Ich biete eine Dienstleistung an. Das heißt, ich profitiere ja genauso davon und wenn es zu viel ist, kann ich auch nein sagen. Mir ist erst Jahre später bewusst geworden, dass nicht ich versuche Macht über den Mann zu haben, sondern dass der Mann Macht über mich hat.
Und, dass der Preis, den ich dafür zahlen musste viel höher ist, als das Geld, was ich eingenommen habe. Ich habe meine Seele immer wieder ein Stück mehr verkauft, bis ich dann irgendwann gefühlt nichts mehr hatte und keine Kraft mehr, irgendwie morgens aufzustehen, überhaupt irgendetwas zu machen. Ich dachte, ich kriege mein Leben nie wieder zurück.
Ausstieg aus der Prostitution im Dezember 2022
SWR Aktuell: Wie hast du es dann geschafft, auszusteigen?
Julia: Ich habe gehört, dass es ein Ausstiegsprojekt gibt und habe mich darüber schlau gemacht, wie hoch denn die Chancen sind, dass man es schafft auszusteigen. Die Chancen sind verschwindend gering, dass eine Frau das beim ersten Mal schafft. Und ich habe gedacht, ich bin an dem Punkt, dass ich nicht mehr kann, ich versuche es jetzt einfach. Seit Dezember letzten Jahres bin ich draußen.
SWR Aktuell: Warum ist es so schwer da rauszukommen?
Julia: Man gewöhnt sich daran. Im Moment bin ich arbeitslos und beziehe Bürgergeld. Für mich ist es im Moment sauschwer, mit so wenig Geld klarzukommen. Ich habe jetzt acht Monate lang im Schutzhaus gelebt und habe jetzt seit einem Monat eine eigene Wohnung und habe noch so viele Neuanschaffungen. Irgendwann muss ich halt dann wirklich aufpassen. Okay, das kann ich jetzt nicht mehr kaufen, das auch nicht. Dann muss ich jeden Cent umdrehen und in genau solchen Momenten kommen die Gedanken immer wieder, dass ich zurück gehen soll. Solche Gedanken sind glaube ich normal.
Die Fragen stellte SWR-Aktuell-Reporterin Marion Mühlenkamp.
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