Ehrenamtliche der Enkenbacher Tafel wollen Geflüchteten ein neues Zuhause geben. Die Vorsitzende Brigitte Schulz erzählt im Interview, wie sie sich für eine bessere Willkommenskultur einsetzen.
Bei der Tafel in Enkenbach im Kreis Kaiserslautern arbeiten Allrounder. Die rund 35 Mitarbeitenden vergeben Lebensmittel an Bedürftige, unterrichten Deutsch und bieten Wanderführungen durch den Pfälzerwald an. Mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen wollen sie so das Gemeinschaftsgefühl aller im Ort stärken.
SWR Aktuell: Frau Schulz, Sie wollen als Tafel-Team ein "home away from home" sein. Wie machen sie das?
Schulz: Zum Beispiel nach Beginn des Ukrainekrieges kamen plötzlich dutzende Frauen und Kinder hier an und die hatten natürlich keine Möglichkeit, sich zu treffen, weil die alle in kleinen Wohnungen wohnen. Dann haben wir ein Begegnungscafé eröffnet. Jeden Donnerstagnachmittag für zwei Stunden. So wollten wir einerseits ein soziales Umfeld schaffen, andererseits auch mit den furchtbar vielen Formularen helfen. Heißt, sie auszufüllen für das Jobcenter oder die Ausländerbehörde.
Ich bin promovierte Politologin und ich muss ehrlich sagen, dass ich manchmal selbst nicht weiß, was das mit den Formularen eigentlich alles soll. Außerdem haben wir vier pensionierte Lehrer und Lehrerinnen, die gehen auch nach Hause zu den Familien und helfen beim Hausaufgaben machen zum Beispiel oder helfen auch mit Arztbesuchen, organisieren also alle möglichen Sachen.
Wir haben eine Kleiderkammer. Wir besorgen Wohnungen, wir organisieren Fahrräder, Möbelstücke, eigentlich alles, was man braucht. Und das hoffentlich alles mit einem freundlichen Lächeln dabei.
SWR Aktuell: Wie gut funktioniert die Integration durch ihr Engagement im Ort?
Schulz: Wir sprechen in Deutschland so viel über Integration. Wenn mir Leute sagen, die Flüchtlinge sollen sich integrieren, dann frage ich: „Entschuldigung, was genau meinen Sie damit? Meinen Sie damit Deutsch lernen? Meinen Sie damit, dass Sie arbeiten gehen sollen?“ Oft weiß man eigentlich selbst nicht, was es bedeutet, deutsch zu sein. Vielen ist nicht klar, was Integration eigentlich genau heißt.
Integration bedeutet ja, dass man sich gegenseitig entgegenkommt. Meiner Meinung nach ist Integration wie Tango tanzen. Man kann nur Tango tanzen mit einem Partner. Und es macht mich persönlich sehr traurig, dass die allermeisten Menschen, die zur Tafel kommen noch nie, nie, nie in einer deutschen Familie eingeladen waren. Es ist keine Willkommenskultur. Und das ist etwas, was wir hier auch versuchen zu gestalten, dass sich Menschen einfach wohlfühlen. Denn keiner verlässt sein Land freiwillig.
SWR Aktuell: Frau Schulz, Sie und ihr Team investieren viel Zeit in ihr Ehrenamt. Welche Momente ersetzen die Bezahlung für ihre Arbeit?
Schulz: Jeder Moment sobald ich hier zur Tafel komme. Ich sehe die Dankbarkeit von den Menschen und die Freundlichkeit und dass sie sich wirklich freuen, herkommen zu können. Sie sind dankbar. Ich sage immer zu allen: Wir wir haben das gleiche Gehalt, wir verdienen alle gleich viel, nämlich überhaupt nichts.
Letztes Jahr zum Beispiel hatte ich von der Siemens Stiftung fast 5.000 Euro bekommen für ein interkulturelles Projekt, da habe ich einen Bus gechartert und wir sind einen Tag nach Paris gefahren. War eine Gewalttour von fünf Uhr morgens bis abends um elf.
Und wir waren gemeinsam viele, viele Stunden im Doppeldeckerbus - 80 Personen. Und wir haben so viel gelacht. Und das hat uns alle zusammengeschweißt. Wenn man die Menschen persönlich kennt, füttert das die Seele.
SWR Aktuell: Woher kommt die Motivation für ihr Ehrenamt?
Schulz: Ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, wie die Menschen hier reagierten, als die ersten Gastarbeiter kamen. Ich kann mich an diese Angst vor dem Fremden erinnern. Selbst Leute, die aus Ostdeutschland als Flüchtlinge hierherkamen, wurden erst mal mit großer Skepsis beäugelt und auch größtenteils abgewiesen.
Deutschland ist viel bunter und dadurch ein viel besseres Land geworden. Und wir versuchen, als Tafel den Ankömmlingen die Hand zu reichen, denn irgendjemand muss es ja tun.
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