Drei große Schwerpunkte hatte sich die Ampel zum Start gesetzt: Rheinland-Pfalz soll klimaneutral sowie führender Biotechnologie-Standort werden und die Innenstädte lebenswerter. Wie ist der Stand zur Ampel-Halbzeit?
Die Schwerpunkte ihrer Regierungsarbeit, die die drei Ampelfraktionen in Rheinland-Pfalz zu Beginn der Legislatur im April 2021 für sich gewählt haben, waren für viele schon überraschend. Die SPD gab als ihr großes Ziel aus, Rheinland-Pfalz zu einem führenden Biotechnologie-Standort machen zu wollen, indem man den Rückenwind durch den Erfolg des Mainzer Unternehmens BioNTech nutzt. Der Schwerpunkt der FDP: "Innenstädte der Zukunft schaffen" und den Handel dort stärken. Das Kernthema der Grünen war dagegen erwartbarer: Das Land klimaneutral zu machen.
Ampel in RLP hinkt gesteckten Klimazielen hinterher
Zur Halbzeit der Ampel-Koalition - also nach zweieinhalb Jahren - hinkt Rheinland-Pfalz beispielsweise bei den selbst gesteckten Klimazielen noch deutlich hinterher. SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass das Land bis 2040 klimaneutral sein soll und der Strom schon ab 2030 nur noch aus erneuerbaren Quellen fließen soll.
Um die Klimaziele zu erreichen, müsste die Stromproduktion aus Solarzellen und Windkraftanlagen rechnerisch jedes Jahr um jeweils 500 Megawatt steigen. Beim Solarstrom wird dieses Ziel in diesem Jahr erstmals erreicht, beziehungsweise sogar leicht überschritten.
Bei der Windenergie läuft es wesentlich schlechter. Hier geht der Ausbau nach wie vor schleppend voran. Statt der angestrebten 500 Megawatt pro Jahr wurden im vergangenen Jahr nur rund 70 und in diesem Jahr bisher gut 80 Megawatt zusätzlich installiert. Da die Genehmigungen für den Bau von Windkraftanlagen inzwischen erleichtert wurden, erwartet die Landesregierung zukünftig ein höheres Tempo beim Windkraftausbau.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ist auch festgehalten, den Ausbau der Erneuerbaren Energien als allgemeines öffentliches Interesse im Klimaschutzgesetz zu verankern. Einen entsprechenden Gesetzentwurf plant die Landesregierung im kommenden Jahr vorzulegen.
Biotechnologie-Standort RLP: Fortschritte schwer zu greifen
Das Ziel, Rheinland-Pfalz zu einem führenden Standort für Biotechnologie auszubauen, ist ehrgeizig, aber auch schwer zu greifen. Immerhin gibt es mittlerweile den im Koalitionsvertrag versprochenen Landeskoordinator für Biotechnologie als zentralen Ansprechpartner. Außerdem wurde ein Biotechnologie-Beirat ins Leben gerufen und in Bingen die Biotechnologie-Akademie gegründet. In Mainz sollen neue Laborflächen Forschungseinrichtungen und Start-Ups anlocken. Die Landesregierung stellt dafür 800 Millionen Euro bis 2026 bereit.
Als Pionier auf der neuen Biotechnologie-Achse an der Mainzer Johannes Gutenberg Universität hat dort der Diabetes-Spezialist Novo Nordisk seine neue Deutschlandzentrale angesiedelt. Auch der Impfstoffentwickler BioNTech investiert weiter und schafft neue Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz. Daraus ergeben sich neue Aufgaben für die öffentliche Hand. Denn laut BioNTech fehlen für die Anwerbung von Fachkräften vor allem Kita-Plätze. Auch eine internationale Schule gibt es in Mainz bislang nicht.
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Innenstädte der Zukunft: Fördermittel und Citymanager
Auch beim Regierungsschwerpunkt "Innenstädte der Zukunft" lassen sich zur Hälfte der Wahlperiode konkrete Erfolge nur schwer messen, weil das Land nur indirekt tätig wird und weil es Zeit braucht, aus einer heruntergekommenen Fußgängerzone ein Einkaufsjuwel zu machen. Das FDP-geführte Wirtschaftsministerium will etwa mit Fördermitteln und einer Internetplattform dabei helfen, die Zentren attraktiver zu gestalten. Die eigentliche Arbeit muss aber vor Ort passieren. Kommunen, Einzelhändler, Gastronomen oder Dienstleister sind gefragt, ihre Stadtquartiere etwa durch Umbauten öffentlicher Plätze aufzuwerten.
Stadtentwicklungsprojekte entstehen laut Wirtschaftsministerium gerade in Kaiserslautern, Diez, Mainz und Koblenz. Das Ministerium stellt hier Fördermittel in Aussicht, um zum Beispiel einen Citymanager zu bezahlen. Auch Kommunen im ländlichen Raum können Geld bekommen. Eine Förderung von 500.000 Euro ging etwa an das Vorhaben "Zentrum für Zusammenleben und Nachhaltigkeit - Alte Druckerei Bad Bergzabern". Das Projekt "Generationentreff ‚Neue Dorfmitte‘ Dürrholz" im Kreis Neuwied bekam eine Zuwendung von rund 475.000 Euro.
Gemeinde- und Städtebund: "Mehr Finanzhilfe nötig"
Der rheinland-pfälzische Gemeinde- und Städtebund lobt die Ansätze der Landesregierung als nützlichen Baustein, sieht aber noch Luft nach oben. Die Transformation der Innenstädte und Ortskerne werde nur gelingen, wenn die Kommunen auch durch eine angemessene Finanzausstattung in die Lage versetzt würden, entsprechend handeln zu können, so GStB-Geschäftsführer Karl-Heinz Frieden.
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Viele Pläne beim Thema Verkehr
Beim Verkehr hat sich die Landesregierung im Koalitionsvertrag ebenfalls viel vorgenommen. Vorherrschender Status zur Mitte der Wahlperiode: Wir arbeiten dran. Hinter manchem steht aber auch ein Fragezeichen. So zum Beispiel in Sachen Pendlerradrouten.
Radfahrer sollen auf sieben Pendlerradrouten in Rheinland-Pfalz schneller und sicherer vorankommen. Wie sich das anfühlt, dort zu fahren, können Radler auf wenigen Kilometern zwischen Ingelheim und Heidesheim in Rheinhessen ausprobieren. Wobei das erste Teilstück von circa 1,8 Kilometern schon in der vergangenen Wahlperiode fertiggestellt wurde. Der Großteil der Pendlerradroute zwischen Bingen und Mainz (30 Kilometer) ist noch nicht realisiert. Die übrigen sechs Routen sind in unterschiedlichen Planungsstadien, teils ist allerdings noch nicht einmal die Machbarkeitsstudie fertig. Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass alle sieben Routen bis 2026 in Bau oder fertiggestellt sein sollen. Dieses Ziel zu erreichen, dürfte sportlich werden.
Landesregierung spricht von erfolgreicher erster Hälfte
Die Landesregierung hat sich selbst am Donnerstag ein gutes Halbzeit-Zeugnis ausgestellt. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), Integrationsministerin Katharina Binz (Grüne) und Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) sprachen von einer erfolgreichen ersten Hälfte ihrer Legislaturperiode. Trotz der großen Krisen wie, Corona, dem Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Energieversorgung sowie der Flutkatastrophe im Ahrtal seien wichtige Schritte geschafft worden.
Dazu gehöre der Wiederaufbau an der Ahr. Die Entschuldung der Kommunen im Land. Die Stärkung der Spitzenforschung etwa im Bereich Biotechnologie und die bessere Ausstattung der Polizei - sowohl personell als auch materiell. Zudem gebe es in dieser Wahlperiode so viele Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen wie noch nie. "Gemeinsam haben wir die Zukunft im Blick und halten weiter Kurs für ein starkes Rheinland-Pfalz", so Dreyer, Binz und Schmitt.
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Scharfe Kritik der Opposition
Die Opposition aus CDU, AfD und Freien Wählern kritisierte die Ampel scharf. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Gordon Schnieder bezeichnete die Halbzeitbilanz der Landesregierung als "Fassade". Die Menschen im Land seien so unzufrieden mit der Ampel-Arbeit wie selten – das gelte für die Landes- wie die Bundes-Ampel. "Aktuelle Umfragen belegen das, bei der Pressekonferenz hat Frau Dreyer dies aber komplett ausgeblendet", so Schnieder.
Dabei bröckele das Ampel-Image, nachdem Ministerpräsidentin Dreyer weiter keine Verantwortung im Zuge der Ahr-Flutkatastrophe übernehmen wolle, die Finanzpolitik des Landes den sozialen Frieden in unseren Städten und Gemeinden gefährde und sich Kommunen lautstark gegen das Land stellten und Klagen ankündigten. Zudem sähen sich die Kommunen vom Land mit der zunehmenden Zahl an Geflüchteten allein gelassen.
Die AfD bezeichnete die Halbzeit-Bilanz als "desaströs". So müssten die Kommunen in Rheinland-Pfalz die Steuern erhöhen, weil ihnen hinten und vorne das Geld ausgehe, und das Bildungsniveau sinke drastisch ab.
Die Freien Wähler kritisierten unter anderem das neue Gesetz zum Landesfinanzausgleich. Es sei eine "Steuererhöhung durch die Hintertür, wodurch die Landesregierung durch die Erhöhung der Grundsteuern zum Preistreiber Nummer 1 wird". Zudem sei die Digitalisierung der Staatsverwaltung so schlecht wie der Versuch, klimaneutral zu werden.
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