Wenn Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern, es zunehmend komplizierter wird, bei Information zwischen wahr und unwahr zu entscheiden und der Antisemitismus in Deutschland wieder salonfähig wird, dann sind grundlegende demokratische Werte in Gefahr. Wie steht es um Hate Speech, Fake News und Judenhass in der Gesellschaft? Und was kann man dagegen tun?
"Zitronensaft heilt Corona-Erkrankungen" oder "Die NASA fälscht alle Videos, und die Erde ist eigentlich flach" - Aussagen wie diese findet man viele, wenn man auf Plattformen wie TikTok scrollt. Aber auch Hass, Hetze und Antisemitismus finden sich dort.
"Auf TikTok grassiert Judenhass, und an Schulen macht er sich stetig breiter", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7. Februar in einem Artikel zu TikTok. Es ist die Plattform der Jugendlichen - laut Statista machen die 14- bis 19-Jährigen in Deutschland 2023 mit einem Anteil von knapp 56 Prozent die größte Nutzergruppe aus. Laut TikTok selbst nutzen über 20 Millionen Menschen in Deutschland die App täglich.
Jugendliche werden selbst zu Talkshow-Moderatoren
Was die Jugendlichen selbst dazu sagen, das wollen wir beim nächsten Demokratieforum auf dem Hambacher Schloss am 15. Mai erfahren. Dort gibt Moderator Michel Friedman diesmal ab an den Nachwuchs - die Schülerinnen und Schüler dürfen moderieren und ihre Fragen zu den Themen Hate Speech, Fake News und Antisemitismus an die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele und Michel Friedman stellen.
Zu der Veranstaltung auf dem Hambacher Schloss sind rund 120 Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulen aus der Pfalz eingeladen, vor allem aus dem Raum Neustadt aber auch aus Niederolm oder Karlsruhe. Darüber hinaus können sich Klassen digital an der Diskussion beteiligen, wenn sie sich vorher angemeldet haben.
"Die Lüge geht heute schneller um die Welt"
Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten seit 7. Oktober enorm gestiegen
Der Antisemitismus nimmt seit dem 7. Oktober nicht nur im Netz zu, sondern auch im "realen" Leben. Seit dem Angriff der Hamas in Israel am 7. Oktober gab es in Deutschland 2.249 antisemitisch motivierte Straftaten (Stand 24. Januar). Im Vergleich dazu wurden im gesamten vorherigen Jahr 2.300 antisemitische Straftaten registriert.
Mut machen Projekte wie "Meet a Jew", die auf persönliche Begegnungen mit jüdischen Menschen setzen, um Vorurteile abzubauen und das Verständnis für die jüdische Perspektive zu fördern. Darüber hinaus werden Websites wie "www.an-allem-schuld.de" geschaffen, um Jugendliche ab 14 Jahren über Antisemitismus zu informieren und sie für das Thema zu sensibilisieren.
Hass, Fake News und Antisemitismus nimmt zu durch Plattformen wie TikTok
Was Experten kritisieren: TikTok-Videos enthalten nicht nur Schminktipps, sondern auch Hetzbotschaften und Antisemitismus. Die Plattform kann als ein Ort der Radikalisierung dienen, indem extremistische Weltanschauungen, aber auch viele Falschnachrichten verbreitet werden.
Und den Jugendlichen, genauso wie anderen Altersgruppen, fällt es schwer, diese zu erkennen. Die ARD/ZDF-Onlinestudie zeigt, dass 2023 rund 78 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren das Internet nutzen, um sich näher und umfangreicher zu informieren. Zusätzlich informieren sich etwa 80 Prozent über Verwandte, Freunde und Bekannte.
Junge Menschen häufig von Hate Speech im Netz betroffen
Durch Plattformen wie TikTok, aber auch Instagram hat auch der digitale Hass enorm zugenommen. Jeder Dritte im Alter von 16 bis 44 Jahren ist laut der Hate Speech Forsa-Studie 2023 im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW von Hassrede im Internet betroffen.
Bei den 45- bis 64-Jährigen waren es immerhin noch ein Fünftel. 79 Prozent von ihnen wurden aufgrund politischer oder gesellschaftlicher Ansichten angegriffen. 58 Prozent wegen ihrer ethnischen Herkunft und rassistischen Äußerungen. 54 Prozent nahmen Angriffe wegen der sexuellen Orientierung von Personen wahr.
Jugendliche kommen durch digitale Medien häufig in Kontakt mit Fake News
Mehr als drei Viertel der 14- bis 24-Jährigen wurden mindestens einmal in der Woche mit Falschnachrichten konfrontiert. Das zeigt eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Vodafone-Stiftung und markiert einen deutlichen Anstieg. Etwa ein Fünftel der Jugendlichen kommt sogar mehrmals täglich mit Fake News in Kontakt.
Laut der JIM-Studie 2023 sind über die Hälfte der befragten Jugendlichen bereits mit Fake News in Kontakt gekommen, gut die Hälfte mit beleidigenden Kommentaren. Etwa jeweils zwei von fünf Jugendlichen wurde im letzten Monat vor der Befragung mit extremen politischen Ansichten, Verschwörungstheorien oder Hassbotschaften konfrontiert.
Die Meisten nutzen TikTok, um nach etwas zu suchen, und orientieren sich dabei an den sehr verknappten (Un-)Wahrheiten, die in kurzen, emotionalen Videos präsentiert werden, was insbesondere bei Krisen und Konflikten wie dem Angriff der Hamas auf Israel zu beobachten war.
Hate Speech kann die Demokratie gefährden
Menschen, die regelmäßig Hate Speech ausgesetzt sind, können laut Experten unter Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Belastungen leiden. Außerdem betonen Experten, dass Hass im Internet dazu beitrage, dass sich die Gesellschaft weiter spalte. Wenn Hate Speech nicht bekämpft würde, könne dies die Meinungsfreiheit und die demokratischen Werte gefährden.
Junge Menschen wünschen sich mehr Aufklärung zu Hate Speech und Fake News
Bereits 2018 zeigte eine repräsentative Umfrage der Vodafone Stiftung, dass sich drei Viertel der Kinder und Jugendlichen wünschen, den Umgang mit Fake News und Hasskommentaren in den Lehrplan der Schulen aufzunehmen. Das zeigt, wie wichtig es ist, Menschen frühzeitig im Umgang mit Medien zu stärken, um sie vor den Auswirkungen von Fake News und Hate Speech zu schützen. In der Schule wird der Umgang mit Falschnachrichten und Hasskommentaren jedoch kaum thematisiert.
Derzeit recherchieren die Meisten ihre Fragen zu Social Media allein im Netz. Zwei Drittel der befragten jungen Menschen glaubt zudem, dass die Verbreitung von Fake News den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland gefährdet. Jeder Dritte ist sich aber unsicher, ob er Falschnachrichten sicher identifizieren kann und wie man auf Anfeindungen im Netz reagieren soll.
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