Im März ist in Stuttgart ein Wohnhaus explodiert. Eine Person starb, viele wurden obdachlos. Nach einem halben Jahr kämpfen Betroffene und Anwohner immer noch mit den Folgen.
Ein halbes Jahr ist es her, dass in der Köllestraße in Stuttgart eine Doppelhaushälfte durch eine Gas-Explosion zerstört wurde. Bei dem Unglück starb eine 85-jährige Frau, die in dem Haus gelebt hatte. Die anderen Bewohner des Gebäudes konnten sich retten, doch beide Doppelhaushälften gingen in Flammen auf und mussten abgerissen werden: fünf Familien mit Kindern zwischen einem und zwölf Jahren wurden mitten in der Nacht obdachlos.
Bis heute wollte niemand von ihnen öffentlich über die Schreckensnacht sprechen. Nun hat sich Niklas Otto dazu entschieden, dem SWR und damit Kolleginnen und Kollegen die Erlebnisse seit der Unglücksnacht zu schildern. Denn der 34-Jährige ist Kameraassistent beim Sender und wohnte bis zur Unglücksnacht mit seiner Familie in der Souterrain-Wohnung des Gebäudes in der Köllestraße. Auch seine früheren Nachbarn dort kämpfen noch mit den Folgen der Explosion.
Explosion mitten in der Nacht: "Kinder gepackt und rausgerannt"
Otto erzählt, er habe geschlafen, als er von einer enormen Detonation wach wurde. Erst dachte er, es habe der Blitz eingeschlagen. Es bröselte alles von der Decke, als eine Nachbarin die Familie zusätzlich warnte. "Wir haben nur die Kinder gepackt und sind raus". Die erste Explosion sei nur schräg eineinhalb Meter von seinem Schlafzimmer entfernt passiert und hatte auf die Straße hinaus gedrückt. Kurz darauf gab es eine zweite Detonation, die in Richtung der Gärten ging. "Bis zur Bahnlinie hin hingen Kleider in den Bäumen durch die Explosion", erzählt Otto heute.
Eine Person gestorben Explosion in Stuttgart: Tränen und Angst am Tag danach
Für die Bewohner der Stuttgarter Köllestraße ist am Tag nach der Explosion nichts mehr wie vorher. Manche können ein paar Habseligkeiten retten, für andere werden plötzlich Dinge wie Kerzen wichtig.
Explosion in der Köllestraße im Stuttgarter Westen
Am 6. März um drei Uhr in der Früh gehen die ersten Notrufe bei Polizei und Feuerwehr ein: Eine Explosion in einem Haus in der Köllestraße im Stuttgarter Westen hat einen Brand verursacht. Sie rücken mit rund 100 Einsatzkräften aus, können aber nur noch den Schaden begrenzen. Ein Teil des Doppelhauses stürzt ein, das andere brennt komplett aus. Schnell wird klar, dass die Explosion einer Gasleitung vor dem Haus Ursache des tragischen Unglücks ist.
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Familien verlieren bei Unglück alles
Niklas Otto, seine Frau und die beiden Kinder bleiben körperlich unverletzt. Die psychischen Wunden bleiben aber - und das vermutlich für immer, sagt der 34-Jährige. Denn seine vierköpfige Familie hat nach dem Unglück nichts mehr und ist obdachlos. Dank der Hilfsbereitschaft fanden sie zwar schon nach drei Tagen eine neue Wohnung. Doch Zeit, das Trauma zu verarbeiten, sei erstmal nicht geblieben. Er und seine Frau seien zwar sechs Wochen krank geschrieben worden. Aber in dieser Zeit hätten sie täglich 17 Stunden am Telefon verbracht, um eine neue Wohnung, Spenden und Versicherungen zu organisieren.
Sie hätten zuerst versuchen wollen, ihren Kindern wieder einen sicheren Ort zu bieten und ein neues Zuhause zu schaffen. "Denn das ist ja eigentlich der Ort, an dem man sich bei Gefahr sicher fühlt", sagt Otto. Doch das Vertrauen wieder zu gewinnen, falle der Familie noch schwer. Aus der Köllestraße wären sie eigentlich niemals weggezogen, so Otto - das sei ihr Paradies gewesen.
Riesige Hilfsbereitschaft nach der Explosion
Alles, von der Unterwäsche über Bettzeug bis zu Spielsachen, hätten sie wieder neu besorgen müssen. Die Hausratversicherung benötigte Monate, um den Verlust zu ersetzen. Umso dankbarer ist der Vater zweier Kinder über die spontane Hilfe von Freunden und Fremden und die Hilfs- und Spendenbereitschaft: "Das hat mir die ersten Tage mehr die Tränen in die Augen getrieben, als das Trauma und die Explosion an sich." So sei die Familie nicht aus ihrer Heimat im Westen Stuttgarts herausgerissen worden. Die Kinder könnten dort auch weiter in die Kita und zur Schule gehen, berichtet der Familienvater.
Nachbarn in Köllestraße kämpfen mit Versicherung
Auch die Nachbarn des explodierten Hauses müssen noch mit den Folgen des Unglücks fertig werden. Autos auf der Straße brannten aus, Glasscheiben wurden zerstört, immer noch sind viele Fenster nur mit Holz abgedichtet. Das Haus gegenüber hat durch die Wucht der Explosion ebenfalls Schaden genommen. Selbst heute, ein halbes Jahr später, lassen sich die Fenster im Dachgeschoss teilweise noch nicht wieder schließen. Sie seien bei der Explosion aufgesprungen und hätten sich verzogen, sagt Kerstin Metz, die dort wohnt. Wie Niklas Otto arbeitet auch sie immer wieder für den SWR, wohnt aber im Gegensatz zu ihm noch immer in der Köllestraße. Die Sprechtrainerin erzählt, ihr Dachfenster sei jetzt undicht. Sie wisse nicht, wie das im Winter werden solle.
Kritik: "Jeder sagt da etwas anderes"
Außerdem könnte sich bei Nachbarin Kerstin Metz das ganze Dach verzogen haben. Gegenüber den Vermietern hatte ein Handwerker bei einer Schadens-Besichtigung im Auftrag der Allianz Versicherung von rund 40 Prozent Verzug gesprochen. Trotzdem kommt von der Versicherung bisher kein Geld für das Haus. Die Versicherung habe bisher kein abschließendes Urteil über die Schadenshöhe fällen können, heißt es. Laut Manfred Sander, dem Vater des Vermieters, soll nun bereits der vierte Gutachter kommen. "Jeder sagt da etwas anderes. Und so entsteht allmählich der Eindruck, dass so lange Gutachter kommen, bis genau so ein Gutachten herauskommt, wie sich die Versicherung das wünscht", so Sander, der seit über 30 Jahren in der Köllestraße wohnt.
Auf Anfrage des SWR erklärt die Allianz Versicherung dazu, ein abschließendes Gutachten habe ergeben, dass an der Dachunterkonstruktion keine Schäden feststellbar gewesen seien. Und weiter: "Eines der Dachfenster ist von der Explosion beschädigt. Bei dem anderen Fenster sind (lediglich) die Federspannungen schwergängig und zu überprüfen."
Wer hat Schuld an der Katastrophe?
Weiterhin offen ist auch, wer die Schuld an dem tragischen Unglück trägt. Klar ist nur, dass der Auslöser ein Elektrokabel war, das zu dicht an der Gasleitung in der Straße lag. Dadurch hatte ein Kurzschluss im Stromkabel ein Gasleck verursacht.
Ob und inwieweit der Energielieferant Energie Baden-Württemberg (EnBW), zu dem das Unternehmen Netze BW gehört, Verantwortung dafür trägt, ist Teil der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart.
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