Hätte eine weitere Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart verboten werden können? Die SWR-Rechtsexperten klären auf.
Zur Feierabendzeit am Mittwoch kam die Nachricht: Die Stadt Stuttgart und der Verband der eritreischen Vereine haben sich einvernehmlich darauf geeinigt, den Mietvertrag über die Sporthalle im Stadtteil Zuffenhausen aufzuheben. Die geplante "Jahresfeier" des Verbandes findet also - anders als geplant - nicht statt. Das von vielen geforderte Verbot dieser Veranstaltung durch die Stadt ist damit nicht mehr nötig. So wird eine juristisch komplexe Baustelle umschifft. Denn aus rein rechtlicher Sicht wäre es fraglich gewesen, ob eine Untersagung der Veranstaltung Bestand gehabt hätte.
Versammlungsrecht wohl nicht anwendbar
Grundsätzlich sind die Hürden für ein Verbot von Versammlungen, wie etwa Demonstrationen, in Deutschland sehr hoch. Denn in einem freien demokratischen Staat soll es den Menschen jederzeit möglich sein, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Das gilt ausdrücklich auch für Versammlungen, deren Veranstalter vielleicht von vielen kritisch gesehen werden und deren Ansichten nicht von einer Mehrheit im Land geteilt werden. Denn auch und gerade Minderheiten können sich auf das Versammlungsrecht berufen. Das muss die Mehrheit in einer Demokratie aushalten.
Nach den Versammlungsgesetzen von Bund und Ländern kommt für öffentliche Versammlungen ein Verbot nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht. Ob diese hier tatsächlich gegeben wären, spielt aber sowieso nur dann eine Rolle, wenn das Versammlungsrecht überhaupt anwendbar ist. Dafür müsste es um eine "öffentliche" Veranstaltung gehen. Der Verband der eritreischen Vereine hatte aber laut Auskunft der Stadt Stuttgart rund 300 Gäste zur Jahresfeier explizit eingeladen. Viel mehr Besucher fasst die Halle im Stadtteil Zuffenhausen auch gar nicht. Man kann aber bei ausschließlich geladenen Gästen nicht davon sprechen, dass die Jahresfeier eine "öffentliche" Versammlung gewesen wäre. Das hat zur Folge, dass ein Verbot nach dem Versammlungsgesetz wohl rechtlich gar nicht in Betracht gekommen wäre, weil das Gesetz vorneweg gar nicht anwendbar gewesen wäre.
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Gewalt ging zuletzt nicht von den Veranstaltungen aus
Auch nach allgemeinen polizeirechtlichen Vorschriften wäre eine Untersagung der Veranstaltung wohl kaum vertretbar gewesen. Zu berücksichtigen ist nämlich: Die gewalttätigen Ausschreitungen vom vergangenen Wochenende gingen nicht von den Teilnehmern oder Ausrichtern der Veranstaltung selbst aus, sondern von Gegendemonstranten. Die Veranstalter selbst sind in dieser Konstellation somit eine sogenannte unbeteiligte Person, juristisch auch "Nicht-Störer" genannt. Die Maßnahmen der Ordnungsbehörden müssen sich aber zunächst gegen die richten, von denen sie ausgehen. Also gegen die "Störer". Etwa indem man eventuelle Gegendemonstrationen unterbindet oder mit Polizeikräften absichert.
Erst wenn das nicht möglich oder faktisch zwecklos gewesen wäre, könnten die Behörden ausnahmsweise ihre Maßnahmen auch gegen "Nicht-Störer" richten. Vorausgesetzt ist, dass die bevorstehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht anders verhindert werden kann – etwa dann, wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen. Genau das müsste aber zunächst sorgfältig geprüft werden. Denn ein Verbot einer Veranstaltung wäre per se ein schwerer Grundrechtseingriff - vor allem wenn die Veranstaltung selbst friedlich ist.
Vertrag zwischen Stadt und Verband
Für die angekündigte Veranstaltung am Wochenende hatte der Verband der eritreischen Vereine von der Stadt Stuttgart bereits eine Turnhalle im Stadtteil Zuffenhausen als Veranstaltungsort angemietet. Das wohl letzte verbleibende Mittel für eine Unterbindung der "Jahresfeier" wäre dann ein Rücktritt von diesem Mietvertrag für den Veranstaltungsort gewesen. Rechtliche Grundlage für die Vermietung sind neben den allgemeinen Gesetzen vor allem die "Allgemeinen Überlassungsbestimmungen für Schul‐ und Sportanlagen der Landeshauptstadt Stuttgart". Laut § 8 dieser Überlassungsbestimmungen wäre Voraussetzung für einen Rücktritt gewesen, dass dieser "aus unvorhergesehenen Gründen (…) mit Rücksicht auf das öffentliche Wohl notwendig wird". Ob diese Situation hier vorgelegen hätte, wäre dann im Streitfall vor den Gerichten zu klären gewesen.
Spannend ist dabei vor allem die Frage, ob die gewaltsamen Ausschreitungen vom vergangenen Wochenende als "unvorhergesehene Gründe" zu qualifizieren gewesen wären, die eine Neubewertung nötig gemacht hätten. Man hätte dagegen argumentieren können, dass die Grundproblematik der rivalisierenden eritreischen Exilgruppen schon lange bekannt war. So kam es bei einem Eritrea-Festival in Gießen schon im vergangenen Jahr und auch wieder in diesem Sommer zu Gewalttätigkeiten. Ob also die brisante Gemengelage nicht vielleicht doch vorhersehbar gewesen wäre, wäre ein entscheidender Punkt gewesen. Einen Streit über diese Frage hätten die Veranstalter dann vom zuständigen Verwaltungsgericht klären lassen können. Bei Verfahren, bei denen es besonders schnell gehen muss, ist das auch in einem sogenannten Eilverfahren möglich. Durch die gütliche Einigung zwischen Stadt und Veranstalter haben beide Parteien diesen Rechtsstreit vermieden und die juristische Fragestellung umschifft.
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