Nach der Absage einer weiteren Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart atmen viele Menschen in Stuttgart auf. Doch ein Ende des Konflikts scheint nicht in Sicht. Was sagen die Beteiligten?
Als sich am vergangenen Wochenende die Gewalt in Stuttgart-Bad Cannstatt entzündete, war Aster Ghidey mittendrin. Die Stuttgarter Aktivistin engagiert sich gegen das diktatorische Regime in Eritrea und protestierte gegen die Eritrea-Veranstaltung im Römerkastell. Die darauf folgenden Ausschreitungen lehnt sie aber ab: "Plötzlich flogen Flaschen, Stühle, sonstiges. Ich war ziemlich geschockt, es hätte mich auch treffen können. Ich verabscheue Gewalt", so Ghidey.
Sie wirft dem Verband der eritreischen Vereine in Stuttgart und dem Zentralrat der Eritreer Nähe zu der Diktatur in Eritrea vor. Ihrer Meinung nach gehe es bei den Veranstaltungen vor allem darum, "Mittel und Wege zu finden, die eritreischstämmige Jugend in Deutschland im Sinne des 'Heimat'-Regimes ideologisch zu indoktrinieren". Für ein Regime, dass laut Ghidey seine Finger bis nach Deutschland ausstrecke und Kritikerinnen wie sie einschüchtern wolle.
Drohanrufe gegen Beteiligte
Auch sie habe bereits mehrere Drohanrufe bekommen, erzählt sie. 2017 sei ihrer Mutter ins Gesicht gesagt worden: "Was tust du, wenn deine Tochter umgebracht werden würde?" Für Ghidey ist klar, dass das Regime in Eritrea die Menschen nicht in Ruhe lasse. Dass dann der Verband der eritreischen Vereine für dieses Werbung mache, dass provoziere viele.
Darum habe sie Verständnis dafür, dass gerade jüngere Eritreer, die vor der Unterdrückung der Diktatur geflohen sind, emotional reagiert hätten. "Die sagen: 'Ich habe so viel riskiert, mein Land verloren. Ich will nicht die nächsten 40 Jahre hierbleiben. Ich will einen Regime-Wechsel!'", so Ghidey. Trotzdem betont sie, dass die heftige Gewalt ihrem Anliegen schade: "Es tut mir unendlich leid, dass das passiert ist."
Kritiker der Eritrea-Versammlung begrüßen die Absage
Dass die nächste Eritrea-Veranstaltung nun abgesagt wurde, ist für die Aktivistinnen und Aktivisten rund um Astrid Ghidey das richtige Zeichen. Von der deutschen Politik fordern sie ein Umdenken: "Andere Länder haben die Veranstaltungen bereits verboten." Deutschland müsse das auch tun. Denn für sie steht fest: "Jede regierungsnahe Eritrea-Veranstaltung kommt einer Verhöhnung der Demokratie gleich" und dürfe keinen Platz finden im öffentlichen Raum - weder in Stuttgart noch in Baden-Württemberg oder sonst wo.
Veranstaltung abgesagt, aber nur auf unbestimmte Zeit
Naturgemäß anders sieht das Johannys Russom, Vorsitzender des Zentralrats der Eritreer. Auch wenn man nach intensiven Gesprächen mit Stuttgarts Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) sich dazu entschieden habe, die Eritrea-Veranstaltung auszusetzen, so ist für ihn klar: Die Veranstaltung ist nur auf "unbestimmte Zeit" aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Russom betont zwar, dass man Kooperationsbereitschaft zeigen, aber kein "falsches Signal" an die Gegner senden wolle. Diese würden laut Russom den Verband der eritreischen Vereine mit Gewalt "einschüchtern wollen".
Dass man Frieden untereinander schließen könne, das lehne er ab. Für ihn gäbe "es keine zwei Seiten", sondern nur eine "friedliche Veranstaltung" und die "Gewalttäter". Darum sei es für ihn unverständlich, wieso sich alle auf den Verband und die Eritrea-Veranstaltungen konzentrieren würden. Durch die Forderungen nach einem Verbot sei es nach Russom zu einer "Täter-Opfer-Umkehr" gekommen. "Auch wir sind deutsche Staatsbürger und haben das Versammlungsrecht. Es ist eigentlich im Interesse aller, dieses hohe Recht mit allen Mitteln zu verteidigen."
Eritrea-Verband verärgert: Angst vor Generalverdacht
Darüber hinaus zeigte sich Russom stark enttäuscht, dass sich durch die Geschehnisse eine hitzige Debatte um Migrationspolitik, Grenzschutz und Abschiebungen entfacht habe. An dieser hätten sich auch Politiker beteiligt, die er und die eritreische Gemeinde bis dahin immer unterstützt haben, sagte Russom. Für ihn sei nun ein Generalverdacht gegen Migranten und insbesondere Menschen mit eritreischen Wurzeln erhoben worden. "Das gehört nicht zu Integration. Wir sind auch ein Teil der Gesellschaft", so Russom.
Stadt Stuttgart und Polizei begrüßen Absage
Währenddessen zeigten sich der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) und die Polizei zufrieden über die Entscheidung. Nopper begrüßte, dass der Mietvertrag mit dem Zentralrat der Eritreer aufgehoben wurde und forderte erneut schnelle und harte Bestrafungen für die Gewalttäter von der letzten Eritrea-Veranstaltung.
Für den Stuttgarter Polizeivizepräsident Carsten Höfler ist die Absage "ein starkes Signal in Richtung einer künftigen gewaltfreien politischen Auseinandersetzung zwischen den beiden eritreischstämmigen Konfliktparteien". Gleichzeitig warnte er mögliche Störer trotzdem nach Stuttgart zu kommen, die Polizei würde "Einsatzkräfte sowohl im Einsatz als und auch in Bereitschaft haben, um konsequent und niederschwellig bei der Anreise möglicher Störer" reagieren zu können, so der Polizeivizepräsident.
Nächster Konflikt schon absehbar?
Die Fronten sind verhärtet. Mit der Absage für Samstag ist die Situation in Stuttgart nur vorerst befriedet. Mit der Ankündigung des Zentralrats der Eritreer, zukünftig wieder Räume bei der Stadt mieten zu wollen, steht fest: Das Konfliktpotential zwischen den Gruppen bleibt bestehen. Denn auch die Gegnerinnen und Gegner des Verbands werden weiter auf die Straßen gehen, für ihre Forderungen nach einem Regime-Sturz in Eritrea und einem Verbot des Verbands.