Am zweiten Tag des Prozesses gegen den freigestellten Polizeiinspekteur Andreas R. haben die Nebenkläger die "Lügen-Vorwürfe" der Verteidigung gekontert. Die gezeigten Videoaufnahmen bringen nur wenig Klarheit.
Der Prozess gegen den Inspekteur der Polizei in Baden-Württemberg, Andreas R., - derzeit vom Dienst freigestellt - wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung ist am Dienstag vor dem Landgericht Stuttgart fortgesetzt worden. Dabei warfen die Nebenkläger dem 49-Jährigen die Verunglimpfung und Diffamierung der 34-jährigen Anzeigenerstatterin vor.
"Eine junge Polizeibeamtin wird mit falschen Darstellungen in den Dreck gezogen und diffamiert", schreiben sie in einer Erklärung, die sie am Rande der Verhandlung an die anwesenden Journalisten und Journalistinnen verteilten. Der Angeklagte führe seine Verteidigung über die mediale Diffamierung einer jungen Beamtin, heißt es in dem Schreiben. "Mit einem fairen und sauberen Verfahren hat dieses Verhalten jedenfalls nichts, aber auch gar nichts zu tun."
Verteidigung stellt Inspekteur als das Opfer dar
Zum Prozessauftakt am Freitag hatte die Verteidigung des ehemals ranghöchsten Polizisten im Land in einer ebenfalls verteilten Erklärung die Frau als Lügnerin dargestellt. Als eine Frau, die zum eigenen Vorteil Kontakt zu höhergestellten Männern suche. Die Frau sei keinesfalls das "wehrlose Opfer", als das sie sich darstelle. Sie sei "Kriminalhauptkommissarin, die nicht nur als Polizeibeamtin Berufszeugin, sondern auch Waffenträgerin ist. Sie war auch im Bereich der Verfolgung von Sexualdelikten tätig".
Sie habe in dem Verfahren Beweise vernichtet und gelogen. So habe sie in ihrer ersten Vernehmung verschwiegen, "dass sie zu einem anderen, deutlich älteren und verheirateten Vorgesetzten im Ministerium seit Monaten ein intimes Verhältnis unterhalten hat".
Die Nebenkläger sehen in diesen Ausführungen sogar eine Straftat vorliegen, weil die Presseerklärung ohne Wissen des Gerichts verteilt worden sei. "Rechtlich sind die Inhalte dieser Erklärung leicht zu bewerten", steht in dem am Dienstag von der Nebenklage verteilten Schreiben. "Ich bin sicher, die Staatsanwaltschaft wird hier ermitteln." Auf Nachfrage wollte der Anwalt nicht konkretisieren, auf welchen Straftatbestand er anspielt.
Darüber hinaus wurden am Dienstag weitere Videoaufnahmen aus einer Eckkneipe in Bad Cannstatt gezeigt, in der der 49 Jahre alte Inspekteur mit der Kriminalhauptkommissarin in der Nacht zum 13. November 2021 zusammensaß.
Wie aufschlussreich ist das Video aus der Kneipe?
Ricarda Lang, Verteidigerin des Beschuldigten, sieht in dem Video aus der Kneipe einen Beweis für die Unschuld ihres Mandanten. In den ersten zwei Stunden der Aufnahmen ist zu sehen, wie der Inspekteur mit der Beamtin eng zusammensitzt. Sie küssen sich, umarmen sich und tauschen Zärtlichkeiten aus - oft neigt der Inspekteur den Kopf zu ihr herüber.
Doch was in der Folge, in knapp fünf Minuten um 3 Uhr morgens passiert, ist weiterhin unklar. Denn da verlassen die beiden kurzzeitig die Kneipe. Von dort gibt es keine Videoaufnahmen. Daher steht nun Aussage gegen Aussage: Sie sagt, er habe ihre Hand an sein Glied geführt und uriniert. Das mache ihn scharf, habe er dabei gesagt. Sie wirft ihm sexuelle Nötigung vor. Deshalb steht der mittlerweile vom Dienst freigestellte Inspekteur des Landes vor Gericht und vor den Trümmern seiner Karriere. Er sieht sich selbst als Opfer, sagt, sie habe an dem Abend die Initiative ergriffen, nach seinem Geschlechtsteil gegriffen.
War das mutmaßliche Opfer betrunken?
Auf den unscharfen Aufnahmen, die im Gerichtssaal 1 des Landgerichts gezeigt werden, ist zu sehen, wie die beiden nach den fünf Minuten draußen wieder die Kneipe betreten, wie sie küssen, kuscheln und knutschen. Die Aufnahmen sind von schlechter Qualität, aber die Zärtlichkeiten wirken intensiver als vor der Pinkelpause. Vor allem sie scheint sichtlich betrunken zu sein, muss den Kopf immer wieder in ihre Hände stützen.
Die Nebenkläger, die die junge Kommissarin vertreten, interpretieren die verschwommenen Bilder aus der rot beleuchteten Kneipe völlig anders als die Verteidiger des Inspekteurs. Wer legt wem die Hand auf den Schenkel, wer greift wem ins Haar? Jede Zärtlichkeit, jeder Kuss, jede Handbewegung wird vor Gericht seziert und als Waffe gegen die Gegenseite verwendet.
Textnachricht nach dem gemeinsamen Abend
Für die Verteidigung des Inspekteurs ist kein einziger Moment auf den Bildern erkennbar, in dem die Anzeigenerstatterin auch nur im Ansatz den Eindruck von Ekel, Schock oder Angst erweckt. Die sexuellen Berührungen seien bewusst von der Polizistin ausgegangen. Sie habe ihrem Mandanten in derselben Nacht sogar noch eine Textnachricht geschickt, dass sie gut nach Hause gekommen sei, sagt seine Anwältin.
Die Nebenklage hingegen will in den Videos erkennen, dass die Initiative zum Küssen nicht ein einziges Mal von der Kommissarin ausging. Sie habe immer wieder den Kopf weggezogen, er habe nachgesetzt. Sie habe zudem "eher widerstandslos mit sehr wenig Körperspannung" gewirkt, alkoholisiert und "sichtlich durch".
Anwalt der Nebenklage spricht von "nötigungsähnlicher Zwangslage"
Dass sie ihn nicht aktiv abgewehrt habe, stehe nicht im Widerspruch zur Anklage, sagt der Anwalt der Frau am Dienstag. Der Jurist spricht von einer nötigungsähnlichen Zwangslage, es brauche gar keinen "erkennbar entgegenstehenden Willen".
Mutmaßliches Opfer wird erneut vernommen
Neben den Videoaufnahmen und der abermaligen Vernehmung des mutmaßlichen Opfers als Zeugin will sich das Gericht am Dienstag mit einem Videotelefonat befassen, das die Beamtin heimlich per Smartphone mitgeschnitten hat. Der Inspekteur hatte die Frau einige Tage nach dem Kneipenbesuch per Skype kontaktiert und dabei auch über den Abend gesprochen. Laut Staatsanwaltschaft wird in dem akustischen Mitschnitt die Tatmotivation deutlich.
Demnach versicherte Andreas R. in dem Gespräch mehrfach, dass sie durch den privaten Kontakt auch beruflich nur Vorteile haben werde. Er werde ihr helfen, sie in den höheren Dienst zu bringen. Zwei Tage später berichtete die junge Frau Polizeipräsidentin Stefanie Hinz von den Geschehnissen in und vor der Bar und dem Videotelefonat.
Ist Andreas R. offiziell suspendiert?
Daraufhin gab das Innenministerium am 23. November 2021 eine schriftliche Mitteilung heraus, dass es schwere Vorwürfe gegen einen führenden Mitarbeiter der Polizei gebe. Es stünden "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer Mitarbeiterin des Landespolizeipräsidiums" im Raum. Es wurde ihm verboten, seine Dienstgeschäfte zu führen. Andreas R. ist seitdem freigestellt, jedoch nicht offiziell suspendiert.
Dem Vernehmen nach kann ein Beamter erst suspendiert werden, wenn er voraussichtlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt wird. Das steht aber noch längst nicht fest. Bei einer Verurteilung wegen eines sexuellen Übergriffs droht Andreas R. eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Aber erst bei einer Haftstrafe von mindestens einem Jahr muss sein Dienstherr ihn endgültig herauswerfen. Allerdings: Selbst bei einem Freispruch käme weiteres Ungemach auf den Inspekteur zu. Dann würde das Disziplinarverfahren folgen, das damit enden könnte, dass der Beamte aus dem Dienst entfernt wird. Doch soweit ist es noch nicht. Seit November 2021 erhält Andreas R. also weiter Lohn.
Schon 2018 verschickte Andreas R. Nacktbilder an Polizistinnen
Schon früher soll Andreas R. per WhatsApp an andere Polizistinnen pornografische Bilder von sich selbst geschickt haben. Er soll diese Fotos schon vor seiner Berufung zum Inspekteur an mindestens drei Polizistinnen versendet haben - und zwar zwischen 2018 und 2020. Zum ranghöchsten Polizisten war er im November 2020 gekürt worden. Allerdings wurde das Versenden der Bilder erst Mitte Dezember 2021 durch eine anonyme Anzeige bekannt.
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Der inzwischen suspendierte Inspekteur der Polizei soll eine Untergebene sexuell genötigt haben. Nach SWR-Informationen verschickte er schon vor seiner Beförderung Nacktbilder an Kolleginnen.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigte dem SWR, dass wegen dieser Anzeige ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Andreas R. eröffnet wurde. Es sei dabei um Vorgänge ab dem Jahr 2018 gegangen - damals war Andreas R. noch stellvertretender Landeskriminaldirektor im Innenministerium und ab August 2019 Vize im Landeskriminalamt. Dieses Ermittlungsverfahren sei im Oktober 2022 mangels hinreichenden Tatverdachts aber eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft konnte demnach nicht nachweisen, dass das Versenden der Bilder gegen den Willen der Empfängerinnen geschah.
Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt
Der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart soll am kommenden Dienstag weitergehen. Dann sind weitere Zeuginnen und Zeugen, unter anderem Polizeipräsidentin Hinz, in den Zeugenstand gerufen. Der Prozesstag soll öffentlich ausgetragen werden. Das mutmaßliche Opfer soll dann am übernächsten Sitzungstag ein weiteres Mal vernommen werden.
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