Prozessbeginn in Stuttgart

Polizei-Inspekteur vor Gericht - Verteidigung bezichtigt Kommissarin der Lüge

Stand

Seit fast eineinhalb Jahren beschäftigt der Skandal um mutmaßliche sexuelle Belästigung im Innenministerium die Polizei in Baden-Württemberg. Nun steht der suspendierte Polizei-Inspekteur des Landes vor Gericht.

An diesem Freitag hat der Prozess gegen den mittlerweile suspendierten Inspekteur der Polizei vor dem Landgericht Stuttgart begonnen. Er soll eine Polizistin sexuell genötigt haben. Die Verteidigung des Polizeibeamten hatte angekündigt, für einen Freispruch zu kämpfen. Die Strafkammer hat acht Verhandlungstage angesetzt. Das Landgericht hat den größten Saal für den Prozess reserviert, das Medieninteresse ist groß.

Verteidigung weist die Vorwürfe zurück

Mit heftigen Anschuldigungen gegen die Anzeigenerstatterin hat die Verteidigung des suspendierten Inspekteurs der Polizei die Vorwürfe sexueller Nötigung gegen ihn zurückgewiesen. Die 34-jährige Kriminalhauptkommissarin, die den vormals höchstrangigen Polizisten des Landes der Nötigung beschuldigt, habe in einem Lokal in der Öffentlichkeit mit ihm sexuelle Handlungen ausgeübt, Küsse ausgetauscht und viele Intimitäten, sagte die Anwältin des Polizisten zum Prozessauftakt. Sie bezichtigte die Anzeigenerstatterin der Lüge. Zunächst stritten Staatsanwaltschaft und Verteidigung darüber, ob die Anwältin des Inspekteurs zum Prozessbeginn eine Stellungnahme vorlesen darf.

Der Angeklagte wurde zu Prozessbeginn vom Richter darauf hingewiesen, dass er sich vor Gericht nicht äußern müsse. Die Verteidigung bestätigt, dass dies nicht erfolgen werde. Mit einem "Opening Statement" unter Ausschluss der Öffentlichkeit - um den Opferschutz zu wahren - wurde der Prozess schließlich von der Verteidigung eröffnet. Es habe die Nebenklägerin bereits viel Mut gekostet, sich zu den Geschehnissen zu offenbaren, so der Anwalt der 34-Jährigen.

Mutmaßliches Opfer muss vor Gericht aussagen

Im Anschluss kündigte der Richter an, dass es mit der Vernehmung des mutmaßlichen Opfers als Zeugin weitergehen soll. Die Nebenklage beantragte, dass dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden soll. Die Verteidigung widersprach, da die Geschehnisse in der Öffentlichkeit stattgefunden haben. "Sie hat damit den persönlichen Lebensbereich öffentlich gemacht", so die Anwältin des suspendierten Polizeibeamten. Der Richter stimmte allerdings der Nebenklage zu. Die Privatsphäre des mutmaßlichen Opfers sei schutzwürdig, so der Richter. Medien und Prozessbesucherinnen und -besucher wurden vorübergehend von der Verhandlung ausgeschlossen.

Suspendierter Polizei-Inspekteur soll Polizistinnen sexuell bedrängt haben

Der mittlerweile suspendierte Inspekteur der Polizei soll die Polizistin in der Nacht vom 12. auf den 13. November 2021 bei einem Kneipenbesuch sexuell genötigt haben. Laut Anklage hätten die beiden am Nachmittag zunächst im Dienstzimmer des Inspekteurs bei einer Flasche Sekt ein Personalgespräch geführt. Nach einem abendlichen Kneipenbesuch mit Kollegen habe der Inspekteur die Kommissarin dazu bewegt, allein noch einen Absacker in einer Bar zu nehmen, so die Staatsanwältin. In den frühen Morgenstunden habe der Angeklagte die Polizistin zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen veranlasst. Er habe vor der Bar sein "leicht erigiertes Glied" entblößt, ihre Hand zu seinem Glied geführt und uriniert. Sie habe Ekel empfunden, sei aber aufgrund des dienstlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht in der Lage gewesen, sich zu widersetzen, so die Staatsanwaltschaft.

In einer im Gerichtssaal verbreiteten Erklärung warf die Verteidigung des Inspekteurs der 34-Jährigen nun vor, bewusst ältere und höher gestellte Männer gesucht zu haben, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen. Sie habe zudem mehrfach gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt. Auch sei auf einem dreistündigen Video aus dem Kneipenbesuch mit dem Inspekteur zu sehen, dass die Anzeigenerstatterin zahlreiche intime Handlungen eigeninitiativ ausgeübt habe. Der Angeklagte sei in dem Verfahren das Opfer und müsse freigesprochen werden.

Staatsanwaltschaft wirft Inspekteur vor, seine Stellung ausgenutzt zu haben

Der Fall schlug große Wellen in der Polizei und der Politik. Nach einem späteren Gespräch, in dem der Inspekteur ihr den Vorwürfen zufolge Karrierevorteile gegen eine gewisse Form des privaten Kontakts in Aussicht gestellt haben soll, wandte sich die Polizistin an Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. Der Inspekteur wurde suspendiert. Seiner Ansicht nach waren die Annäherungen und sexuellen Handlungen aber einvernehmlich.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, die Polizeibeamtin zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen veranlasst zu haben, und "hierbei bewusst ausgenutzt zu haben, dass er aufgrund seiner beruflichen Stellung in der Lage war, der Polizeibeamtin im Falle des Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten". Der Anwalt des Inspekteurs sagt, es sei bedauerlich, dass die Staatsanwaltschaft "bei dieser Beweissituation" überhaupt Anklage erhoben habe.

Sollte der Polizist schuldig gesprochen werden, würde das Strafmaß zwischen sechs Monaten und fünf Jahren liegen. Aber auch bei einem Freispruch läuft noch ein disziplinarrechtliches Verfahren gegen den Mann.

Suspendierter Polizei-Inspekteur soll Nacktbilder verschickt haben

Kurz vor dem Prozessauftakt kam nun ans Licht, dass der inzwischen suspendierte Inspekteur bereits vor seiner Amtszeit über mehrere Jahre Nacktbilder an Polizistinnen geschickt haben soll. Wie der SWR erfuhr, soll er zwischen 2018 und 2020 pornografische Handy-Bilder von sich selbst an mindestens drei Polizistinnen gesendet haben. Der Beschuldigte hatte sein Amt als ranghöchster Polizist des Landes im November 2020 angetreten. Zuvor war er stellvertretender Landeskriminaldirektor im Innenministerium und Vize im Landeskriminalamt (LKA). Das Versenden der Nacktbilder an die drei Polizistinnen wurde SWR-Informationen zufolge erst nach seiner Suspendierung bekannt - durch eine anonyme Anzeige im Dezember 2021.

Der Skandal um den Inspekteur schlug hohe politische Wellen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) geriet gehörig unter Druck, weil er ein Schreiben des Anwalts des Inspekteurs an einen Journalisten weitergereicht hatte. Die Ermittlungen gegen den CDU-Politiker wurden schließlich eingestellt, Strobl zahlte eine Geldauflage in Höhe von 15.000 Euro. Die Opposition im Landtag von Baden-Württemberg sieht zudem strukturelle Probleme beim Thema sexuelle Belästigung und der Beförderungspraxis in der Polizeispitze. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss versucht seit Monaten, diese Themenfelder aufzuarbeiten.

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