Kompliziertes Kommunalwahlrecht

Kumulieren und Panaschieren: Was bei der Kommunalwahl in BW besonders ist

Stand
Autor/in
Christina Erdkönig
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Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg gilt als eines der kompliziertesten in Deutschland. Es hat laut Experten aber auch Vorteile. Alles Wichtige für den Wahltag im Überblick.

Kumulieren und Panaschieren - das kommunale Wahlrecht in Baden-Württemberg gilt als eines der kompliziertesten in Deutschland. Nach Ansicht von Expertinnen und Experten hat das Wahlsystem aber auch Vorteile.

Hier ein Überblick über die wichtigsten Besonderheiten des kommunalen Wahlrechts in Baden-Württemberg:

Was ist Kumulieren?

Bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg ist das sogenannte Kumulieren erlaubt, also das "Anhäufen" von Stimmen. Wahlberechtigte können damit einem Kandidaten oder einer Kandidatin mehr als eine Stimme geben.

Pro Kandidatin oder Kandidat sind maximal drei Stimmen möglich. Das heißt praktisch: Der Wähler trägt in das Kästchen auf dem Stimmzettel eine "1", "2" oder "3" als Zahl ein.

Was ist Panaschieren?

Der Begriff kommt aus dem Französischen. "Panacher" heißt so viel wie "mischen" oder auch "bunt zusammenstellen". Bei der Kommunalwahl bedeutet das: Der Wahlberechtigte kann seine Stimmen nicht nur einer Partei oder einer Person geben, sondern sie auf mehrere Listen verteilen. Das bedeutet, man kann auch Kandidaten oder Kandidatinnen unterschiedlicher Parteien wählen. Entweder verteilt man die Stimmen auf den Stimmzetteln. Oder man trägt zum Beispiel einen Kandidaten der Partei B auf die Liste der Partei A unten ein, wenn man schon mehrere Kandidaten der Liste A zuvor gewählt hat und den Kandidaten der Liste B auch noch wählen möchte. Der Wähler hat so die Möglichkeit, sich über Listen und Parteien hinwegzusetzen.

Beim Panaschieren ist es wichtig, nicht zu viele Stimmen zu vergeben. Wenn zu viele Stimmen abgegeben werden, wird der Stimmzettel ungültig. Jeder hat so viele Stimmen wie es Ratssitze in seiner Stadt oder Gemeinde gibt.

Übrigens wird auch in Rheinland-Pfalz bei der Kommunalwahl panaschiert und kumuliert. Im Saarland und Nordrhein-Westfalen dagegen hat man nur eine Stimme und kann sich nur für einen einzigen Wahlvorschlag oder eine Liste entscheiden.

Was ist die positive Kennzeichnungspflicht?

Die positive Kennzeichnungspflicht bei der Kommunalwahl in BW heißt: Wahlberechtigte müssen Kandidatinnen und Kandidaten eindeutig als "gewählt" auf dem Stimmzettel kennzeichnen, also mit einem Kreuz beim Namen oder einer Zahl - wie viele Stimmen die Person erhalten soll. Achtung: Das Wegstreichen von Namen auf den Wahlvorschlägen reicht nicht aus.

Es gibt eine Ausnahme bei der positiven Kennzeichnungspflicht. Wenn man alle Stimmen einer Partei oder Wählervereinigung zukommen lassen will, dann reicht es, deren Liste ohne weitere Kennzeichnung unverändert in die Wahlurne zu werfen. Das heißt: ohne Kreuz oder Zahlen.

Was ist die unechte Teilortswahl?

Die unechte Teilortswahl ist eine Besonderheit im baden-württembergischen Kommunalwahlsystem - diese Spezialregelung gibt es nur hier im Land. Dabei tritt ein Kandidierender in nur einem Teilort seiner Gemeinde an, wird aber trotzdem von den Wahlberechtigten aller Teilorte bestimmt. Deshalb also der Begriff "unecht", denn der Kandidierende, der für einen Teilort antritt, wird von den Wahlberechtigten der ganzen Gemeinde gewählt. Die unechte Teilortswahl gibt es in Baden-Württemberg seit der Gemeindereform von 1972. Sie kommt vor allem in ländlichen Regionen vor, wo eine Gemeinde sich über ein größeres Gebiet verteilt.

In Hechingen (Zollernalbkreis) wollte die Stadt 2020 die unechte Teilortswahl abschaffen. Ein Grund war nach Angaben der Stadt, dass die Gremien so unnötig "aufgebläht" wurden. Allerdings kam es im September 2021 zu einem Bürgerentscheid, bei dem sich die Mehrheit der Hechingerinnen und Hechinger für ein Erhalt der unechten Teilortswahl aussprach. Konkret für Hechingen heißt das jetzt: Die festgelegte Zahl der Gemeinderäte beträgt eigentlich 26. Durch die unechte Teilortswahl - die dadurch bedingten Ausgleichssitze oder Mehrsitze - hat der Gemeinderat in Hechingen 33 Rätinnen und Räte.

Welche Vorteile hat das kommunale Wahlrecht in BW?

Das kommunale Wahlrecht in Baden-Württemberg bietet den Wählerinnen und Wählern durch das Panaschieren die Möglichkeit, Stimmen an unterschiedliche Kandidatinnen und Kandidaten von verschiedenen Listen zu vergeben. Man kann also seine Stimmen verteilen - über Parteien hinweg. Anders ist das zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo nur eine Stimme an eine Partei oder Wählervereinigung vergeben werden kann.

Für Sozialwissenschaftlerin und Wahlforscherin Angelika Vetter von der Universität Stuttgart ist ein großer Vorteil des baden-württembergischen Systems, dass der oder die Einzelne mehr Einfluss hat, wer in den Gemeinderat kommt.

Wahlforscherin Angelika Vetter zu den Besonderheiten des Wahlsystems in BW:

"Beim Kumulieren zum Beispiel kann der Wähler selbst gewichten, wen er gut findet, indem er ihm mehr als eine Stimme gibt." Der Bürger stehe durch das Wahlsystem im Vordergrund und nicht die Partei.

Welche Nachteile gibt es?

Als Nachteil wird häufig angeführt, dass das Kumulieren und Panaschieren das Wählen für die Bürgerinnen und Bürger bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg kompliziert mache. Die Stuttgarter Wahlforscherin Angelika Vetter sagte dem SWR, in Baden-Württemberg seien bei den Kommunalwahlen in der Regel drei Prozent der Stimmen ungültig. "Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen, wo der Wähler oder die Wählerin nur eine Stimme hat, also nicht panaschieren oder kumulieren kann, dann zeigt sich, dass es weniger ungültige Stimmen gibt." In Nordrhein-Westfalen seien nur 1,5 Prozent der Stimmen ungültig. Insofern könnte das für die Komplexität des Systems in Baden-Württemberg sprechen, dass hier die Zahl der ungültigen Stimmen höher liege, erklärte Vetter.

Dennoch sieht die Wahlforscherin eindeutig mehr Vorteile als Nachteile im baden-württembergischen kommunalen Wahlrecht. Denn das System mit Kumulieren und Panaschieren biete mehr Auswahl und Freiheiten für die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg, so Vetter.

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