Lionel Macor lebt im Breisgau und arbeitet im Elsass. Die reale Grenze zwischen beiden Ländern spürt er schon lange nicht mehr. Die in den Köpfen dagegen schon.
Rund 100.000 Menschen am Oberrhein arbeiten im Nachbarland. Der Bauunternehmer Lionel Macor zum Beispiel. Er wohnt in Kirchzarten (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) und arbeitet im elsässischen Mulhouse. Europa macht's möglich. Doch es läuft längst noch nicht alles rund in der EU. Und vor den Europawahlen am 9. Juni macht sich Macor große Sorgen um die Zukunft Europas.
Die Grenze am Rhein ist weg - die in den Köpfen noch nicht
Fast jeden Tag fährt Lionel Macor über den Rhein ins Elsass. Die Landesgrenze nehme er gar nicht mehr wahr, sagt er. Nur noch selten gebe es Kontrollen - zuletzt häufiger während der Corona-Zeit. Das heißt aber nicht, dass die Grenzen in den Köpfen weg sind. Im Gegenteil. Als Chef einer französischen Baufirma hat er oft genug erlebt, wie viele Hürden es zwischen den Ländern noch gibt.
Hohe Hürden für Bauunternehmen in beiden Ländern
Französische Firmen müssten in Deutschland Arbeitsverträge sowie andere Dokumente auf Deutsch übersetzen. Umgekehrt verlangen französische Behörden, dass auf den Baustellen im Land Französisch gesprochen wird. "Man fühlt sich nicht willkommen", sagt Macor - und meint dabei beide Seiten. Sein Unternehmen sei inzwischen nicht mehr in Deutschland aktiv. Als man es noch war, seien die Firmen-Lkw regelmäßig vom deutschen Zoll rausgewunken worden. Das Misstrauen gegenüber ausländischen Baufirmen ist offenbar groß.
In der Gesundheitsversorgung sind die Grenzen noch da
Macor nennt ein weiteres Beispiel, wo Europa noch überhaupt nicht funktioniert: Wenn etwa jemand aus Neuf-Brisach schwer erkranke, könne er nicht einfach über den Rhein ins Krankenhaus im benachbarten Breisach, sondern müsse ins 30 Kilometer entfernte Colmar fahren. "Wenn jeder das Gesundheitssystem des Nachbarlandes nutzen könnte, wäre das ein schöner Fortschritt", sagt Macor.
Der französische Bauingenieur ist ein Parade-Europäer
Der 49-Jährige ist eigentlich ein großer Europa-Fan. Er organisiert den jährlichen Grenzlauf "Run for Europe" über den Rhein. Als Franzose mit italienischen Eltern und deutscher Ehefrau ist er Europäer durch und durch. Inzwischen hat er zusätzlich auch einen deutschen Pass. Dass er fast täglich 50 Minuten ins Elsass pendeln muss - geschenkt. "Ich fühle mich sehr wohl in Kirchzarten", bekennt Macor, "auch wenn ich in Rente bin, werde ich hierbleiben".
Regierung Le Pen nur eine Frage der Zeit?
Aber er macht sich große Sorgen um sein Europa. Das hat mit dem Rechtsruck in vielen Mitgliedsstaaten zu tun, nicht zuletzt in Frankreich. Macor rechnet damit, dass die Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihr Rassemblement National (RN) früher oder später an die Macht kommen werden. Sollte Le Pen eines Tages französische Präsidentin werden, bedeute das Stillstand in Europa: "Ihre Partei wird alles tun, um jede Entwicklung zu blockieren", fürchtet Macor. Laut jüngsten Umfragen zur Europawahl liegt der RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella mit über 30 Prozent vorne.
"Viele haben vergessen, was Europa gebracht hat"
Dabei müsste sich die EU dringend weiterentwickeln, findet er. Von einer rein wirtschaftlichen Konstruktion hin zu einer politischen, sozialen und auch militärischen Gemeinschaft. "Viele haben vergessen, was Europa den Menschen gebracht hat, sie sehen nur die Probleme", sagt Macor. Zu oft werde die EU zum Sündenbock gemacht.
Dass Europa weiter zusammenwächst, dafür sorgt auch seine Firma. Sie ist am Bau des geplanten, 57 Kilometer langen Eisenbahntunnels durch die Alpen zwischen Lyon und Turin beteiligt - ein Milliardenprojekt, das Frankreich und Italien näher aneinander rücken lassen soll. Und auch nach Deutschland hat seine Firma weiterhin Kontakt: Mit einer Freiburger Solarfirma werden in einem Joint Venture jetzt gemeinsame Bauprojekte in Frankreich entwickelt.
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