Die Attacke auf einen SPD-Politiker in Dresden hat viele entsetzt. Auch in Baden-Württemberg werden Wahlkämpfer angegangen. Ministerpräsident Kretschmann sieht die Entwicklung mit Sorge.
Nach dem brutalen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke in Dresden ist die Debatte über einen besseren Schutz von Politikern wieder aufgeflammt. Ecke wurde am vergangenen Freitag beim Aufhängen von Wahlplakaten attackiert. Es gibt vier Tatverdächtige im Alter von 17 und 18 Jahren. Einen der mutmaßlichen Angreifer rechnet das Landeskriminalamt Sachsen dem rechten Spektrum zu. Am Dienstagabend berieten die Innenminister von Bund und Ländern bei einer Videokonferenz über Konsequenzen. Sie fordern das Bundesinnenministerium auf, sich für eine zügige Behandlung einer Bundesratsinitiative Bayerns zum strafrechtlichen Schutz gemeinnütziger Tätigkeit einzusetzen. Damit sollen Übergriffe auf politisch engagierte Menschen stärker bestraft werden.
Aktionstag soll Straftaten gegen Politiker in den Fokus rücken
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte im Vorfeld erklärt, bei dem Treffen einen bundesweiten Aktionstag noch vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni vorzuschlagen. An dem Tag sollten die Sicherheitsbehörden Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker beziehungsweise Kandidatinnen und Kandidaten in den Fokus nehmen. "Wir dürfen solche Taten nicht nur beklagen, sondern müssen auch mit allem, was wir haben, dagegen vorgehen", sagte Strobl. Man brauche eine konsequente Strafverfolgung für die Feinde der Demokratie. Die oft ehrenamtlichen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer für demokratische Parteien müssten sicher und ohne Angst tätig sein können.
Kretschmann vergleicht Entwicklungen mit Weimarer Republik
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht mit Sorge auf die aktuellen Entwicklungen. "Wir stellen das allgemein seit langem fest, dass einfach eine Verrohung in der politischen Auseinandersetzung stattfindet und Worte schnell zu Taten werden", sagte er. Auch Hass und Hetze im Netz nähmen zu. Das Problem sei schon lange auf der Agenda - momentan arte das Problem aber in Gewalt aus.
Man nehme das Problem ernst - sogar so ernst, dass man über Gesetzesverschärfungen nachdenken müsse. "Man muss den Bürgern klarmachen, dass das nicht gut ausgehen kann. Für niemand", so Kretschmann. Er sei offen gegenüber Strafverschärfungen. So etwas müsse allerdings gut und sorgfältig durchdacht werden.
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Mehrere tausend Angriffe auf Politiker im vergangenen Jahr
Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 2.790 Angriffe auf Politikerinnen und Politiker gemeldet. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion Ende Januar hervor. Die Bundesregierung berief sich dabei auf vorläufige Zahlen. Am häufigsten betroffen von den Angriffen - zu denen unter anderem auch Bedrohung oder Beleidigung gehörten - waren demnach Vertreter der Grünen, gefolgt von Vertretern der AfD und der SPD. Die Zahlen für Repräsentanten andere Parteien lagen deutlich darunter.
Am häufigsten Opfer sogenannter Gewaltdelikte - zu denen auch Tötungsdelikte, Körperverletzungen oder Brandstiftungen zählen - waren laut der Statistik Vertreter der AfD mit 86 Fällen, gefolgt von den Grünen mit 62 Fällen. Die wenigsten Gewaltdelikte wurden mit 2 Fällen gegen Vertreter der CSU gemeldet.
Angriffe auf Parteienvertreter auch in Baden-Württemberg
Auch in Baden-Württemberg gibt es immer wieder Attacken gegen Politikerinnen und Politiker. Für die SPD im Land ist der vergangene Freitag in Dresden nur der "vorläufige Höhepunkt einer ganzen Welle von Angriffen". Generalsekretär Sascha Binder sagte dem SWR, auch die Wahlkämpfenden seiner Partei seien seit Beginn des Wahlkampfes mit Beleidigungen und Beschimpfungen konfrontiert. Die Anzahl und Heftigkeit habe in diesem Wahlkampf spürbar zugenommen.
Nach Angaben der SPD wurden in der Rhein-Neckar-Region Kandidierende beim Plakate anbringen weggestoßen. Im Raum Heilbronn und Aalen wurden Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer beschimpft. Im Raum Freiburg wurde der Mitarbeiter einer Firma, die Plakate anbringt, bespuckt. Alle Vorfälle würden angezeigt. Ihren Mitarbeitenden bietet die SPD Schulungen und Diskussionstrainings an. Außerdem gebe es Leitfäden des Landeskriminalamts mit Tipps zum Schutz vor persönlichen Angriffen, hieß es.
Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) verurteilte die jüngsten Angriffe auf Politiker zu Beginn der Landtagssitzung am Mittwoch scharf. Gewalt sei demnach kein Mittel der Außeinandersetzung in einer Demokratie - "Verfassungsfeinden" werde es damit nicht gelingen, Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen, "mundtot zu machen", so Aras.
Grüne: Kandidat wird beleidigt und geschlagen
Auch bei AfD-Wahlhelfern ist es nach Angaben der Partei allein am vergangenen Wochenende zu zwei Übergriffen gekommen. So wurden laut Polizei zwei Mitglieder der AfD beim Anbringen von Wahlplakaten in Hemmingen (Kreis Ludwigsburg) beleidigt und bedroht. Es kam demnach zu einer Handgreiflichkeit mit drei Unbekannten, die mutmaßlich alkoholisiert waren. Außerdem wurde der AfD zufolge am vergangenen Samstag ein Wahlhelfer angegriffen. Es sei Anzeige erstattet worden, hieß es. Der Landesverband teilte dem SWR mit, er informiere die Polizei regelmäßig vor Ort, wenn ein Infostand angemeldet werde. Die Helferinnen und Helfer würden angewiesen, nie alleine an einem Stand zu sein.
Die Grünen verweisen auf einen Fall in Amtzell im Kreis Ravensburg Ende Februar, bei dem ein Kandidat für die Kommunalwahl beleidigt und geschlagen worden war. Der Mann habe angegeben, dass sich die Beleidigungen auf sein Partei-Engagement bezogen hätten, teilte die Polizei damals mit. Man gehe von einem politischen Hintergrund aus. Der Staatsschutz habe die Ermittlungen übernommen. Angriffe, wie die in Dresden und Amtzell, lösten in der Mitgliedschaft natürlich Beunruhigung aus, hieß es weiter. Gleichzeitig spüre man aber auch eine "Jetzt-erst-Recht"-Stimmung, hieß es dem SWR gegenüber.
Bei der FDP gab es bislang keine Zwischenfälle. Ein Sprecher des FDP-Landesverbandes sagte, von der Basis seien keine entsprechenden Vorfälle gemeldet worden.
Die CDU äußerte sich auf Nachfrage nur allgemein zum Thema. Generalsekretärin Nina Warken sagte: "Das politische Klima insgesamt ist rauer geworden - das spüren alle. Darauf versuchen wir unsere Kandidatinnen und Kandidaten auch bestmöglich vorzubereiten." Auch die CDU bietet Schulungen an. Außerdem gebe es in der Landesgeschäftsstelle einen Ansprechpartner Kommunales.
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Konfliktforscher: Ziel der Gewalt ist der Staat, nicht die Parteien
Auch der Konfliktforscher Uwe Wagschal von der Universität Freiburg sieht die Gewalt-Entwicklung bedenklich. Seiner Beobachtung zufolge richtet sich die Gewalt nicht gegen Parteien, sondern gegen den Staat an sich. In Dresden hätte es genauso gut Politiker anderer Parteien treffen können, vermutet Wagschal.
Die Gründe für die Entwicklung sieht er nicht allein in der Verrohung der Debatten, für die viele die rechten und linken Ränder verantwortlich machen. Er würde den zunehmenden Hass nicht nur den rechten Parteien zuschreiben, sagte Wagschal dem SWR. Teile der Bevölkerung seien auch "massiv" mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage unzufrieden. Die Menschen hätten wegen hoher Mieten und hoher Ausgaben immer weniger Geld zur Verfügung. Die Abstiegsängste nähmen zu, so Wagschal. Ein weiterer Punkt für Wagschal ist die sich verändernde Gesellschaft.
Er sieht ein Stadt-Land-Gefälle. Der ländliche Raum werde immer weiter abgehängt. Es gebe es immer weniger Vereine, Verbände und Parteien, in denen sich Menschen engagierten, so der Konfliktforscher. Kurzum: Es fehlten Begegnungsstätten, um sich auszutauschen und wo man sich aufgehoben fühle.
Statt viel Geld für die Demokratieförderung auszugeben und für Projekte in Städten, fordert er von der Politik mehr in den ländlichen Raum zu investieren beispielsweise in Vereinsstrukturen. Es müssten gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen werden.
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