Tanja Gönner, ehemalige baden-württembergische Ministerin, ist die erste Aufsichtsratschefin des VfB Stuttgart. Wie es dazu kam und was sie in diesem Amt vor hat, darüber hat die 54-Jährige mit SWR Sport gesprochen.
SWR-Sport: VfB-Präsident Claus Vogt wurde als Aufsichtsratsvorsitzender abgewählt. Sie sind seine Nachfolgerin. Wie kam es dazu?
Tanja Gönner: "Nach dem Einstieg von Porsche beim VfB Stuttgart stellte sich die Frage, wie sich der Aufsichtsrat aufstellt. Wir hatten Anfang Februar als Aufsichtsrat eine Gremienklausur. Dort wurde ich gebeten, einen Prozess zu moderieren, um zu schauen, wie wir dort zu einer guten Lösung kommen. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, habe versucht Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Ich gebe zu, dass ich nicht wirklich erfolgreich war. Danach wurde ich von einigen Kollegen aus dem Aufsichtsrat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, den Weg entsprechend zu gehen. Keiner der Beteiligten ist besonders glücklich darüber, dass wir den Weg gehen mussten. Aber für die Handlungsfähigkeit, die ein solches Gremium gerade in solch erfolgreichen Zeiten braucht, sind wir dann den Weg gegangen."
Sie sind seit Ihrer Kindheit VfB-Fan und seit September 2022 Mitglied des Aufsichtsrats. Wie hat sich Ihre Beziehung zum VfB seitdem verändert?
"Es ist natürlich spannend, wenn man in diesem Fußball-Geschäft hinter die Kulissen blickt. Klar ist, dass man extrem damit umgehen muss, dass sie auf der einen Seite diese Frage von wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb, damit sie sportlich erfolgreich sein können, mit dieser unglaublichen Emotionalität von Fan und Unterstützer zusammenbringen müssen. Dieses Spannungsfeld gut zusammenzubringen, das ist mir sehr, sehr deutlich geworden. Sportlicher Erfolg braucht eine wirtschaftlich solide Basis, er braucht Professionalität. Zugleich lebt dieser Sport von nichts anderem als den Emotionen, die man als Fan hat. Zu wissen, dass beides nur zusammen erfolgreich sein kann, ist für mich sehr viel deutlicher geworden, seit ich Mitglied im Aufsichtsrat bin."
Claus Vogt und Teile des Vereinsbeirats haben in einer Erklärung die Rechtmäßigkeit der Abstimmung angezweifelt. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Versprechen von Ex-Präsident Wolfgang Dietrich aus dem Jahr 2017 gebrochen wurde, der Präsident des Vereins sei automatisch auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Jetzt würde der Verein nicht mehr den Mitgliedern gehören. Was sagen Sie dazu?
"Ich bin tatsächlich auch in einem Auswahlverfahren von Claus Vogt in diesen Aufsichtsrat als Vertreterin des Vereins gewählt worden. Deswegen an der Stelle: Ich stehe natürlich auch für die Interessen des Vereins. Ich kann gut verstehen, dass insbesondere die Fans und auch die Ultras sagen: Für uns ist wichtig, dass wir, wenn uns Entscheidungen nicht gefallen, an der Stelle Zugriff haben über eine Mitgliederversammlung. Es wäre, wenn es nach mir geht, auch durchaus eine Lösung gewesen, jemanden aus dem Präsidium zu nehmen. Aber man muss wahnsinnig aufpassen, ob man jetzt ständig Bezug nimmt auf das, was 2017 war. Oder ob man sagt, Dinge haben sich weiterentwickelt. Ich würde mir wünschen, dass man mehr in die Zukunft schaut, um im Interesse des gesamten VfB erfolgreich sein zu können. An dieser Stelle würde ich gerne zweimal Claus Vogt zitieren: Er hat immer gesagt "Vom Ich zum Wir" sei etwas, was für ihn für den VfB wichtig ist und auch das Thema "Keiner ist größer als der Verein" - beides sind gerade Dinge, die mich bewegen, bei denen ich meinen Teil dazu beitragen will, dass wir erfolgreich sein können."
Wie wollen Sie den Spagat schaffen zwischen Kurve und Kapital?
"Zum einen ist unglaublich wichtig, dass man miteinander ins Gespräch kommt oder im Gespräch bleibt. Insofern biete ich der Kurve jederzeit das Gespräch an. Zum anderen ist mir immer wichtig, deutlich zu machen, dass man aufpassen muss: Die beiden Investoren beim VfB sind strategische Partner - sie bringen Geld ein, aber sie haben keine Renditeerwartung. Ich nehme die jeweiligen Vertreter der Partner auch so wahr, dass ihnen Werte genau so wichtig sind. Natürlich gibt es an der ein oder anderen Stelle unterschiedliche Auffassungen über die Frage, was ein professioneller, gesunder und wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb bedeutet. Aber insgesamt kennen unsere Partner genau so die Emotionalität."
Das heißt, an der "50+1-Regel" wird beim VfB Stuttgart nicht gerüttelt werden?
"50+1 ist die Grundlage des deutschen Fußballs. Hier spiegelt sich wider, was ich eingangs beschrieben habe: Auf der einen Seite brauche ich eine wirtschaftliche gesunde Basis und auf der anderen Seite brauche ich die Emotionalität. Dass ich Mitgliedervereine habe, dass ich Fans habe und diese das Gefühl haben, da ist etwas, was auch für sie ist. Insofern glaube ich, dass Deutschland, die DFL, der DFB und auch die Vereine sehr gut beraten sind, weiter 50+1 zu haben."
Könnten Sie sich vorstellen, bei der nächsten Mitgliederversammlung als Präsidentin anzutreten?
"Ich habe mich entschieden, mich als Aufsichtsratsvorsitzende zur Verfügung zu stellen. Weil aus meiner Sicht ein Aufsichtsrat ein Gremium ist, von dem man normalerweise in der Öffentlichkeit wenig hören sollte. Deshalb ist meine Antwort auf die Frage, ob ich das Präsidentenamt anstrebe, ein klares Nein."
Wie wird der Posten des Aufsichtsrats eigentlich honoriert?
"Das ist ein Ehrenamt. Es gibt eine Aufwandsentschädigung in einem mittleren vierstelligen Bereich für alle Aufsichtsratsmitglieder. Er ist ansonsten nicht dotiert und ich habe nicht vor, an der Stelle etwas zu verändern. Es ist ein Ehrenamt, es ist mir eine Ehre und es ist mir eine Freude. Gerade ist es eine Herausforderung, aber es geht darum, dass wir einzahlen auf die Ziele, die wir gemeinsam haben: nämlich einen erfolgreichen VfB Stuttgart. Und zwar mittel- und langfristig und dauerhaft und nicht mit einem Strohfeuer. Dafür sind wir gerade dabei, gute Grundlagen zu legen und da möchte ich meinen Teil dazu beitragen."