Kommentar

Staatstheater Karlsruhe setzt auf Digitalisierung – auch nach der Pandemie völlig legitim

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Hannah Schmidt
Hannah Schmidt

Das Badische Staatstheater Karlsruhe möchte unter der neuen Intendanz von Christian Firmbach ab September 2024 ein spartenübergreifendes Digitaltheater-Projekt realisieren. Von der Pandemie-Alternative zur neuen Realität – ist das eine gute Idee? Hannah Schmidt versteht die Frage nicht.

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Alle, die nach zwei Jahren Pandemie und hakeligen Opern- und Konzertstreams vor leeren Rängen gehofft hatten, mit dem Digitalitätswahn ist es jetzt vorbei – nun, die werden enttäuscht sein, vielleicht sogar empört.

Der Schauspiel- und Opernregisseur Kevin Barz leitet ab der Saison 24/25 das spartenübergreifende Projekt Digitaltheater in Karlsruhe und will sich dabei, so zumindest heißt es in der Pressemeldung des Theaters, „formell wie inhaltlich mit den Möglichkeiten und Fragestellungen der Digitalisierung auseinander(…)setzen“.

Dabei werde aber nicht der „Kernmoment des Theaters aus den Augen (… verloren)“: Es gehe immer noch um „die reelle Begegnung zwischen Spielenden und Zuschauenden in einem gemeinsamen Raum.“

Haben wir überhaupt noch vollständig analoge Räume?

Allein, dass das hier betont wird, zeigt, mit wie vielen Missverständnissen das Theater anscheinend rechnet. Der gemeinsame Raum, von dem gesprochen wird, wird zu einem Teil ein digitaler sein, hin und wieder wird vielleicht auch mal gestreamt. Aber Streaming analoger Performances im Jahr 2023 als Inbegriff der „Digitalisierung“ zu verstehen, wäre falsch.

Das Leben dieser Tage ist schließlich in einem solchen Maß durchdigitalisiert, dass man sich schon viel eher fragen kann: Welcher öffentliche Raum – außer die mutmaßlich unberührte Natur – funktioniert denn heute noch vollständig analog?

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Auch digitale Räume sind Räume der Begegnung 

Auf das Theater übertragen heißt das: Beginnt die Digitalisierung schon bei den Übertiteln oder bei eingebundenen Videos in Inszenierungen oder erst bei Live-Zuschaltungen in einer Performance? Ist Oper noch analog, wenn das Publikum im Vorhinein auf digitalem Weg in die Realisierung eingebunden wurde?

Andersherum geht das auch: Ab wann ist Theater denn NUR NOCH digital? Sind die Menschen, die dort auf der Bühne stehen, nicht trotzdem echt? Digitale Räume sind auch Räume der Begegnung – und zudem häufig auch noch sehr viel barrierefreier und interaktiver als der stille Sitz in der 25. Reihe.

 Eine Oper als Computerspiel, wieso nicht?

Die Frage: Ist ein Projekt Digitaltheater Schnickschnack oder längst überfällig? – ist vor diesem Hintergrund eine Frage mit wenig Sinn. Viel spannender ist doch, was für kreative Inszenierungen und Kunstgriffe einem Theater wie Karlsruhe einfallen und wie diese Ideen ästhetisch und inhaltlich aufgehen und wirken.

In einer extra Digitalsparte wie hier muss nicht unbedingt mit derzeit noch unbequemen und schweren VR-Brillen experimentiert oder alles fürs Streamingformat angepasst werden. Ein solcher Ansatz bietet ja genauso die Chance, zum Beispiel soziale Netzwerke als einen Ort der Kunst zu verstehen und einzubinden, vielleicht sogar live während der Interpretation – oder auch mit Gaming-Elementen zu experimentieren. Eine Oper als Computerspiel, wieso nicht?

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Digitale Tools sind genauso Mittel wie ein Kostüm oder ein Text

Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund macht es vor: Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. Digitale Tools sind letztendlich genauso einfach nur Mittel wie ein Kostüm, ein Spielort oder ein Text.

Auf ihren Einsatz kommt es an – und die sinnvolle, kreative, vielleicht innovative, vielleicht experimentelle Einbindung in eine künstlerische Idee. Wie es dann wirkt, werden wir sehen. Und diese lapidare Erkenntnis ist im Theater nun wirklich nichts Neues.

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