Diabetes-Typ-1 ist eine der häufigsten Stoffwechselerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Während der Corona-Pandemie haben Fachleute überall auf der Welt beobachtet, dass die Fallzahlen deutlich nach oben gingen. Studien deuten auf einen Zusammenhang mit Covid hin.
Rätselhafter Anstieg der Diabetes-Typ-1-Neuerkrankungen bei Kindern
Vor Corona war die Zahl der Diabetes-Typ-1-Neuerkrankungen bei Kindern relativ stabil, mit einer nur leicht steigenden Tendenz. Doch während der Pandemie haben Fachleute überall auf der Welt etwas beobachtet, über dessen Ursache sie bis heute rätseln – und das Ärzte und Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht hat: Die Fallzahlen gingen deutlich nach oben.
Diabetiker müssen sich bei jeder Mahlzeit Gedanken machen: Was passiert jetzt mit meinem Blutzucker? Was brauche ich an Insulin? Und zwar lebenslang, sagt Clemens Kamrath, Leiter der Kinderendokrinologie und -diabetologie an der Uniklinik Freiburg:
„Wenn wir mit den Eltern reden, was die Diagnose ist, dann fließen schon häufig auch Tränen. Das ist schon ein starker Einschnitt – gerade, wenn realisiert wird, dass die Erkrankung nicht wieder weggeht.“
Die Symptome von Diabetes-Typ-1 sind erst spät bemerkbar
Diabetes-Typ-1 ist eine unheilbare Autoimmun- und Stoffwechselkrankheit, die ohne Insulinbehandlung tödlich endet. Im Frühstadium – meist schon bei kleinen Kindern – zerstört das Immunsystem jene Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produzieren.
Weltdiabetestag Bessere Früherkennung von Diabetes-Typ-1 bei Kindern
Um Diabetes-Typ-1 früher zu erkennen, setzt sich eine europaweite Initiative für mehr Screenings ein. So könnten mehr Kinder vor einer gefährlichen Übersäuerung geschützt werden.
Das passiert im Verborgenen – über Monate oder gar Jahre. Erst im Stadium 3 zeigen sich Symptome: enormer Durst, hohe Urinmengen und Gewichtsverlust. Fachleute nennen das die Diabetes-Manifestation. Rund 3.500 solcher Manifestationen habe es in Deutschland bisher jährlich gegeben, sagt Clemens Kamrath. Dann kam Covid:
„Wir hatten in der Corona-Pandemie ein deutlichen sprunghaften Anstieg der Neuerkrankungsrate um etwa 20 Prozent pro Jahr. Also vorher zwei Prozent pro Jahr, dann 20 Prozent pro Jahr. Also etwa [eine] Verzehnfachung der Neuerkrankungsrate.“
Und zwar nicht nur hier, sondern weltweit – das zeigt eine Übersichtsarbeit, die Clemens Kamrath mit anderen Forschern erstellt hat. In Deutschland erkrankten demnach in den ersten anderthalb Pandemiejahren rund 670 Kinder mehr an Diabetes-Typ-1 als zu erwarten war.
Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Diabetes und Covid hin
Woran das liegt, kann bisher niemand sicher sagen. Denn die Datenlage ist unvollständig und teils widersprüchlich. Erklärungsansätze gibt es indes gleich mehrere: Manche Studien deuten darauf hin, dass eine Sars Cov2-Infektion den Autoimmunprozess ausgelöst haben könnte, bei dem das körpereigene Immunsystem die Insulinzellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört.
Andere Untersuchungen liefern Hinweise dafür, dass Covid eine schon laufende Zerstörung der Insulinzellen beschleunigt haben könnte. Eine dritte Hypothese geht in eine ganz andere Richtung: Demnach könnten die vielen neuen Diabetes-Fälle etwas mit den Pandemie-Schutzmaßnahmen zu tun haben – Stichwort Maskenpflicht und Homeschooling. Dazu Kamrath:
„Andere Infektionserkrankungen in der Zeit – was wir sonst im Winter haben: Influenza, RSV und alles andere – haben wir ja gar nicht mehr gesehen. Das heißt: Dieses Training für's Immunsystem, sich immer mit fremden Pathogenen auszutauschen, fehlte auch. Und ich denke, auch das kann Einfluss gehabt haben auf die Entstehung von Autoimmunerkrankungen.“
Wie eben dem Typ-1-Diabetes. Doch geklärt und bewiesen ist es noch nicht, betont Kamrath. Möglicherweise haben bei den unüblich vielen Diabetes-Ausbrüchen auch mehrere Faktoren zusammengespielt.
Diabetes-Neuerkrankungen wieder zurückgegangen
Sicher ist indes: Mittlerweile ist die Zahl der Diabetes-Neudiagnosen wieder zurückgegangen – und ist inzwischen sogar etwas niedriger als vor der Pandemie.
Vielleicht wird sich also in ein paar Jahren zeigen: Insgesamt gab es gar nicht mehr Fälle, sondern eine Vorverlagerung der Ausbrüche in die Jahre 2020 und 2021. Aber das muss die Zeit zeigen – und weitere Forschung.
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