Der fünfte Bildungsbericht für Baden-Württemberg ist jetzt vorgestellt worden. Dabei wurden Zahlen und Statistiken zur kompletten Bandbreite in Sachen Bildung vorgestellt. Das Bild war wie zu erwarten getrübt. Ein Kommentar von Anja Braun.
Insgesamt muss man wohl sagen, das Bild ist nicht heller geworden. Es gibt eine Menge an Herausforderungen, die hier im neuen Bildungsbericht für Baden Württemberg aufgefächert wurden. Und so hat sich zwar die Digitalisierung in den Schulen deutlich verbessert, aber das ist dann auch die einzige positive Errungenschaft.
Negativtrend setzt sich fort
Ob es sich bei den insgesamt sinkenden Schulleistungen um Spätfolgen der Pandemie handelt, lässt sich aus den Daten nicht ablesen. Allerdings war dieser Negativtrend schon vorher festgestellt worden. Zuviele Kinder haben keine Basiskompetenzen, zu viele verlassen das Schulsystem ohne Abschluss - es gibt viel zu wenig Lehrerinnen und Lehrer für die gestiegene Zahl von Schülerinnen und Schülern.
Dazu kommt die starke Koppelung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Diese Schere geht immer weiter auf. Und die Zahl der Kinder mit nicht-deutscher Familiensprache wächst - auch durch die Flüchtlingskrise. Das traditionelle Bildungssystem ächzt und stöhnt und schickt viele ohne Abschluss wieder auf die Straße. Der Bildungsbericht für BW beschönigt das nicht. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Doch was folgt daraus?
Bildungssektor braucht "langen Atem"
Es kommt mir ähnlich vor wie bei der Klimakrise - auch im Bereich Bildung scheinen Kipppunkte erreicht. Doch genauso langsam wie wir daran gehen, die klimakritischen Belastungen zu reduzieren, so schleichend wird versucht, die Probleme im Bereich Bildung aufzulösen. Für Baden-Württemberg formuliert es Kultusministerin Schopper so: Bildungspolitik braucht langen Atem - das geht nicht auf Knopfdruck.
"Langer Atem", "großer unbeweglicher Tanker Bildungssystem" - Bilder, die PolitikerInnen gerne nutzen, um zu zeigen, wie schwer es ist, da gegenzusteuern. Doch die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen geschehen mittlerweile sehr schnell und kommen oft auch so plötzlich, dass wir mit unseren kleinteiligen Bemühungen kaum messbar gegensteuern können.
Lehrkräftemangel großes Problem
So konnten wir zwar rund 52.000 aus der Ukraine geflüchteten Kinder ins Bildungssystem aufnehmen - aber um die wirklich gut zu integrieren, hätte es hier deutlich mehr Lehrkräfte und andere Unterstützer gebraucht. Aber viel mehr könnten wir auch nicht abfangen, denn das Bildungssystem hat kaum mehr Reserven.
Das zeigt sich schon ganz am Anfang einer Bildungskarriere: vor kurzem wurde mit der Kitaöffnungsklausel fachfremdes Personal in Kitas zugelassen - obwohl beschworen wird, dass sich mehr geschulte Kräfte um die Kleinsten kümmern sollen. Denn die Kita ein wichtiger Ort für den Spracherwerb. Jedes vierte Kitakind hat eine nichtdeutsche Familiensprache. Diese Kinder brauchen gezielte Unterstützung, damit sie später im Schulsystem mitkommen. Bisher klappt das nicht wirklich, denn immer noch 31% eines Einschulungsjahrganges haben Sprachförderbedarf.
Doch auch später in der Grundschule fehlen Lehrerinnen und Lehrer und selbst die Schulleitung will hier kaum noch einer geschenkt. Dabei sollen in der Grundschule neben der Sprache wichtige Basiskompetenzen vermittelt werden, die nötig sind, um überhaupt in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen.
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Viele bereits in der Grundschule abgehängt
In der Grundschule kommen Kids aus allen Schichten und mit den unterschiedlichsten Herkünften zusammen - das macht den Unterricht sehr herausfordernd. Hier sind wir nicht gut aufgestellt - jedes 4. Kind verlässt die Grundschule mit mangelhaften Kenntnissen im Rechnen, Lesen und Schreiben. Wer da nicht mitkommt, macht dann auch auf der weiterführenden Schule in der Regel keinen Schnitt mehr - und das führt zu der steigenden Zahl an Jugendlichen, die die Schule ganz ohne Abschluss verlassen.
Gegensteuern müsste man durch mehr Angebote, mehr Begleitung durch Lehrkräfte und andere motivierende Menschen im Schulumfeld. Was erwartet uns stattdessen? Ein Lehrkräftemangel in den nächsten 10 bis 15 Jahren. Hier brennt die Hütte bereits. Und die Zahlen von Lehramtsanwärtern - also den Lehrkräften der Zukunft - gehen immer weiter zurück. Sogar im Bereich Gymnasium, bei dem bisher die Welt noch weitestgehend in Ordnung war.
Zeit läuft davon
Während in den nächsten Jahren zwischen 0 bis 15 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler im baden-württembergischen Schulsystem erwartet werden, sieht es mit neuen Lehrerinnen und Lehrern recht mau aus. Doch es gibt kleine Ansätze, die Hoffnung machen wie zum Beispiel die Ausbildung von Lehrkräften durch ein duales Lehramtsstudium: Das startet als Testballon aber erstmal nur mit 60 Studierenden.
Reicht das wirklich aus? Ich meine, die Zeit läuft uns davon -ähnlich wie in der Klimakrise. Die negativen Auswirkungen werden sich potenzieren. Die Frage ist: Wann sind die Kippunkte der Bildung - in den Augen unserer Politikerinnen und Politiker - erreicht?
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