Fachleute beraten über das Ausweiten der Reihenuntersuchung von Babys auf ein genomisches Screening. Dabei würde das ganze Erbgut auf bestimmte genetische Krankheiten untersucht.
Neugeborene werden in Deutschland schon seit langem auf eine Reihe schwerer, seltener Erkrankungen getestet. Bei etwa einem von tausend Kindern wird eine solche Erkrankung entdeckt. Jetzt beraten Expertinnen und Experten darüber, ob die Reihenuntersuchung von Babys deutlich ausgeweitet werden sollte - und zwar auf ein sogenanntes genomisches Screening von Neugeborenen. Dabei würde dann das komplette Erbgut auf bestimmte genetische Erkrankungen untersucht. Ist das sinnvoll und ethisch vertretbar?
Digitale Zwillinge für Neugeborene entwickelt
Heute die Ausnahme, bald die Regel: Genetisches Screening für alle Babys?
Schon ein paar Tropfen Blut genügen, um viel über die Gesundheit eines Babys zu erfahren. Bisher beschränkt sich die Analyse der Proben auf bestimmte Krankheitsmarker im Blut; genetische Tests sind noch die Ausnahme. Aber das könnte sich in den nächsten Jahren ändern, wenn das Erbgut aller Neugeborenen gezielt nach genetischen Erkrankungen durchsucht wird. Damit könnte man viel mehr Krankheitsauslöser entdecken als derzeit - und den Betroffenen im Idealfall rasch helfen, sagt Prof. Christian Schaaf vom Uniklinikum Heidelberg:
Seltene Krankheiten – wenig Forschung, insgesamt viele Betroffene
Forschungsprojekt untersucht, wie ein Screening des Erbguts aussehen könnte
Im Forschungsprojekt "New Lives" untersucht ein Team aus Genetikern, Juristinnen und Fachleuten für Ethik schon seit eineinhalb Jahren, wie eine solche genomische Reihenuntersuchung aussehen könnte. Angesiedelt ist das Projekt am Uniklinikum Heidelberg und der Universität Mannheim.
Eine zentrale Frage: auf welche Krankheiten sollen die Neugeborenen überhaupt getestet werden? Es solle nur nach Krankheiten gesucht werden, die therapierbar seien, erklärt Christian Schaaf. Krankheiten, "für die therapeutische Maßnahmen oder Vorsorgemaßnahmen existieren, die den Krankheitsverlauf sehr, sehr günstig beeinflussen würden, wenn wir früh hier intervenieren." Außerdem solle es nur um Krankheiten gehen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im frühen Kindesalter manifestieren.
Fachleute streiten über den Umfang eines genomischen Neugeborenenscreenings
Etwa 100 bis 250 Krankheiten könnten einmal Gegenstand des genomweiten Screenings sein, schätzt der Heidelberger Genetiker. Welche es genau sein werden, darüber gehen die Meinungen allerdings schon jetzt auseinander.
Auch auf Krankheiten, die nicht heilbar sind, sollte getestet werden, meint Verena Romero. Ihre Tochter hat das Dup15q-Syndrom, ein seltenes neurologisches Leiden. Verena Romero hat einen Selbsthilfeverein für betroffene Familien gegründet und kämpft dafür, dass die Krankheit Bestandteil eines möglichen genetischen Screenings wird. Eine späte Diagnose bedeute viel Leid für die Betroffenen, sagt sie.
Seltene Erkrankungen: Betroffene Familien wollen Erbgut-Screening und Frühförderung
Keine Odyssee mehr von Arzt zu Arzt - das ist nur ein Ziel, das Verena Romero erreichen will. Sie möchte die kranken Kinder auch so früh wie möglich fördern. Es geht nicht um Heilung, aber um Lebensqualität.
"In den ersten sechs Lebensjahren ist die Neuroplastizität im Gehirn am größten. Das heißt, da kann man noch sehr viel machen, da ist das Gehirn formbar", sagt Romero. "Und wenn ich von Anfang an weiß, das Kind hat Dup15q, dann kann ich den Fokus auf die Sprachentwicklung legen, und sie dort unterstützen, dass sie eben eventuell in die Sprache kommen." Denn heute lernten viele Betroffene nicht sprechen.
Viele juristische und ethische Fragen zum genomischen Screening bei Babys
Auch juristisch wirft ein mögliches genomweites Screening viele Fragen auf. Schwierig ist schon die nötige Aufklärung der Familien.
"Da haben wir natürlich das Problem, dass wir entsprechend der Eingriffstiefe dieses genomischen Screenings die Eltern so aufklären müssen, dass sie wissen, worin sie einwilligen und welche Folgen sich möglicherweise kurz-, mittel- und langfristig daraus ergeben könnten", sagt Prof. Ralf Müller-Terpitz, Direktor des Instituts für Medizinrecht an der Uni Mannheim. Das werfe Fragen auf - zum Beispiel nach der Ausgestaltung der Einwilligung und wie viel Information man gebe.
Und vor allem: Wer soll die Eltern konkret aufklären? Nur mit einem Zettel und zwei Sätzen von der Hebamme wird es beim genomischen Screening nicht funktionieren. Ob Ärztinnen und Ärzte sich ausreichend Zeit nehmen können, ist auch fraglich.
Es könnte sich möglicherweise als neues Berufsbild der oder die "genetic counselor" etablieren - jemand mit guter Vorbildung in Genetik, der die Familien gründlich informiert. Natürlich auch darüber, was mit den gesammelten Daten passieren soll. Im Moment ist noch völlig offen, ob sie rasch vernichtet oder im Gegenteil lange gespeichert bleiben sollen.
Kommt das genomische Neugeborenenscreening?
Es gibt also noch viel Stoff für Diskussionen. Der Direktor der Heidelberger Instituts für Humangenetik, Christian Schaaf, ist trotzdem sicher, dass das genomische Screening kommen wird:
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