Tübinger Forschende konnten anhand von Mustern in fossilen Zähnen die Verwandtschaftsverhältnisse, Bevölkerungsentwicklung und Migration im eiszeitlichen Europa erschließen.
Was der eiszeitliche Klimawandel für die Migration und Bevölkerungsentwicklung der Steinzeitmenschen in Europa bedeutete, wird in der Archäologie schon lange diskutiert. Bisher stützten sich die Untersuchungen auf Artefakte wie Werkzeuge oder Kunstwerke oder auf DNA-Analysen. Eine internationale Forschergruppe der Universität Tübingen hat nun erfolgreich eine neue Informationsquelle erschlossen: Zähne.
Fossile Zähne ersetzen DNA-Analyse
Der Paläoanthropologe Dr. Hannes Rathmann konnte den fossilen Zähnen Informationen über die Bevölkerung der Eiszeit in Europa entlocken. Zähne eignen sich dafür gut, denn Zahnschmelz ist das härteste Gewebe im menschlichen Körper. Deshalb sind Zähne auch nach Zehntausenden Jahren meist noch gut erhalten und bilden ein einzigartiges Fenster in die Vergangenheit.
Für seine Forschung schaut sich Rathmann individuelle Zahnmerkmale der Fundstücke an - also kleine Varianten in den Furchen und Rillen auf der Zahnoberfläche. "Diese Zahnmerkmale sind vererbbar. Diese Varianten, die sind zurückzuführen auf den zugrunde liegenden genetischen Code. Das heißt, wir können anhand dieser Merkmale Verwandtschaft rekonstruieren, zwischen Individuen, ohne gut erhaltene DNA zu benötigen“, so Rathmann.
Menschliche Fossilien müssen nicht beschädigt werden
Auch DNA-Proben hätte das Tübinger Institut reichlich zur Verfügung. In seiner bedeutenden Sammlung lagern Skelette und Knochenreste von über 11.000 Individuen. Doch DNA aus jahrtausendealten Knochen ist oft nicht gut erhalten. Außerdem scheuen sich die Forschenden, die menschlichen Fossilien mit Werkzeugen zu beschädigen. Deshalb suchte der Tübinger Forscher eine alternative Informationsquelle.
Bessere Analysen der eiszeitlichen Zähne dank Künstlicher Intelligenz
In ihre Zahndatenbank pflegten Hannes Rathmann und seine Kollegin Judith Beier nicht nur vorhandene fossile Zähne ein, sondern auch entsprechende Daten aus alten Fotografien von Zähnen, die – in Kriegen etwa – verloren gegangen sind. So ließ sich die Datenbank auf eine breitere Basis stellen.
Beim Vergleich der Zahnmuster kam dann KI zum Einsatz: „Wir haben unsere gesammelten Zahn-Daten in ein KI-basiertes Computerprogramm eingespeist und haben damit ganz viele verschiedene demografische Szenarien getestet. Das sind Szenarien, die vorher in der Archäologie mal postuliert wurden“, so Rathmann. Das Modell gab dann an, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist.
Menschen zogen in der europäischen Eiszeit nach Süden
Nach diesem "wahrscheinlichsten" Szenario herrschte vor etwa 47.000 bis 28.000 Jahren ein reger Austausch in der Bevölkerung von West- und Osteuropa. Damals dominierten in Europa offene Steppenlandschaften, durch die große Herden von Säugetieren – die Hauptnahrungsquelle der Jäger und Sammler – zogen. Günstige Bedingungen für eine Durchmischung der Bevölkerung.
Das änderte sich, als die Eiszeit ihr Kältemaximum erreichte, erklärt Dr. Judith Beier: „Die Vergletscherung geht bis nach Norddeutschland, die Alpen sind vergletschert, und durch diese klimatischen Veränderungen verändert sich natürlich auch die Umwelt. Die Tierherden ziehen der Vegetation hinterher. Und mit den Tierherden wandern dann auch die Jäger- und Sammler-Populationen und ziehen sich dann während der Hochphase der Eiszeit in südliche Regionen zurück. Das sind beispielsweise Italien, die iberische Halbinsel, aber auch Südfrankreich.“
Klappt diese Analyse auch bei Skeletten?
Die Zahnforschung bestätigt, was bisher auf der Basis von Werkzeugen, Waffen und Kunstwerken vermutet wurde. Die Klima- und Umweltveränderungen in der kältesten Periode der Eiszeit hatten tiefgreifenden Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung und die Wanderungsbewegungen der Eiszeitmenschen. Hannes Rathmann und Judith Beier haben der Eiszeit mit der neuen Technik auf den Zahn gefühlt. Als nächstes wollen sie testen, ob die Methode auch mit Skeletten funktioniert.
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