Nach Pandemie und Lockdowns suchen immer mehr Erwachsene mit digitalem Suchtverhalten psychosomatische Spezialambulanzen auf. Welche Ursachen hat die Sucht nach digitalen Medien in der Altersgruppe von Menschen über 30 Jahren?
Zahl der Betroffenen in höherer Altersgruppe gestiegen
Die Sucht nach digitalen Angeboten war bisher eher unter Menschen bis 30 Jahre verbreitet. Doch mit der Pandemie ist auch die Zahl der Menschen im Alter von 30 bis 67 Jahren angestiegen. Rund 25 Prozent mehr Betroffene haben allein in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz nach Hilfe gesucht, so Klaus Wölfling, Leiter der Ambulanz für Spielsucht in Mainz.
Andere Suchtkliniken berichten einen ähnlichen Anstieg gerade unter älteren Menschen. Nachdem während der Pandemie und den Lockdowns gewohnte Strukturen weggebrochen sind, haben sich gerade ältere Menschen oft einsam gefühlt und diesen Leerlauf mit sozialen Medien gefüllt.
Bei Menschen, die durch den Alterungsprozess etwas vereinsamen, würden ähnliche Mechanismen greifen, wie wir sie aus der Jugend oder dem jungen Erwachsenenalter kennen würden, so der Experte.
Belohnungssystem im Gehirn wird beim Konsumieren aktiviert
Die Betroffenen schaffen es dann nicht mehr, den eigenen Internetkonsum zu kontrollieren. Gerade die intensive Nutzung von Social Media kann dazu führen, von den dort angewandten Belohnungsstrukturen mit ihren Likes abhängig zu werden.
Hirnscans konnten zeigen, wie die Internetaktivität das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Im MRT könne man diesen Dopaminschub sehen, wenn ein Like auf einen Post erfolgt oder bei Nachrichten das blaue Häkchen für „gelesen“ erscheint, sagt Psychologe Wölfling.
Gerade diese Erregung, dieser Dopaminschub, wird dann immer wieder gesucht. Vor allem ältere Abhängige sind oft einsam und suchen im Internet Anschluss. Laut Wölfling würden die sozialen Medien aber auch die Computerspiele oder der erotische Chat im Prinzip diese Lücke füllen. So kann man schleichend in eine Abhängigkeit hineingeraten.
Dass Seniorinnen und Senioren eine Sucht entwickelt haben, fällt häufig zunächst ihren Kindern auf. Sie registrieren, dass die Eltern nicht mehr abwaschen oder einkaufen gehen, so der Mainzer Diplom-Psychologe. Die Betroffenen verlieren immer mehr die Kontrolle über ihren Alltag.
Wann gelten Personen als internetsüchtig?
Wenn sie sich bei einer Suchtambulanz melden, wird anhand von mehreren Kriterien geprüft, ob es sich tatsächlich um eine krankhafte Abhängigkeit handelt:
Eine lange Online-Spielzeit von mehr als zehn Stunden pro Tag vor dem Bildschirm reicht zum Beispiel alleine nicht aus, um eine Abhängigkeit zu bestätigen. Dazu müssen weitere Faktoren kommen. Eine Sucht äußert sich unter anderem folgendermaßen:
WHO: Internetsucht ist Kokain- und Alkoholabhängigkeit gleichgestellt
Während die Altersgruppe bis 45 Jahren vor allem Online-Rollenspiele und Egoshooter nutzt, suchen ältere Menschen im Internet eher nach sozialem Kontakt. Generell nutzen Männer tendenziell häufiger Online-Pornografie, Computer- oder Glücksspiele. Frauen ziehen Glücksspiele, soziale Netzwerke und Messengerdienste vor.
Inzwischen sind Internet-, Computer- oder Glücksspielsucht im Diagnoseschlüssel ICD-11 der WHO als Suchterkrankungen aufgenommen worden und damit der Kokain- und Alkoholabhängigkeit gleichgestellt. Bis zum Ende diesen Jahres will auch Deutschland die neuen Diagnoseschlüssel anwenden.
Abstinenzorientierte Therapie und Prävention
Doch wie kann den Menschen geholfen werden, in einer Zeit, in der das Internet für viele Erledigungen, wie zum Beispiel Fahrkartenkäufe, schlicht benötigt wird? Laut Wölfling mit einer sogenannten abstinenzorientierten Therapie.
Wichtig sei aber auch die Prävention, rät der Psychotherapeut. Jeder von uns brauche Ruhephasen für die gesundheitliche und seelische Balance - und das für sich selbst umzusetzen, sei eine der wichtigsten Aufgaben im digitalen Zeitalter.
Auf jeden Fall sollten Betroffene professionelle Hilfe suchen - etwa in einer Suchtberatung oder bei einem Arzt oder Psychologen.