Über 600.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland könnten unter einer krankhaften Nutzung von Social Media und digitalen Spielen leiden. Das ergibt eine aktuelle Längsschnittstudie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE).
Befragung vor und während der Pandemie
Zu dem nach eigenen Angaben „besorgniserregenden“ Ergebnissen kamen die Forschenden durch Umfragen: Die hat das Meinungsforschungsistitut Forsa zwischen 2019 und 2022 zu insgesamt fünf Zeitpunkten durchgeführt. Dabei wurden jeweils um die tausend junge Menschen zwischen 10 und 17 Jahren – sowie je einen Elternteil – zu ihrem Umgang mit digitalen Medien befragt. Berücksichtigt wurden dabei die sozialen Medien – darunter TikTok, Snapchat, Instagram aber auch WhatsApp – sowie Online- und Offline Spiele auf allen technischen Geräten.
Gaming- und Mediensucht nimmt rasant zu
Das Ergebnis: Über 6 Prozent der Minderjährigen zeigten bei der letzten Befragung vergangenen Sommer einen krankhaften Umgang mit Social Media – das sind doppelt so viel wie noch vor drei Jahren.
Auch der Anteil an Gamingsüchtigen lag bei über 6 Prozent – ein Wert, der sich im Vergleich zu vor der Pandemie ebenfalls verdoppelt hat. Der Zuwachs kommt hier überwiegend von Seiten der Mädchen, auch wenn der Anteil an Jungen mit Gamingsucht nach wie vor überwiegt. Und auch der soziale Hintergrund spielt eine Rolle: So sind Minderjährige aus ungünstigeren Bildungsverhältnissen oft stärker gefährdet, Suchtverhalten zu entwickeln.
Diese Warnzeichen deuten auf eine Sucht hin
Anzeichen für eine „problematische Nutzung“ sind sowohl bei Social Media als auch beim Gaming: Kontrollverust im Bezug auf Dauer und Frequenz der Nutzung, zunehmende Priorisierung gegenüber anderen Lebensinhalten sowie das Fortsetzen des Verhaltens trotz negativer Konsequenzen – die Nutzung wird als „krankhaft“ eingestuft, sobald ein solches Verhalten über 12 Monate durchgängig oder episodisch auftritt.
Krankhafte Nutzung hat körperliche und psychische Folgen
Auch die Nutzungsdauer stieg mit der Pandemie: Pathologische Nutzende verbringen mittlerweile durchschnittlich viereinhalb Stunden pro Tag auf sozialen Medien. Bei Gamingsüchtigen sind es sogar fast fünf Stunden täglich – eine Stunde länger als vor der Pandemie.
Das hat Folgen für Körper und Geist: Bis zu einem Drittel der Befragten gaben an, nach mehrstündiger Nutzung unter Beschwerden am Nacken, den Augen oder den Unterarmen zu leiden. Auch meldeten viele Befragte, dass sie oft nicht mit sozialen Medien aufhören können, obwohl sie vernünftigerweise besser hätten aufhören sollen.
Betroffene sind auf Hilfe angewiesen
Dennoch können Betroffene das Ausmaß ihres Mediengebrauchs häufig nicht einschätzen. Viele tragen das Suchtverhalten in das Erwachsenenalter, so die Ergebnisse einer skandinavischen Studie. Neunzig Prozent finden demnach ohne Therapeuten oder Hilfsangebote nicht selbstständig aus der Sucht heraus. DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm befürchtet, dass „wenn wir nicht rasch handeln, uns ein gesellschaftlicher Kontrollverlust droht und konkret dann bekommen wir eine Generation Mediensucht.“
Medien- und Gamingbranche fördert Suchtverhalten
Die Forschenden machen einerseits die Social Media- sowie Gamingindustrie für den gefährlichen Trend verantwortlich: Computerspiele und Social Media sind oft absichtlich so gestaltet, dass die Nutzenden möglichst lange online bleiben. Sie fördern so die Suchtgefahr.
Beim Gaming sorgen beispielsweise glücksspielähnliche Strukturen im Spiel dafür, dass Nutzende immer wieder zum Spiel zurückkommen. Sogenannte „Lootboxen“ wurden in Österreich bereits verboten – ein Schritt in die richtige Richtung, meinet Prof. Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes und Jugendalters am UKE.
Aufklärungsarbeit an Schulen
Neben Verboten kann auch Aufklärung dabei helfen, dass Kinder und Jugendliche solche psychologischen Tricks der Medien- und Gamingbranche erkennen. Hier sind vor allem Schulen und Eltern gefragt, eine gesunde und verantwortungsvolle Gaming- und Mediennutzung zu fördern.
Auf politischer Ebene wird derzeit der Einsatz von Mental-Health Coaches an 100 Modellschulen diskutiert. Diese sollten dann auch in Sachen digitaler Medienerziehung geschult werden, empfiehlt DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm.
Das können Eltern zu Hause tun
In den eigenen vier Wänden können feste Nutzungszeiten dabei helfen, eine übermäßigen Konsum von Sozialen Medien und digitalen Spielen vorzubeugen: Das Internationalen Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen empfiehlt eine Nutzungsdauer von Computer und Spielekonsolen von maximal einer Stunde pro Tag für 11 bis 13-jährige. Ab 14 Jahren sind maximal anderthalb Stunden empfohlen.
In der Familie festgelegte medienfreie Zeiträume können darüber hinaus gemeinsam verbracht werden und zeigen den Kindern Alternativen zur digitalen Freizeitgestaltung auf. Eltern sind so auch ein Vorbild für gesunde Mediennutzung. Weitere Hilfe für Betroffene sowie Angehörige gibt es auf www.mediensuchthilfe.info.