Evolutionär betrachtet, ist die Frage knifflig. Die Evolutionsforschung fragt ja meist nach dem Warum: Wozu ist Kunst gut? Theoretisch ist ja eine Welt denkbar, in der menschliche Wesen ihr Überleben genauso sichern wie wir – sie arbeiten, essen, pflanzen sich fort – produzieren aber keine Kunst, haben nicht einmal die Spur einer ästhetischen Erfahrung, malen keine Bilder und genießen auch nicht die Bilder von anderen. Die meisten Tiere brauchen das ja auch nicht. Zwar gibt es auch im Tierreich so etwas wie Attraktivität, sie spielt auch bei der Partnerwahl eine wichtige Rolle. Aber Attraktivität ist nicht das gleiche wie die Schönheit., die wir bei Kunstwerken erleben.
Was ist der Unterschied zwischen Schönheit und Attraktivität?
1. Dekoration: Gegenstände verzieren und ästhetisch anordnen
Wie hat sich nun also Kunst in der Evolution entwickelt? In den archäologischen Spuren lassen sich drei Phasen erkennen. In der ersten Phase begannen unsere Vorfahren damit, Dinge einfach zu verzieren, also in irgendeiner Form ästhetisch zu bearbeiten. Das können ockerfarbene Linien oder geritzte Kerben sein, mit denen Menschen vor mehr als 70.000 Jahren in Südafrika Steine dekorierten.
Doch die Entwicklung begann schon mit den frühen Werkzeugen. Vor zweieinhalb Millionen Jahren haben die frühen Vertreter der Gattung Homo begonnen, scharfkantige Steinwerkzeuge herzustellen. Diese Geröllsteine waren noch unförmig und offenbar reine Zweckgegenstände zum Bearbeiten von Stöcken und Fellen oder zum Graben. Doch rund 800.000 Jahre später tauchte dann eine neue Art von Werkzeugen auf: Faustkeile.
Bei diesen alten Faustkeilen fällt etwas auf: Die Menschen, die sie herstellten, müssen schon einen Sinn fürs Ästhetische gehabt haben. Viele sind erstaunlich symmetrisch – symmetrischer, als es rein vom Zweck her erforderlich gewesen wäre. Manche sind sogar unhandlich groß, so als ginge es eher darum, damit zu imponieren. Vor knapp zwei Millionen Jahren scheinen also die frühen Menschen mit irgendeinem ästhetischen Sinn – zumindest für Symmetrie – ausgestattet zu sein.
Anderes Beispiel: Neandertaler haben in der Bruniquel-Höhle in Frankreich vor 170.000 Jahren Tropfsteine abgebrochen und kreisförmig auf den Boden gestellt. Niemand weiß genau, warum, aber die fast perfekte Kreisform deutet darauf hin, dass auch hier ein gewisser ästhetischer Sinn eine Rolle spielte.
Das ist also die erste Stufe – Dekoration: Unsere Vorfahren haben angefangen, Dinge zu verzieren oder irgendwie ästhetisch anzuordnen.
2. Schmuck: Dinge zu dekorativen Zwecken herstellen
Die zweite Stufe ist Schmuck. Hier werden Gegenstände nicht nur verziert, sondern eigens zu dekorativen Zwecken hergestellt. Dazu gehören die durchlöcherten und mit Ocker eingefärbte Muschelschalen aus der südafrikanischen Blombos-Höhle und Marokko, beide um die 80.000 Jahre alt. Ähnlich alte Funde – wenn auch nicht so sicher datiert – stammen aus Israel und Algerien. Auch hier wurden die Gehäuse von Meeresschnecken offenbar zu Ketten aufgefädelt.
Ein wichtiges Merkmal von Schmuck ist, dass er auch schon eine symbolische Bedeutung hat, dass etwas zum Ausdruck gebracht werden soll. Schmuck hat häufig die Funktion, den Status und das Prestige seines Besitzers aufzuwerten. In Algerien wurden die Schmuckstücke aus Muschelschalen 200 Kilometer von der Küste entfernt gefunden, was als Beleg gewertet werden kann, dass für sie ein gewisser Aufwand betrieben wurde. Sie waren etwas wert. Wer den Schmuck trug, fiel auf.
3. Kunst: schöpferisches Gestalten
Die dritte Stufe schließlich ist die Kunst im eigentlichen Sinn. Dazu gehören die berühmten eiszeitlichen Skulpturen aus den Höhlen der Schwäbischen Alb, die Höhlen- und Felsmalereien in Frankreich, Spanien, aber auch am anderen Ende der Welt, in Australien.
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Kunstwerke haben wie Schmuck einen symbolischen Gehalt, aber nochmal auf einer anderen Ebene. Sie stellen etwas dar, sie bilden etwas ab, verweisen auf etwas Äußeres. Kunstwerke verlangen somit nochmal andere kognitive Leistungen als Schmuck. Die ältesten Kunstwerke aus der Schwäbischen Alb oder Australien sind etwa 40.000 Jahre alt und somit deutlich jünger als der älteste Schmuck.
Deko – Schmuck – Kunst: 3 Stufen spiegeln kognitive Entwicklung
Dekoration – Schmuck – und schließlich Kunst, das war also die Abfolge. Wie es genau zu dieser Entwicklung kam, darüber gibt es viele Theorien, aber ihr gemeinsamer Nenner ist, dass diese Abfolge eine gewisse kognitive Entwicklung widerspiegelt, insbesondere was die Fähigkeit zum symbolischen Denken betrifft. Dabei könnte auch die Entstehung der Sprache eine wichtige Rolle gespielt haben. Frühe Formen von Sprache entwickelten sich mutmaßlich vor rund 250.000 Jahren, möglicherweise aber auch schon deutlich früher. Zur Sprache gehört, dass es Wörter oder Laute gibt, denen eine Bedeutung zugeschrieben wird. Ein Wort bezeichnet etwas. So wie Schmuck oder Kunstwerke Zeichen für etwas sind.
Das symbolische Denken war somit eine Voraussetzung sowohl für Sprache als auch für Kunst – und möglicherweise haben sich beide Fähigkeiten gegenseitig befruchtet.
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