Intelligenz: umstrittenes Konzept der Psychologie
Intelligenz ist eines der umstrittensten Konzepte – oder wie Wissenschaftler sagen: Konstrukte – der ganzen Psychologie. Was aber genau ist Intelligenz? Darüber stritten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jahrzehntelang erbittert, und ein Stück weit tun sie es immer noch. Doch es gibt Fortschritte, versichert der Psychologie-Professor Aljoscha Neubauer von der Universität Graz.
In den 1990er-Jahren organisierte die US-amerikanische Psychologenvereinigung eine ausgewogen besetzte Taskforce von Intelligenzforschern. Heraus kam eine allgemein akzeptierte Definition, was das Wort Intelligenz im Kern bedeuten solle. Diese Definition ist laut Prof. Aljoscha Neubauer im Wesentlichen:
Das klingt, als ob Intelligenz ein ganzes Bündel von Fähigkeiten wäre, die nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben. Manche Autoren postulieren denn auch ganz verschiedene Intelligenzen. Die Sammlung des Psychologen und Bestseller-Autors Howard Gardner etwa reicht von der logisch-mathematischen über die musikalisch-rhythmische bis zur naturalistischen Intelligenz.
Intelligenz hat mehr Einfluss auf die Zukunft als die soziale Herkunft
Wovon Intelligenz abhängt, ist wichtig, weil sie über vieles im Leben mitentscheidet – etwa darüber, wie weit es eine Person im Beruf bringt und was sie verdient. Das haben Wissenschaftler des Kieler Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik um Michael Becker gemeinsam mit Kollegen vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in einer 2019 veröffentlichten Studie bewiesen.
Für die Studie hatten gut 5.000 repräsentativ ausgewählte deutsche Siebtklässler Intelligenztests ausgefüllt und dazu die Berufe der Eltern angegeben. 18 Jahre später überprüften die Forscher, was aus den Kindern geworden war. Es zeigte sich: Die schon in jungen Jahren feststellbare Intelligenz sagt den beruflichen Status und das Einkommen besser vorher als es der berufliche Status der Eltern tut.
Intelligente leben länger und lassen sich seltener scheiden
Auch bei Dingen im Leben, die auf den ersten Blick nicht viel mit geistigen Fähigkeiten zu tun haben, spielt die Intelligenz eine Rolle. So sind intelligentere Kinder als Erwachsene später mit Mitte 40 deutlich häufiger verheiratet und seltener geschieden als weniger intelligente.
Intelligente leben außerdem länger – das hat Ian Deary, mittlerweile emeritierter Psychologieprofessor der University of Edinburgh, und sein Team in etlichen Studien bestätigt. Eine Million schwedische Männer hatten bei der Musterung zum Militär einen Intelligenztest absolviert. Durchschnittlich 20 Jahre später waren knapp 15.000 von ihnen verstorben, es traf vor allem die weniger Intelligenten. Ähnliches zeigte sich bei gut 4.000 früheren Angehörigen der US-Armee. Die Männer im untersten IQ-Bereich ereilte der Herztod viermal häufiger als die im obersten. Ein niedriger Intelligenzquotient war damit genau so riskant wie das Rauchen.
Netzwerke im Gehirn intelligenter Menschen
Lässt sich das Gehirn direkt verändern? Ein Experte für solche Fragen ist der Psychologie-Professor Richard Haier von der University of California in Irvine. Er hat erforscht, wie die Gehirne von intelligenten und weniger intelligenten Menschen aussehen. Eine seiner Studien belegt, was viele für eine längst überholte, absurde Vorstellung halten: Die Größe spielt tatsächlich eine Rolle.
Ausschließlich auf die Hirngröße zu sehen, wäre allerdings zu simpel. Forscher wie Richard Haier können inzwischen eingrenzen, welche Teile des Gehirns mit intelligentem Denken beschäftigt sind. Sie sitzen vor allem ganz vorne im Gehirn, ganz hinten und an den Seiten. Sie sind miteinander verbunden, sodass Netzwerke entstehen.
Effizient verdrahtet: Gehirn intelligenter Menschen strengt sich weniger an
Man könnte nun vermuten, dass bei besonders intelligenten Menschen die fürs Denken zuständigen Strukturen heiß laufen, wenn sie besonders stark gefordert sind. Doch keineswegs. Das Gehirn von besonders intelligenten Menschen strengt sich weniger an als das von anderen. Es hat gelernt, Denkaufgaben mit weniger Aufwand zu erledigen. Das geht offenbar dann, wenn die Nervenzellen effizienter miteinander verdrahtet sind. Doch Richard Haier sieht derzeit noch keine Möglichkeit, die Gehirnleistung künstlich zu erhöhen.
Kann Training die Intelligenz fördern?
Als Karl Josef Klauer, Professor für Erziehungswissenschaft an der RWTH Aachen, vor 20 Jahren seine Förderprogramme vorstellte, waren zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler skeptisch. Denn viele Versuche, die Intelligenz von Kindern zu erhöhen, hatten nur wenig gebracht. So schlug Klauer jede Menge Kritik aus der Wissenschaft entgegen.
Doch Klauer konnte beweisen, dass seine Trainings tatsächlich die Intelligenz erhöhen, um fünf bis zehn IQ-Punkte. Auch heute sind seine Förderprogramme im Einsatz, zum Beispiel das Programm „Elfe und Mathis“ speziell für Kinder. Der Zuwachs, den Klauers Programme bewirken können, ist zwar nicht riesig, aber auch nicht zu verachten. Doch ein solches Training bedeutet natürlich Arbeit.
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