Thea, Pepper, Mario oder Anna – Roboter, die für Entlastung in der Pflege sorgen sollen, haben menschliche Namen. Aber können sie Menschen wirklich ersetzen? Und wenn ja, dann wo?
Richtig eingesetzt soll jedes maschinelle System jedem Menschen individuell behilflich sein. Defizite ausgleichen, Kompetenzen stärken. Und das Personal entlasten. Zum Beispiel auch jetzt in der Corona-Pandemie. Vorstellbar ist, dass ein Roboter im Eingangsbereich eines Heimes den Besucherinnen und Besuchern die Hygienevorschriften erklärt und ihre Körpertemperatur misst – wie es gerade in einem Seniorenheim in Linz in Österreich getestet wird. Ist ein Roboter im Haus unterwegs, könnte er die Menschen immer wieder daran erinnern, den gebotenen Abstand zu wahren.
Eine aktuelle Robotik-Idee aus Thailand mit ferngesteuerten Karren, die den Patientinnen und Patienten Essen und Medikamente bringen, ist hierzulande allerdings keine Option; der menschliche Kontakt ist in dieser Situation wichtiger. Ständig müssen neue Möglichkeiten ausgelotet und Grenzen gezogen werden – denn die technische Entwicklung geht weiter.
Skat spielen mit dem Roboter
Der Roboter ANNA ist etwa einen Meter sechzig hoch und sieht aus wie eine übergroße Halma-Figur. Auf dem cremefarbenen kegelförmigen Unterbau dreht sich ein durchsichtiger Kugelkopf hin und her. Zwei nachgebildete Augen im Inneren dieser Kugel sind ständig in Bewegung auf der Suche nach einem Dialogpartner, Leuchtdioden blinken immer wieder auf, um Aufmerksamkeit zu erwecken und zu signalisieren.
Obenauf ist eine 3-D-Kamera angebracht, die sich schwenkend und neigend alle Aktionen und Reaktionen rundum aufzeichnet. Und am Rücken trägt der Roboter einen großen Touch-Bildschirm, an dem auch schon mit ihm Skat gespielt wurde. ANNA soll die Demenztherapie unterstützen.
ANNA zeichnet Audio- und Bilddateien auf, und die beteiligten Fachleute der HWT Dresden sehen sich das Material regelmäßig an, um heraus zu finden, ob der Roboter eine stimulierende Wirkung auf leicht demente Frauen und Männer hat. So wird in Dresdner Altenheimen überprüft, ob der Roboter die Demenztherapie bereichert.
Pflegeroboter im Bundestag
Auch im Bundestag wird über Pflegeroboter beraten. Es geht um die technischen Möglichkeiten und die Grenzen ihrer Anwendung. Zum einen möchte die Bundesregierung die zweckmäßige Weiterentwicklung der Technik fördern: In vier neuen Pflege-Praxiszentren in Hannover, Freiburg, Nürnberg und Berlin wird in den nächsten Jahren die Zukunft der pflegerischen Versorgung erprobt.
Zum anderen erfordert der rasante technische Fortschritt eindeutige politische Richtlinien, juristische Regelungen und die Klärung ethischer Fragen. Bei einem komplexen Thema wie den Pflegerobotern berät auch der Deutsche Ethikrat den Bundestag – Adelheid Kuhlmey, Medizinsoziologin und Gerontologin, ist dort Mitglied.
Kuhlmey fordert einen TÜV für die Pflege-Robotik, der neu entwickelte Systeme erst freigeben muss. So sollen sich Technikerinnen und Techniker mit ihren Entwicklungen den Menschen und ihrem Alltag stellen und in Zukunft noch genauer prüfen , welche rechtlichen und auch ethischen Aspekte und Probleme sie berühren.
Selbstständigkeit im Alter
Die Gerontologin orientiert sich an positiven Altersbildern. Der Erhalt der Selbstständigkeit im Alter ist ihr Wegweiser. Eine richtige und gute Technik unterstützt also die Autonomie der Person, die Hilfe braucht.
Es ist eine Gratwanderung – wie lange und auf welche Weise fördert ein so genanntes selbst lernendes Computersystem die Autonomie einer Person? Eine Maschine, die diese Person analysiert, die ihr Verhalten, ihre Bewegungen, ihre Gestik und Mimik und ihre Äußerungen aufnimmt, daraus Schlüsse zieht und dann nach technischen Vorgaben eigenständig handelt.
Mensch und Maschine „interagieren“ und arbeiten direkt zusammen mit gemeinsamen Zielen und Unterzielen. Welche selbstbestimmte Rolle dabei der Mensch, welche Rolle die Maschine einnimmt, kann nur für jeden Einzelfall immer wieder neu abgewogen werden - gerade bei Menschen, deren Körper und Geist alters- oder krankheitsbedingt nachlassen.
Landbevölkerung ist offener
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesforschungsministeriums im Jahr 2015 ergab, dass 26 Prozent der befragten Deutschen sich vorstellen können, von Robotern gepflegt zu werden – die Landbevölkerung zeigt sich dabei insgesamt aufgeschlossener für neue Technologien als Städterinnen und Städter.
In dem EU-Projekt MARIO wurden zum ersten Mal humanoide Assistenzroboter bei isolierten oder dementen älteren Menschen über ein Jahr lang konstant im privaten Zuhause eingesetzt: in Irland, Italien und Großbritannien. Die Universität Passau beteiligte sich mit der Sprachsoftware an dem Roboter.
Das MARIO-Projekt gilt seit Anfang 2018 als erfolgreich abgeschlossen: Die Pflegepatientinnen und -patienten konnten sichtbar autonomer leben, ihre Isolation wurde reduziert. Ein großer Vorteil: ihre Pflegekräfte mussten weniger Alltagsdinge erledigen und hatten mehr Zeit, sich den Menschen persönlich zu widmen.
Private Daten und passgenaue Hilfe
Daneben zeigte sich: Wenn MARIO zum Beispiel mit einem Pulsarmband der alten Menschen verbunden war, konnte er auch Pulsveränderungen als Signal verstehen und reagieren – je nach eingespeicherter oder eingeschätzter Gefahrenlage ein Getränk holen oder einen Notruf absetzen. Je mehr private Daten ein Robotersystem kennt, desto passgenauer kann es helfen.
Von Seiten der Gesetzgeber muss es darum klare Vorgaben für die Pflegeroboter geben, national wie international. Darauf warten viele Hersteller. Noch sind die Prototypen der Assistenz-Roboter mit Kosten um die 20.000 Euro zu teuer, um flächendeckend eingesetzt zu werden. Doch es steht fest: Die Robotik wird die Pflege und das Leben im Alter verändern. Die Maschinen werden das Pflegepersonal sicher nicht vollständig ersetzen, aber einige Lücken füllen und vielleicht auch zuweilen eine Alternative sein.
SWR 2019/2020
Reihe: künstliche Intelligenz
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