Pablo Picasso gilt als Genie, Jahrhundertkünstler und revolutionärer Erfinder des Kubismus. Doch 50 Jahre nach seinem Tod rütteln Feministinnen und Kunsthistorikerinnen an seinem Sockel. Sie fordern eine stärkere Auseinandersetzung mit seinem problematischen Frauenbild.
War Pablo Picasso ein Frauenhasser?
Pablo Picasso starb am 8. April 1973. Heute, 50 Jahre später ist der Protest gegen den Künstler laut, manchmal schrill – und bekommt vor allem im Netz viel Aufmerksamkeit. Feministinnen werfen Picasso Sexismus und ein antiquiertes Frauenbild vor – manche sogar häusliche Gewalt oder Vergewaltigung.
Eine der lautesten Picasso-Kritikerinnen ist die australische Comedienne Hannah Gadsby. In ihrer Show „Nanette“ auf Netflix, arbeitet sie sich an dem Künstler ab, verurteilt ihn als Frauenhasser, dem bis heute zu viel Ruhm und Ehre zu teil werde.
Kubismus als Wegbereiter der abstrakten Kunst
Dem Kubismus wird heute in der Kunstgeschichte große Bedeutung zugeschrieben. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entwickelt Picasso diesen Stil gemeinsam mit seinem Künstler-Kollegen Georges Braque. Sie malen zersplitterte Körper und Gegenstände, experimentieren mit Perspektiven – und gelten damit als wichtige Wegbereiter der abstrakten Kunst.
Picasso habe die Kunstgeschichte wie kein anderer geprägt, sagt die Kunsthistorikerin Ann-Kathrin Hahn vom Picasso Museum in Münster. „Insofern kommen wir an Picasso – zum Guten und zum Schlechten – nicht vorbei.“
Der männliche Blick aufs weibliche Modell
Biografie und Werk des Künstlers bieten jede Menge Material und Angriffsfläche für feministische Kritik: Seine Kunst ist ein Paradebeispiel für den sogenannten „male gaze“, den Blick des männlichen Künstlers auf das weibliche Modell.
Immer und immer wieder porträtiert Picasso die Frauen, mit denen er gerade zusammen ist – und das sind im Laufe seines Lebens ziemlich viele. Frauen spielen also eine zentrale Rolle in Picassos Werk, aber eben nur eine passive Rolle, kritisiert die Komikerin Hannah Gadsby.
„Der Kubismus ist wichtig. Das ist er wirklich. Er hat alles verändert. Die klassische Fluchtpunkt-Perspektive, die Illusion, dass es die eine stabile Sicht auf die Welt geben würde, das hat Picasso über den Haufen geworfen“, sagt Gadsby. „Picasso hat gesagt: Nein! Ihr könnt ALLE Perspektiven auf einmal haben. Von oben, von unten, von der Seite, alles zugleich! Danke, Picasso. Was für ein Typ. Was für ein Held. Aber sagt mal – war irgendeine dieser Perspektiven weiblich?“
Marie-Thérèse Walter war erst 17
Gadsby geht noch weiter: In ihrer Show vergleicht sie Picasso mit dem wegen Vergewaltigung verurteilten Filmproduzenten Harvey Weinstein. Sein Fall hatte 2017 die #MeToo-Debatte ausgelöst.
Und sie verurteilt Picassos Beziehung zu einer Minderjährigen, der erst 17-jährigen Marie-Thérèse Walter. 1927 lernen sich die junge Frau und Pablo Picasso kennen, mitten in Paris, auf der Straße. Sie ist 17, er Mitte 40 und längst ein berühmter und gefeierter Künstler.
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Mit Michael Struck-Schloen
„Er hat mich angeschaut und dann hat er mich angesprochen. Er hat gesagt: Mademoiselle, Sie haben ein interessantes Gesicht. Ich würde Sie gerne porträtieren“, erinnert sich Walter später. „Ich habe das Gefühl, wir werden großartige Dinge zusammen machen.“
Liebesbeziehungen befeuern Picassos Kreativität
Der Künstler lebt damals noch mit einer anderen Frau zusammen: der Tänzerin Olga Koklova, die er knapp zehn Jahre zuvor geheiratet hatte. Picassos Beziehung zu Marie-Thérèse Walter wurde als besonders leidenschaftlich beschrieben – und diese Leidenschaft, urteilten Biografen und Kunsthistoriker, spiegle sich in den unzähligen Porträts, die er von ihr geschaffen hat.
1935 bekommt Marie-Thérèse Walter ein Kind von Picasso: Maya. Der Künstler kümmert sich zwar um Mutter und Tochter, beginnt aber kurz nach der Geburt eine neue Beziehung mit der Fotografin Dora Maar.
Dennoch bleibt Picasso wichtig für Marie-Thérèse Walter – später lebt sie in Südfrankreich nur wenige Kilometer von ihm entfernt. Der Tod des Künstlers am 8. April 1973 trifft sie sehr.
Sie habe die Beziehung mit ihm nie bereut, sagt sie nach seinem Tod im ersten und einzigen Radio-Interview, das sie je gegeben hat. Picasso habe sich gut um sie gekümmert. Gut drei Jahre nach diesem Interview nimmt sich Marie-Thérèse Walter das Leben.
Dora Maar hört für Picasso mit der Kunst auf
1935 trifft Picasso Dora Maar. Anders als Marie-Thérèse Walter ist Dora Maar selbst Künstlerin. Als sie Picasso kennenlernt, hatte sie bereits mehrere Jahre erfolgreich als Mode- und Werbefotografin gearbeitet, ein eigenes Atelier eröffnet – und gehört jetzt zum Kreis der Pariser Surrealisten. Die Gruppe um Schriftsteller und Künstler wie André Breton, Paul Eluard und Man Ray sucht ihre Inspiration in Träumen und im Unterbewussten.
In Picassos Kunst taucht Dora Maar ab 1936 auf, zunächst noch parallel zu MarieThérèse Walter. Berühmt wurde das Gemälde „Die Weinende“. Es zeigt das Gesicht von Dora Maar aus nächster Nähe – verzerrt, zersplittert, in Tränen aufgelöst.
Feministinnen wie Maria Llopis interpretieren dieses Bild als Hinweis, dass Picasso Dora Maar misshandelt haben könnte. Kunsthistoriker deuten es hingegen eher als Reaktion auf den spanischen Bürgerkrieg: Sie sehen in Dora Maar eine moderne Mater Dolorosa, die nicht wegen Picasso, sondern wegen General Franco weint.
Dora Maar: „Seine Porträts sind alles Lügen“
Dora Maar jedenfalls hat sich in den Bildern, die Picasso von ihr malte, nicht wiedergefunden. „Seine Porträts von mir sind ohnehin alles Lügen. Es sind allesamt Picassos, kein einziges davon ist Dora Maar“, hat sie einmal gesagt.
1943 lernt Picasso die junge Künstlerin Francoise Gilot kennen, die schon bald den Platz an seiner Seite einnehmen wird. Dora Maar geht es in der Zeit der Trennung psychisch schlecht, 1945 bricht sie zusammen und wird eine Zeit lang in einer Klinik behandelt.
Picasso macht dafür nicht etwa das Ende ihrer Beziehung, sondern den Einfluss der Surrealisten verantwortlich, von denen bereits mehrere psychisch erkrankt seien.
Francoise Gilot wagt als Einzige die Trennung
1943 trifft Picasso Francoise Gilot. Sie ist Anfang 20, er Anfang 60. Genau wie ihre Vorgängerin Dora Maar ist auch Francoise Gilot Künstlerin. Auf die Beziehung mit Picasso lässt sie sich nur zögerlich ein, wie sie später sagt.
Trotzdem bleibt Francoise Gilot zehn Jahre mit Picasso zusammen und bekommt zwei Kinder mit ihm. In dieser Zeit versucht sie, auch ihre eigene Karriere als Künstlerin voranzubringen. Schwierig an der Seite eines Picasso, meint Kunsthistorikerin Ann-Katrin Hahn.
„Picasso war der größte und bedeutendste Künstler ihrer Zeit. Und als ehrgeizige Künstlerin wollte sie da gerne den Dialog eingehen und hat mit Sicherheit anfangs unterschätzt, dass sie von ihm in diese private Hausfrauen- und Mutterrolle reingedrängt wird“, meint Kunsthistorikerin Ann-Katrin Hahn. „Sie hat naiverweise gedacht, dass sie als Künstlerin an seiner Seite stärker reüssieren könnte – und das lässt er eben nicht zu.“
1953 trennt sich Francoise Gilot von Picasso, um ihren eigenen Weg zu gehen. Sie ist die erste und einzige Frau, die ihm den Rücken kehrt. Und dafür lässt er sie bezahlen. Picasso sorgt dafür, dass sie in Paris nicht mehr ausstellen kann.
Ein Sexist, aber kein Krimineller
Die französische Museumsdirektorin Cécile Debray scheint deutlich genervt von manch feministischer Kritik an Picasso. Der Künstler sei kein Krimineller gewesen. Dennoch: Die #MeToo-Debatte hält Cécile Debray für wichtig und einen Teil der Picasso-Kritik kann sie durchaus nachvollziehen.
Denn ein Macho und ein Sexist war der Künstler sehr wohl, räumt sie ein. Er sei in einer sehr patriarchalen Gesellschaft in Südspanien groß geworden. „Er war damals sicherlich keine Ausnahme – aber ja: Heute erscheint uns sein Verhalten gegenüber Frauen nicht mehr akzeptabel. Er war unerträglich in seiner dominanten Männlichkeit. Ich bin die erste, die das zugibt.“
Picassos Werk hat viele Gesichter
Picasso-Ausstellungen über fünf Jahre nach Beginn der #MeToo-Debatte, eine knifflige Aufgabe. Dass man den Künstler nicht mehr unhinterfragt als das größte Genie des 20. Jahrhunderts präsentieren kann, da scheinen sich viele Museumsleute einig. Gleichzeitig gilt es, sein Werk trotz aller Kritik weiterhin zu würdigen.
Picassos Werk, sagt Yilmaz Dziewior vom Museum Ludwig in Köln, habe viele Gesichter: Neben dem sexistischen Picasso sei da auch der politische Picasso, der selbstironische Picasso, der mythologische Picasso oder der verzweifelte Picasso als alter Mann. All das gelte es in Ausstellungen zu zeigen und immer wieder neu zu entdecken.
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