Ein Hollywoodfilm mit Peter O'Toole und Anthony Quinn machte den britischen Offizier, Archäologen und Schriftsteller T.E. Lawrence zum Mythos. Doch welche Rolle spielte Lawrence wirklich im Ersten Weltkrieg?
Lawrence von Arabien – ein Mythos zu Lebzeiten
Der britische Leutnant Thomas Edward Lawrence führte im Ersten Weltkrieg im Auftrag des britischen Geheimdienstes arabische Stämme in einen Wüstenkrieg gegen das Osmanische Reich, den Verbündeten Deutschlands. Lawrence versprach den Kämpfern eine freie arabische Nation, doch nach dem Krieg teilten Briten und Franzosen den Nahen Osten unter sich auf, die Araber gingen leer aus.
Trotzdem wurde Lawrence von Arabien schon zu Lebzeiten zu einem Mythos. Was ist davon geblieben?
Podcast „Score Snacks“ über die Filmmusik zu Lawrence von Arabien
Thomas Edward Lawrence – ein Junge aus Wales
Thomas Edward Lawrence wird am 16. August 1888 im walisischen Dorf Tremadog geboren. Er ist der zweite von fünf Söhnen, die einer Beziehung seines Vaters Thomas Robert Chapman mit der Kinderfrau der Familie, Sarah Junner, entstammen. Die Eltern bleiben zeitlebens unverheiratet und nehmen nach dem Wegzug nach Oxford einen anderen Namen an: Lawrence.
In Oxford erhält Thomas eine exzellente humanistische Schulausbildung. Der junge Schöngeist begeistert sich für Archäologie, vor allem für die Kreuzfahrerburgen im Heiligen Land. Lawrence studiert Geschichte und reist ab 1910 allein nach Karkemisch ins heutige türkisch-syrische Grenzgebiet, wo er an Ausgrabungen teilnimmt und sich kartografische Kenntnisse aneignet.
Vermutlich auf Empfehlung seines Mentors, des Oxforder Archäologen David Hogarth, erhält Lawrence einen Posten in der geografischen Abteilung des britischen Generalstabs. Sie ist für die Erstellung von Landkarten des Vorderen Orients zuständig. Sein Wissen über die arabische Welt und einigermaßen gute Sprachkenntnisse machen Lawrence für die Arbeit zur ersten Wahl. Nach Kriegsbeginn wird die Abteilung nach Kairo verlegt.
Osmanisches Reich 1914: Kriegseintritt an der Seite Deutschlands
Im Herbst 1914 tritt das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands in den Krieg ein und ruft prompt zum Heiligen Krieg gegen Deutschlands Feinde auf. Das Osmanische Reich umfasst zu dieser Zeit die gesamte Arabische Halbinsel und damit die heutigen Staaten Syrien, Irak, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien einschließlich der heiligsten Stätten des Islam sowie Israel und Palästina. Die Kontrolle über das riesige Gebiet liegt im Wesentlichen bei den arabischen Scherifs, alteingesessenen Familiendynastien, die vom Propheten Mohammed abstammen. Sie werden von den osmanischen Herrschern am Bosporus akzeptiert.
Diese Konstellation wollen sich die Briten zunutze machen, nachdem sie in der Schlacht vor Gallipoli gerade eine verheerende Niederlage gegen die Osmanen erlitten haben. Sie wollen einen Aufstand der Araber gegen die Osmanen unterstützen.
Araber streben nach Unabhängigkeit
Der Mann, der diesen Aufstand gegen die Türken in Gang bringen soll, ist Lawrence. Der Plan ist einfach: Die Araber würden mithilfe der Briten die Osmanen aus dem Hedschas, dem nordwestlichen Teil der Arabischen Halbinsel, vertreiben. Als Gegenleistung würde sich Großbritannien für ein unabhängiges Arabien einsetzen. Hussein Bin Ali, der Scherif von Mekka, träumt schon lange von einem panarabischen Reich unter seiner Führung, das die heiligsten Stätten des Islams umfasst.
Im Sommer 1916 beginnt der Aufstand, und er zeigt schnell Wirkung. Die Türken müssen Mekka aufgeben. Aber schon bald geraten die Kämpfe ins Stocken. Die Araber sind schlecht vorbereitet, kämpfen planlos und lassen jede militärische Disziplin vermissen. Im Herbst wird Lawrence in den Hedschas entsandt, um sich ein Bild von der Lage zu machen. In Feisal, einem der Söhne des Scherifen, findet er einen Verbündeten und Vertrauten. Von ihm lässt er sich die Gepflogenheiten der Araber erklären und bekommt dadurch einen immer besseren Draht zu ihnen.
Mehr denn je ist Lawrence jetzt entschlossen, die britischen Pläne umzusetzen. Mag seine Regierung den Arabern aus rein strategischen Gründen einen Staat versprochen haben, für Lawrence haben sie ihn tatsächlich verdient. Er hat inzwischen sein ganz eigenes Verhältnis zu den Arabern.
Diskussion über Lawerence von Arabien in SWR2 Forum:
Lawrence von Arabien – stilisiert zum genialen Feldherrn
Lawrence wurde zum genialen Feldherrn und mitunter zum Erfinder der Guerilla-Taktik stilisiert. Noch die Verfilmung von 1962 ist diesem Bild verpflichtet. Lawrence selbst hat nach Kräften bei der Konstruktion geholfen. Schon kurz nach Kriegsende fertigt er einen ersten umfangreichen Bericht über den arabischen Aufstand an, aber er verliert das Manuskript und verfasst aus dem Gedächtnis eine neue Fassung. Sie erscheint nach mehreren Überarbeitungen 1926 unter dem Titel „Die sieben Säulen der Weisheit“.
Das umfangreiche Werk ist heute ein Klassiker der Weltliteratur. Es ist ein Buch, das nur so strotzt von wilden Kämpfen und Abenteuern und – allem voran – schwärmt von der militärischen Genialität seines Verfassers. Legendär ist der in den „Sieben Säulen der Weisheit“ beschriebene 20-tägige Ritt der arabischen Aufständischen durch die Wüste in Richtung der Hafenstadt Akaba, dem letzten verbliebenen osmanischen Stützpunkt am Roten Meer. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten führt Lawrence seine Kämpfer durch unwegsamstes Gebiet, in einem wahren Höllenritt.
Die Episode von dem Ritt nach Akaba mag sich tatsächlich so oder so ähnlich zugetragen haben. Der historische Wahrheitsgehalt großer Teile des literarischen Werks von Lawrence darf allerdings bezweifelt werden.
Sykes-Picot-Abkommen zwischen Briten und Franzosen
Während Lawrence mit den arabischen Verbündeten immer weiter in Richtung Norden zieht und in Nadelstichaktionen über die Außenposten des Osmanischen Reichs herfällt, ändern die Briten ihre Pläne. Parallel zur Absprache mit Scherif Hussein von Mekka verhandelt die britische Regierung jetzt auch mit Frankreich über die osmanische Beute. Und Paris will bei der Verteilung des arabischen Kuchens nicht leer ausgehen.
1916 vereinbaren Briten und Franzosen das nach den Verhandlungsführern benannte geheime Sykes-Picot-Abkommen: Danach sollen nach Abzug der Osmanen die arabischen Provinzen zweigeteilt werden. Die willkürliche Grenzziehung ist als „Linie im Sand“ berühmt geworden. Die Gebiete nördlich der Linie sollen an Frankreich fallen, die südlichen an Großbritannien.
Lawrence – Verräter an der Sache der Araber?
Lawrence hat spätestens im Mai 1917 von den britischen Verhandlungen mit Frankreich erfahren. Sie bereiteten ihm Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen. Erstaunlicherweise trieb er seine arabischen Vertrauten trotzdem immer weiter in den Kampf. Warum tat er das? Glaubte er noch immer an ein unabhängiges Arabien, das die Regierungen in London und Paris längst ad acta gelegt hatten? Oder war er doch nur ein Abenteurer und Selbstdarsteller, dem sein eigener Ruf als schillernder Anführer wichtiger war als das Schicksal seiner Kämpfer? War er also ein Verräter an der Sache der Araber?
Als Lawrence und seine Kämpfer am 1. Oktober 1918 Damaskus erreichen, wähnen sich die Araber am Ziel. Am selben Tag treffen aber auch die britischen Streitkräfte in der Stadt ein. General Edmund Allenby macht sofort klar, wer der neue Herr im Haus ist. Er bittet Feisal zur Besprechung ins britische Generalhauptquartier und erklärt ihm die Lage: Die Würfel sind längst gefallen. Die arabische Nation ist zum leeren Versprechen geworden. Als Führer der arabischen Revolte wird Lawrence nicht mehr gebraucht. Er bittet um seine Entlassung aus der Armee und reist zurück nach Großbritannien.
Im Januar 1919 beginnen in Paris die Friedensverhandlungen, und ein letztes Mal kehrt Lawrence auf die Bühne der Weltpolitik zurück. Als Berater des britischen Kriegsministers Winston Churchill versucht er zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Auf der Grundlage des Sykes-Picot-Abkommens werden Grenzen gezogen und neue Staatsgebilde geschaffen, die im Wesentlichen bis heute Bestand haben: Irak, Syrien, Jordanien, Libanon, Palästina. Der amerikanische Historiker David Fromkin spricht von einem „Frieden, der jeden Frieden beendete“. Die Auswirkungen sind spürbar bis heute. Wie keine andere Region der Welt ist der Nahe Osten eine von Krieg und Staatenzerfall geprägte Region.
Ab 1923 versteckt sich Lawrence, heimgesucht von Depressionen und Schuldgefühlen, unter dem Namen T.E. Shaw in der britischen Luftwaffe und dient dort bis zu seiner Verabschiedung als einfacher Soldat.
Tragischer Unfalltod lässt Mythos fortbestehen
Am Vormittag des 13. Mai 1935, nur wenige Wochen nach dem Ende seiner Dienstzeit, unternimmt der leidenschaftliche Motorradfahrer Lawrence eine Ausfahrt in das benachbarte Bovington, um ein Telegramm aufzugeben. In einer Kurve hinter einer Kuppe tauchen plötzlich zwei Kinder auf. Beim Versuch, ihnen auszuweichen, stürzt Lawrence und erleidet schwere Schädelverletzungen. Sechs Tage darauf stirbt er. Wahrscheinlich ist sein tragischer Unfalltod mit ein Grund, warum der Mythos Lawrence fortbestehen wird
Score Snacks – Die Musik deiner Lieblingsfilme Lawrence von Arabien – Der Sound der Monumentalfilme (2/2)
Eigentlich sollten ja Größen wie Benjamin Britten und Aram Khatscharturjan die Musik für diesen Monumentalschinken komponieren. Da daraus aber nichts wurde, übernahm der ziemlich unerfahrene Maurice Jarre den Job. No pressure!
Herauskam zwar auch platter Orientalismus, aber er baut auch ganz neue Klänge ein. Wie er Konventionen brach und was Radiohead damit zu tun hat, erzählt Malte in dieser neuen Folge:
Score Snacks: Lawrence von Arabien – Der Sound der Monumentalfilme (2/2)
Film: Lawrence von Arabien (1962)
Regie: David Lean
Musik: Maurice Jarre
Produktion: Malte Hemmerich und Jakob Baumer
Sprecherin: Henriette Schreurs
Redaktion: Chris Eckardt
Diskussion Held und Verräter: Wer war Lawrence von Arabien?
Es diskutieren:
Dr. Rainer Hermann - Islamwissenschaftler und Redakteur, FAZ, Prof. Dr. Jörn Leonhard - Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas, Universität Freiburg, Prof. Dr. Peter Thorau - Historiker für die Geschichte des Vorderen Orients, Universität Saarbrücken
Gesprächsleitung: Gregor Papsch
Diskussion Aufbruch ins Ungewisse: Ordnet sich der Nahe Osten neu?
Eins muss man ihm lassen - Trump hat im Nahen Osten eine Menge bewirkt. Staaten wie Bahrain, die Emirate, der Sudan machen gerade ihren Frieden mit Israel, eine Normalisierung mit Saudi-Arabien scheint angebahnt. Verlierer sind aber die Palästinenser und der Iran. Ist der Nahe Osten dank Trumpscher Wüstendiplomatie tatsächlich friedlicher geworden? Martin Durm diskutiert mit Carsten Kühntopp - Nahost-Korrespondent in Kairo, Dr. Guido Steinberg – Islamwissenschaftler, Prof. Michael Wolffsohn - Politologe
Diskussion Wie Saudi-Arabiens Kronprinz sein Land verändert
Es diskutieren:
Ute Brucker - Leiterin Fernseh-Auslandsredaktion, SWR, Bernd Erbel - Botschafter a.D., Berlin, Sebastian Sons - Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin
Gesprächsleitung: Martin Durm
Arabischer Frühling
7.1.2011 Der "Arabische Frühling" beginnt in Tunesien mit der Bestattung von Mohamed Bouazizi
7.1.2011 | Der sogenannte Arabische Frühling beginnt Anfang 2011 in Tunesien. Der Initialfunke ist die Selbsttötung eines verzweifelten Gemüsehändlers. Viele Tunesier identifizieren sich mit ihm, sehen in ihm das Opfer eines korrupten Systems, in dem ein Diktator – Präsident Ben Ali – seine Macht zur persönlichen Bereicherung nutzt und sein Volk unterdrückt. Kleinere Proteste gab es schon in den vorangegangenen Wochen, doch vom 7. Januar 2011 an eskaliert die Lage zunehmend. Es ist der Tag der Bestattung des jungen Mannes. Innerhalb der nächsten Tage spitzt sich die Lage weiter zu.
14.1.2011 Tunesiens Präsident Ben Ali flieht aus dem Land
14.1.2011 | Es ist der Wendepunkt in Tunesien. Nach knapp einer Woche der Konfrontation zwischen den wütenden Demonstranten und der Armee lenkt Präsident Ben Ali zunächst ein und kündigt im Fernsehen einen Wandel an: Ein Ende der Gewalt, Pressefreiheit und er werde bei den nächsten Wahlen nicht mehr kandidieren.
Geschichte: aktuelle Beiträge
Archäologie Die letzten Rätsel der Maya
Die Hochkultur der Maya existierte schon nicht mehr, als die Spanier Mexiko eroberten. Umso rätselhafter war sie lange Zeit für die Forschung. Jahrhunderte dauerte es, bis ihr Schriftsystem entziffert war. Der Untergang der Maya-Kultur wirft immer noch Fragen auf – war’s das Klima? Oder Kriege? Julia Nestlen im Gespräch mit dem Altamerikanisten Nikolai Grube (SWR 2024) | Mehr zur Sendung: http://swr.li/raetsel-maya | Hörtipp: Die Entzifferung der Keilschrift: https://www.ardaudiothek.de/episode/das-wissen/die-keilschrift-2-x-2-cm-notizzettel-der-antike/swr-kultur/12490681/ | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Deutsche Einheit Auch wir sind das Volk! – Wie Migranten in der DDR die Wende erlebten
Die Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik und Vietnam blieben in der DDR weitgehend unter sich, ihre Pässe mussten sie abgeben. Nach der Wende war ihr Status oft unklar. Der Rassismus nahm zu. Von Marie Sinde (SWR 2023) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/migranten-ddr | Hinweis: Die Entschädigung der Vertragsarbeiter*innen lässt immer noch auf sich warten. SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben Ende September 2024 ihre Forderungen erneuert. Passiert ist nichts. Mehr Informationen hier:
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/entschaedigung-mosambik-100.html | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
Geschichte Die Gastarbeiterprogramme der ARD – Integration durch Radio?
Radiosendungen auf Türkisch, Griechisch oder Italienisch waren ab 1964 oft die einzige Informationsquelle für Gastarbeiter in Deutschland. Eine Brücke zwischen alter und neuer Heimat. Von Esther Saoub (SWR 2023) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/gastarbeiterprogramme-ard | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen