Laien stellen andere Fragen als Expertinnen und Experten. Von diesem unverstellten Blick, aber auch vom Fachwissen und der Leidenschaft der Bürgerforscher kann die Wissenschaft profitieren.
Citizen Science: Bürger*innen sammeln Daten
Bürgerforschung – oder Citizen Science – ist ein großes Thema: international, in Deutschland und ganz besonders am Berliner Museum für Naturkunde. Die Plattform "Bürger schaffen Wissen" ist die zentrale Plattform in Deutschland, auf welcher eine ganze Reihe von Projekten verortet sind, für die Dr. Katrin Vohland verantwortlich ist. Sie scrollt durch die Angebote der Internetseite vom "Ampel-Pilot" bis zum "Wildtier-Finder".
Bei den meisten Projekten helfen die Bürgerinnen und Bürger Daten zu sammeln, seltener werten sie die dann auch aus und nur vereinzelt stoßen sie sogar neue wissenschaftliche Projekte an. Die Themen sind breit gestreut: Es geht um Mikroplastik und Salamander, um die Sicherheit im Radverkehr oder Schimpansen-Fotos, um die "Opfer der NS-Euthanasie", die Wasserqualität und um Dialekte von Nachtigallen.
Dr. Katrin Vohland ist Biologin, aber inzwischen erforscht sie am Museum für Naturkunde die Citizen Science. Das klingt modern, aber bevor es eine institutionalisierte Wissenschaft gab, war Forschung im Grunde ein privates Hobby von Enthusiasten. Seit dem 18. Jahrhundert interessieren sich Bürger und Bürgerinnen verstärkt für Forschung. Es geht um Wissen und um mehr.
Wissenschaftliche Arbeit in spielerischer Form
Viele Citizen Science-Projekte verpacken trockene Datenanalyse in spannende Computerspiele. "Gamification" lautet das Stichwort. Während man bunte Bälle nach bestimmten Regeln zu Mustern anordnet, konstruiert man quasi nebenbei ein RNA-Medikament. Oder verfolgt Nervenzellen durch mikroskopische Schnitte. Oder miniaturisiert Schaltkreise. Besonders astronomische Institute setzen auf Gamification. Hobbyforscherinnen und Hobbyforscher können mit NASA-Teleskopen nach Asteroiden suchen, im "Galaxy Zoo" Galaxien ordnen und bei "Zooniverse" Planet Nummer 9 entdecken.
Gamification hat schon eine Vielzahl regulärer wissenschaftlicher Publikationen hervorgebracht mit den Bürgerforschenden als Mitautoren. Hunderttausende beteiligen sich weltweit an diesen Projekten. Das ist ein Vorteil von Citizen Science, meint der Mediensoziologe Prof. Sascha Dickel von der Universität Mainz. So könnten Profiforscherinnen und Profiforscher Fragen angehen, die sie alleine überfordern würden, weil sehr viele Daten benötigt werden.
Sind die Ergebnisse der Citizen Science wichtig genug, finden sie auch Beachtung. Der "Entomologische Verein Krefeld" zum Beispiel ist mittlerweile fast schon "ein Forschungsstar", weil die ehrenamtlichen Insektenexpertinnen und -experten auf das massive Insektensterben in Deutschland aufmerksam gemacht hatten.
Welche Dialekte spricht die Nachtigall?
Mit den guten Mikrofonen und Kameras der modernen Smartphones hat heute fast jeder und jede ein wissenschaftstaugliches Messgerät in der Tasche. Das kommt auch dem "Forschungsfall Nachtigall" in Berlin zugute. Am Museum für Naturkunde sind die Bürger und Bürgerinnen inzwischen nicht nur Datensammler. Die Biologin Silke Voigt-Heucke bietet ihnen Einführungen in die Auswertung bioakustischer Aufzeichnungen an.
An Computern im Museum prüfen die "Citizen Scientists" zunächst, ob auf den inzwischen über 7.000 Aufnahmen wirklich Nachtigallen zu hören sind. Dann trennen sie die langen Gesänge in die einzelnen Strophen auf. Diese Strophen sortiert ein Computerprogramm, am Ende soll ein Wörterbuch des Nachtigallengesangs stehen. Schon bald wird Silke Voigt-Heucke wissen, ob es regionale Dialekte gibt. Die Aufnahmen aus Berlin unterscheiden sich jedenfalls hörbar von denen aus Italien oder Spanien.
Hackatons: Entstehung aus der Gesellschaft selbst
Auch an der Bekämpfung der Covid-19-Epidemie könnten sich Bürgerinnen und Bürger mit ihren Smartwatches und Fitnessarmbändern beteiligen. Das zumindest hat Prof. Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, Mitte April 2020 in der ARD-Tagesschau vorgeschlagen. Aber auch hier begnügen sich die Bürger nicht damit, schlichte Datenlieferanten zu sein. Die Bundesregierung hat zu "WirVsVirus" eingeladen. Ein Hackathon, also ein Online-Treffen, an dem sich alle mit Ideen zur Lösung der Covid-19-Krise beteiligen konnten. 42.000 Teilnehmende haben sich angemeldet, weitaus mehr als ursprünglich erwartet.
Hackathons stehen für einen wichtigen Aspekt der Bürgerforschung. Sie werden meist nicht von der Bundesregierung organisiert, sondern entstehen aus der Gesellschaft selbst, konkret aus der Hacker- und Maker-Bewegung. Selbermachen, Selbst programmieren sind Motivation und Anspruch. Selber forschen ist dabei oft ein Randaspekt.
Bürgerforschung bleibt Randphänomen neben der Profi-Wissenschaft
Weltweit gibt es Tausende Citizen Science-Projekte und es kommen ständig neue hinzu. Dennoch bleibt Bürgerforschung ein Randphänomen der Wissenschaft. Die übergroße Mehrheit der Studien läuft hinter verschlossenen Institutstüren, wo Wissenschaftsprofis für Wissenschaftsprofis forschen. Was zählt, sind Publikationen und nicht die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit. Wenn die mitarbeiten darf, dann nur unter strikter Kontrolle.
Trotzdem setzen Universitäten und Forschungsinstitute mit Geld und Stellen auf Citizen Science. Im Sinne der Aufklärung der Öffentlichkeit und um ein bisschen Werbung für die Wissenschaft zu machen. In diesem Sinne ist die Internet-Plattform "Bürger schaffen Wissen" für Katrin Vohland vom Berliner Museum für Naturkunde ein großer Erfolg. Zwar werden vor allem Menschen angesprochen, die sich bereits für Forschung interessieren. Aber die tragen ihr Verständnis für die wissenschaftliche Methode ja weiter in die Gesellschaft.
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