Eine Lese-Rechtschreibstörung ist nicht heilbar, aber mit einer Lerntherapie kann betroffenen Kindern geholfen werden. Oft fehlt es in der Schule allerdings an Unterstützung.
LRS: Probleme mit der Rechtschreibung
Experten unterscheiden zwischen einer Lese- und Rechtschreibschwäche und einer -störung. Dass die weit verbreitete Abkürzung "LRS" für beides stehen kann, stiftet oft Verwirrung. Es ist aber wichtig, klar zu unterscheiden: Eine Lese- und Rechtschreibschwäche liegt vor, wenn Kinder leichte Probleme haben. Die Ursachen können unterschiedliche sein: schulische, familiäre, soziale. Mit sehr viel Üben kann die Schwäche wieder verschwinden.
Anders ist es mit der Lese- und Rechtschreibstörung, der Legasthenie. Hier arbeitet das Gehirn in bestimmten Teilbereichen anders. Man kann die Störung nicht beheben, aber durch spezielle Lernmethoden verbessern.
Legasthenie: Lese- und Rechtschreibstörung
An der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München forscht man intensiv zu Problemen beim Lesen, Rechtschreiben und Rechnen. Hier finden Studien zu den Ursachen der Legasthenie statt, geleitet von Psychologin Kristina Moll. Die Störung kann beispielsweise genetisch bedingt sein aber auch durch Probleme bei der Verarbeitung von Gehörtem oder Gesehenem auftreten. Mit der Intelligenz hat sie nichts zu tun.
Differenzieren: Probleme oft nur entweder beim Lesen oder bei der Rechtschreibung
Kristina Moll und ihr Team haben erforscht, was genau bei einer LRS nicht so funktioniert, wie es sollte, und sind dabei von einer Beobachtung ausgegangen. Man spricht immer von Lese-Rechtschreib-Störung, aber es gibt sehr viele Kinder, die nur im Lesen oder nur im Schreiben Probleme haben. Beide werden oft in einen Topf geworfen, so Moll. Sie auch getrennt zu betrachten, sei für die Praxis aber wichtig, denn nur so kann nach Bedarf gefördert werden.
Für die Studie hat Moll Drittklässler verschiedene Aufgaben lösen lassen, darunter Kinder, die nur Probleme im Lesen haben, nur im Rechtschreiben, in beidem oder gar keine. Bei bestimmten Aufgaben haben sie mit dem EEG auch die Gehirnaktivitäten betrachtet, so zum Beispiel als sie den Kindern richtig und falsch geschriebene Wörter zeigten.
Schwierigkeiten beim Speichern und Verarbeiten von Wörtern
Bei Kindern ohne Lese- und Schreibprobleme zeigte das EEG einen Unterschied. Denn diese Kinder haben die richtigen Schreibweisen abgespeichert. Wenn sie nun ein falsch geschriebenes Wort sehen, reagiere das Gehirn darauf, sagt Moll. Kinder mit Rechtschreibschwierigkeiten zeigen diesen Unterschied nicht, jene nur mit Leseschwierigkeiten doch.
Das heißt: Kinder mit Leseschwierigkeiten scheinen die Wörter richtig abgespeichert zu haben, aber brauchen eine längere Verarbeitung. So kommt es zu einem langsamen Lesen. Und Kinder mit einer Lese- und Rechtschreibstörung zeigen eine Kombination: Sie können die Buchstaben samt der dazugehörigen Laute sowie geschriebene Wörter schlecht abspeichern und außerdem nicht schnell auf diese Information zugreifen.
Zu spät erkannt: LRS wird oft erst in der dritten Klasse bemerkt
Viele Kinder und ihre Eltern leiden massiv unter der LRS, meistens aber vor allem darunter, wie die Schule damit umgeht. Denn Lehrkräfte wissen immer noch wenig bis gar nichts und können die Kinder nur schlecht unterstützen. Natürlich gibt es Schulen, die sich mit Legasthenie auskennen. Das sind aber Einzelfälle.
Erkannt wird eine LRS meistens erst in der dritten Klasse. Viel zu spät, meinen Experten. Bis dahin haben Kinder und Eltern schon einiges durchlitten, zweifeln vielleicht sogar an der Intelligenz des Kindes, wenn das viele Üben und auch die Förderstunden nicht helfen.
Mehr Zeit, weniger Aufgaben: Nachteilsausgleich für Kinder mit LRS
In der Regel macht die Schule dann einen Lese- und Rechtschreibtest. Stellt sie eine LRS fest, können die Kinder einen Nachteilsausgleich bekommen. Dass sie zum Beispiel mehr Zeit oder weniger Aufgaben in Klassenarbeiten haben oder dass die Rechtschreibung nicht benotet wird. Die Kriterien dafür sind in jedem Bundesland unterschiedlich.
Christel Hanke, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes für Legasthenie und Dyskalkulie, findet diese Schritte unbedingt notwendig. Hanke kennt die Problematik aus Erfahrung. Einer ihrer Söhne, mittlerweile schon über 30, ist Legastheniker. Seit seiner Diagnose engagiert sie sich im Bundesverband.
Seit vielen Jahren berät sie verzweifelte Eltern am Telefon. Schulen wissen oft nichts über den Nachteilsausgleich, so Hanke, oder Lehrkräfte seien unsicher, was genau sie gewähren dürfen und was nicht. Sie höre auch öfter von Eltern, dass sogar mit einem medizinischen Attest kein Nachteilsausgleich gewährt wird.
Förderstunden oft an den Bedürfnissen der Kinder vorbei
In einigen Bundesländern gibt es Förderstunden, zum Beispiel in Berlin. Kinder müssen sie besuchen, bevor sie einen Nachteilsausgleich beantragen können, so Hanke. Doch der Förderunterricht bezieht sich auf alle lese- und rechtsschreibschwachen Kinder und stellt keine Förderung für Kinder mit Legasthenie dar.
Das bedeutet: Kindern mit Legasthenie bringen diese Stunden in der Regel nichts – es sei denn, die Lehrkraft hat eine Weiterbildung für Legasthenie besucht und kennt die entsprechenden Lernmethoden. Das sei selten der Fall, so Hanke. Warum manche Kinder selbst in den Förderstunden nicht vorankommen, werde oft nicht hinterfragt.
Zwei LRS-Klassen in Baden-Württemberg
Sabine Loskant ist LRS-Beratungslehrerin in Freiburg und unterrichtet seit 17 Jahren LRS-Klassen an der Karlschule. Diese Klassen gibt es nur an zwei Schulen in ganz Baden-Württemberg. Sie sind kleiner als Regelklassen, haben mehr Deutschstunden und arbeiten mit einer Methode, bei der Gesten das Lesenlernen unterstützen. Sie starten in der zweiten Klasse, die meisten Kinder kommen aber in der dritten dazu. Die Meinungen darüber sind gespalten, denn sie stehen im Gegensatz zum Inklusionsgedanken. Das kann Sabine Loskant verstehen.
Doch viele Kinder müssen erstmal ihr Selbstbewusstsein und die Freude am Lernen zurückbekommen, sagt sie. Auch daran arbeiten sie in den Klassen. Ihr Wissen über LRS gibt Sabine Loskant auch in mehrtägigen Weiterbildungen an Kolleginnen und Kollegen weiter. Denn in der Lehrerausbildung in Baden-Württemberg spiele es fast keine Rolle.
Eltern müssen Kosten tragen für außerschulische Lerntherapie
Bislang gibt es die Lernmethoden, die Kindern mit Legasthenie wirklich helfen, besser lesen und schreiben zu lernen, nur an wenigen Schulen. Es ist also Glückssache, ob ein Kind mit LRS zufällig so eine Schule besucht. Für viele bleibt nur eine außerschulische Lerntherapie. Diese müssen die Eltern allerdings selbst zahlen. Das Jugendamt übernimmt nach Sozialgesetzbuch VIII die Kosten nur, wenn das Kind schwerwiegende seelische Probleme hat und zusätzlich seine gesellschaftliche Teilhabe gefährdet ist.
Die spezielle Förderung von Kindern mit Legasthenie gehört jedoch in jede Schule. Allerdings bräuchte das den Willen der Politik und die finanziellen Mittel. Denn die Lerntherapeuten müssten an den Schulen angestellt sein. Die Förderung von Kindern mit Legasthenie ist somit ein weiterer Bereich, für den zusätzliches Personal notwendig wäre. Es geht dabei auch um Inklusion und Vielfalt. Damit letztlich auch Kinder mit besonderem Förderbedarf ganz normal zur Schule gehen können.
SWR 2020
Rechtschreibung
14.10.1996 Friedrich Denk zur Frankfurter Erklärung gegen die Rechtschreibreform
14.10.1996 | Am 1. Juli 1996 beschließen die Kultusminister der Bundesländer sowie Vertreterinnen und Vertreter anderer deutschsprachiger Länder, die deutsche Rechtschreibung zu reformieren. Die Zahl der Regeln soll deutlich kleiner werden. Kommasetzen wird etwas leichter, substantivierte Adjektive werden künftig großgeschrieben, also: im Argen liegen, mit großem A. Wortverbindungen werden getrennt, etwa: ruhig bleiben. Und das berühmte Scharf-ß wird, bis auf wenige Ausnahmen, durch ss ersetzt. Gegen die Reform bricht ein Sturm der Entrüstung los. Prominente wie Siegfried Lenz, Elfriede Jelinek oder Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, unterzeichnen die sogenannte Frankfurter Erklärung. Herausgegeben hat sie Friedrich Denk, ein Gymnasiallehrer, der pünktlich zur Frankfurter Buchmesse im Oktober 1996 fordert, die Reform umgehend zu stoppen. Sie schade dem Ansehen der deutschen Sprache, stifte Verwirrung und ihre Umsetzung koste Milliarden D-Mark. Erfolg werden Denk und seine Mitstreiter nicht haben, die Reform setzt sich durch, auch wenn sich der Initiator im Radiointerview am 14. Oktober 1996 noch kämpferisch gibt.
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