Der legendäre Komiker Karl Valentin (1882 - 1948) war ein Münchner Grantler und Pessimist. In Monologen, Dialogen und Szenen beschäftigte er sich mit der Verlorenheit des Menschen, der Vieldeutigkeit von Sprache und den Fallstricken der Kommunikation.
Karl Valentin war einer der größten deutschen Komiker. In den 1920ern und 1930ern feierte der Münchner seine größten Erfolge. Valentins Stücke handeln von den Abgründen der Sprache und der Verlorenheit des Menschen in einer modernen, unübersichtlichen Zeit.
Seine grotesk-komischen, manchmal tragikomischen Szenen laufen meist aufs Scheitern hinaus und machen ihn zu einem Vorreiter des absurden Theaters. Manche seiner Sätze sind in die Alltagssprache eingegangen:
Seine kongeniale Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt (1982 - 1960) begleitete Valentin auf der Bühne, teilweise auch im Leben und schrieb etliche Dialoge und Szenen mit ihm. Später erinnert sie sich im Radio an den Komiker, der im Alltag oft humorlos war, ein Misanthrop und bayrischer Grantler:
Der "Schrecken von der Au"
Der Komiker wird am 4. Juni 1882 im Münchner Stadtteil Au als Valentin Ludwig Fey geboren. Valentin hat drei Geschwister, die früh sterben, und wird von den Eltern verhätschelt. Der rothaarige, blauäugige Junge fällt durch Sadismus auf, streut Glasscherben, woran sich andere Kinder die nackten Füße schneiden, die er dann als Sanitäter "behandelt". Rückblickend bezeichnet er sich als "Schrecken von der Au".
Schon als Jugendlicher beobachtet Valentin die Menschen der Vorstadt genau, Tagelöhner und Serviererinnen, Trinker und Großmäuler. Sie tauchen später in seinen Programmen wieder auf. Mit 15 beginnt er eine Schreinerlehre. In Wirtshäusern und Singspielhallen sieht Valentin Münchner "Volkssänger", die mit Liedern und Späßen die Leute unterhalten. Das will er auch. Der Schreinergeselle spielt mehrere Instrumente, vor allem Zither, und ist nicht auf den Mund gefallen. 1902 tritt er erstmals auf, ohne nachhaltigen Erfolg.
Karl Valentin nimmt die Sprache gnadenlos beim Wort
1908 versucht er es erneut: Er präseintiert auf der Bühne eines Münchner Hotels seinen Monolog "Das Aquarium" und hat riesigen Erfolg. "Das Aquarium" gilt heute als ein Schlüsseltext seines Werks.
Absurdes und Groteskes sind Grundlage von Valentins Komik
Valentin verbohrt sich in Begriffe und Redewendungen, entlarvt Widersprüche. Er lauscht den Gesprächen der Leute im Wirtshaus und anderswo: Wie reden sie, warum kommt es zu Missverständnissen? Daraus entwickelt er, zugespitzt und übersteigert, seine Szenen. Er nimmt die Sprache gnadenlos beim Wort – und zeigt ihre Unzulänglichkeit und den unbedachten Umgang mit ihr.
Im zunehmend absurden Monolog "Das Aquarium" erzählt Valentin weiter, dass er ein Aquarium mit Goldfischen und einen Vogel samt Käfig hat. Am Ende fällt ein Fisch aus dem Aquarium auf den Boden. Statt ihn einfach zurückzutun, überlegt Valentin, ob er ihn erschießen soll, um ihn von seinem Leiden zu erlösen. Nur: Wenn die Pistole nicht funktioniert? Schließlich wirft er den Fisch in die Isar, um ihn zu ertränken – wobei der natürlich wieder in seinem Element ist. Solche Verschiebungen von Situationen ins Absurde und Groteske gibt es bei Valentin immer wieder. Sie sind ein Grundelement seiner Komik.
Bühnenpartnerin und Geliebte: Aus der Soubrette Wellano wird Liesl Karlstadt
Elisabeth Wellano tritt als Soubrette auf Münchner Brettl-Bühnen auf, singt heitere oder schmalzige Lieder. 1911 spricht Karl Valentin sie nach einem Auftritt an, da ist sie 18. Valentin ist damals knapp 30, verheiratet und hat zwei Kinder. Er fragt Wellano, ob sie mit ihm auftreten will – und sie will, wird seine Bühnenpartnerin und Geliebte. Gemeinsam erfinden sie den Künstlernamen Liesl Karlstadt für sie. Als Duo sind sie perfekt.
Karlstadt: "Was hatten Sie gleich nach der Geburt für einen Eindruck von der Welt?"
Valentin: "Ja, als ich die Hebamme sah, die mich empfing, war ich sprachlos. Ich habe diese Frau in meinem ganzen Leben noch nie gesehen!"
Karl Valentin – ein kontrollwütiger Hypochonder
Karl Valentin spielt häufig Männer, die schräg im Leben stehen, stur sind, sich in etwas hineinsteigern, außer Kontrolle geraten, bis hin zur Zerstörungswut. Karlstadt übernimmt dann den rationalen, mäßigenden Part. Valentin kann sich keine Texte merken, fürchtet sich vor jedem Auftritt und dem möglichen Versagen. Er hat panische Angst vorm Zugfahren, vor allem nachts, da sehe der Lokführer ja nichts! Er legt riesige Listen mit Namen und Adressen von Ärzten an, für alle Notfälle. Der Komiker entwickelt einen zunehmenden Kontrollwahn und wird langsam selbst zur valentinesken Figur
In den 1910er Jahren beginnt sich Karl Valentin für die damals neuen Medien zu interessieren. Er gründet ein Filmstudio und dreht Stummfilme, später nutzt er Radio und Schallplatten, um ein noch größeres Publikum zu erreichen. Ab 1913 hat er mit Liesl Karlstadt unzählige Bühnenauftritte, vor allem in München. Danach geben sie Gastspiele in Zürich, Wien und Berlin.
In den 1920ern werden sie zum führenden Komiker-Paar im deutschsprachigen Raum. Aus ihren besten Dialogen und Stücken entwickeln sie auch Kurzfilme. Einige sind heute legendär. Etwa "Im Schallplattenladen", wo Karlstadt die Verkäuferin gibt und Valentin den anstrengenden Kunden:
Valentin: "Haben Sie auch neue Schallplatten?"
Karlstadt: "Schallplatten, natürlich. Wollen Sie Schallplatten haben?"
Valentin: "Ja!"
Karlstadt: "Was sollen das für Platten sein?"
Valentin: "So runde, dunkelschwarze Platten."
Karlstadt: "Mit Musik oder Gesangsplatten?"
Valentin: "Nein, mit Schall!"
Karl Valentin arrangiert sich mit den Nazis und hat weiterhin Erfolg
Karl Valentin und Liesl Karlstadt kassieren für ihre Auftritte Rekordgagen. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen, lässt Valentin sich nicht vereinnahmen, arrangiert sich aber mit dem Regime und hat weiter Erfolg.
Allerdings wird ab den 1930ern der Tonfilm zunehmend zur Konkurrenz für die Bühne. 1934 nimmt Valentin seine und Karlstadts Ersparnisse und eröffnet in München das "Panoptikum", ein Grusel- und Kuriositätenkabinett, das niemand sehen will. Ein Jahr später schließt es, das Geld ist weg. Liesl Karlstadt verzweifelt und versucht, sich das Leben zu nehmen. Danach treten sie nur noch gelegentlich gemeinsam auf, ihre Liebesbeziehung endet. Valentin will sich mit der "Ritterspelunke" über Wasser halten, einer Kneipe mit kleiner Bühne, und scheitert auch damit. Sein Abstieg beginnt. Innerhalb weniger Jahre will den gerade noch Gefeierten kaum mehr jemand sehen. Valentin verarmt und hungert.
Karl Valentin verdingt sich für ein paar Mark als Schreiner und Scherenschleifer in der Nachbarschaft. Derweil verlässt Liesl Karlstadt München und landet auf abenteuerlichen Wegen bei Tiroler Gebirgsjägern, deren Mulis sie betreut. Nach dem Krieg versucht Valentin einen Neuanfang. Er will wieder auf die Bühne, ins Radio und auch Spielfilme drehen.
Valentins düsterer Blick auf die Dinge passt nicht in die Nachkriegszeit
Doch auch wenn er kein Nationalsozialist war, ist Valentin in der NS-Zeit auf deutschen Bühnen aufgetreten. Das verzeiht man ihm nicht – und findet zudem seine neuen Texte nicht so komisch wie die alten. Manchmal tritt Valentin noch auf Bühnen und im Rundfunk auf, auch mit Liesl Karlstadt. Doch in Deutschland sind Aufbruch und Optimismus gefragt. Da ist wenig Platz für seinen Sarkasmus und düstere Blicke auf die Nachkriegszeit
Karl Valentin stirbt am 9. Februar 1948 in Planegg an einer Lungenentzündung, mit nur 65 Jahren. Liesl Karlstadt beginnt in späten Jahren eine zweite Karriere und wird eine gefragte Volksschauspielerin. Sie stirbt 1960.
1959 gründet eine Privatinitiative das Münchner Valentin-Karlstadt-Musäum, das inzwischen zur Stadt gehört, und erinnert an den großen Komiker. Es ist bis heute ein Publikumsmagnet.