Bei der Gleichberechtigung gehört Japan zu den rückständigsten Staaten. Doch inzwischen wehren sich Japanerinnen mit wachsendem Erfolg gegen das tief verankerte Rollenbild der dienenden und dekorativen Frau.
Japanische Frauen sind bisher in Politik und Management kaum vertreten, im Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums belegt Japan Platz 125 von 146 Ländern.
Frauen und Mütter als "Prachtnelken": Woher kommt das japanische Idealbild?
Die heutige geringe Chancengleichheit der Japanerinnen wurzelt in einem Idealbild aus der Zeit vor etwa 150 Jahren, als Japan einen Nationalstaat nach westlichem Vorbild aufbaute und viele junge Männer für Industrie und Militär brauchte.
Das Idealbild der Frau und Mutter firmierte damals unter der Bezeichnung "Yamato Nadeshiko" – die Prachtnelken von Japan. Und zwar mit diesen Eigenschaften: anmutig, fein geschminkt, willensstark, zurückhaltend, dezent verführerisch, opferbereit und dreifach gehorsam – als Tochter dem Vater gegenüber, als Ehefrau dem Ehemann und als Mutter dem Sohn.
Nein zu Sexismus in Büro und Schule: Japans Frauen wehren sich
Doch Japans Frauen wehren sich. Zehntausende Frauen unterstützten zum Beispiel eine Unterschriften-Aktion gegen den Zwang zu hochhackigen Schuhen an vielen Arbeitsplätzen, etwa am Empfang von Unternehmen, in Hotels oder Restaurants – überall dort, wo Frauen Kontakt zu Besuchern und Kunden haben. Diese Vorgabe der Arbeitgeber war der Aktivistin Yumi Ishikawa ein Dorn im Auge. Die Frauen sollten selbst entscheiden, welche Schuhe sie tragen, forderte die Urheberin der Petition.
Die Unterschriftensammlung gegen diese Kleidungsvorschrift ist eine von vielen Kampagnen von Aktivistinnen in Japan, die das tief verankerte Rollenbild von der dekorativen und dienenden Frau aufweichen und letztlich abschaffen wollen.
Vor einigen Jahren wehrten sich Teenagerinnen dagegen, dass sie eine Schuluniform mit Rock tragen müssen, selbst im kalten Winter. Ihr Widerstand war erfolgreich: Heute dürfen Mädchen an über 3.000 Schulen eine Uniform mit Hose tragen. Und auch der Kampf gegen die Kleidungsvorschriften für Bewerbungs- und Vorstellungsgespräche wurde gewonnen: Jedes Jahr ab Juni wählen die Unternehmen ihren Nachwuchs unter den Studierenden aus, die im darauf folgenden Frühjahr die Universität abschließen. Für diese Vorstellungsgespräche galt traditionell eine einheitliche Bewerbungskleidung, auf Japanisch der "Recruit Suit". Männer tragen Anzug und Krawatte, Frauen sollen ihre Weiblichkeit betonen – mit einem eng geschnittenen Rock fünf Zentimeter über dem Knie, Blazer, einer weißen Bluse, Pumps mit halbhohem Absatz und Handtasche. In dieser Quasi-Uniform sollen die meisten Frauen später auch in den Unternehmen arbeiten.
Vorstellung von Frauen als "Blumen des Unternehmens" überwinden
Der heutige Widerspruch zwischen den inzwischen geschlechtsneutralen Schuluniformen und der weiterhin genderbetonten Bewerbungs- und Bürokleidung fiel der Benimmlehrerin Masako Shinohara auf, die Studentinnen und Studenten bei ihrer Jobsuche unterstützt.
Zusammen mit einer anderen Frau konnte Masako Shinohara – ebenfalls mit dem Sammeln von Unterschriften – führende Personalvermittler in Japan davon überzeugen, ihre Kleidungsempfehlungen für das Vorstellungsgespräch zu ändern. Nun heißt es in den informellen Richtlinien, die jungen Frauen könnten auch Hosenanzüge tragen und auf hochhackige Schuhe verzichten.
Politik in Japan noch immer fest in Männerhand – aber es tut sich was
Wenn die Gesellschaft sich ändern muss, dann könnte die Politik eine treibende Kraft dafür sein. Allerdings befindet sich auch die Politik in Japan fest in Männerhand. Auf der nationalen Ebene sind nur rund zehn Prozent der Abgeordneten im Unterhaus weiblich – daran hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert.
Auf lokaler Ebene sieht es noch schlechter aus. Nur zwei Prozent der Rathäuser werden von Frauen geleitet. Darin sieht Satoko Kishimoto eine "nationale Krise", weil notwendige Veränderungen nicht stattfänden. Satoko Kishimoto wurde im Juni 2022 mit 200 Stimmen Vorsprung als erste Frau an die Spitze der Stadtverwaltung des Tokioter Bezirks Suginami gewählt, der 500.000 Einwohner hat.
Projekt "Fiftys": Seminare für Frauen bringen Erfolge bei Regionalwahlen
Projekte wie "Fiftys" engagieren sich dafür, dass mehr Frauen in verantwortliche Positionen kommen. Es wurde gegründet von der 25-jährigen Momoko Nojo und der Name ist Programm: Die Hälfte der Parlamentssitze soll Frauen gehören – und zwar möglichst jüngeren Frauen. Dafür setzt das Projekt bei den Stadt- und Regional-Parlamenten an. Dort seien über die Hälfte der Abgeordneten über 60 Jahre alte Männer, erzählt Nojo. Nur ein Prozent sei zwischen 20 und 30 Jahre alt.
Bei den Regionalwahlen im Frühjahr 2023 rekrutierte Nojo interessierte Frauen und bildete sie in Seminaren für öffentliche Auftritte und das Führen von Wahlkämpfen aus. Von 34 Kandidatinnen gewannen 26 ihre Wahl – drei von vieren. Finanziert wurde das Projekt über Crowdfunding. Mehr als 1.200 Unterstützer zahlten insgesamt umgerechnet 100.000 Euro für die vier Fiftys-Mitarbeiterinnen und ihre Aktivitäten. Davon zeigt sich Nojo wenig überrascht:
Männer reagieren übergriffig auf erfolgreiche Frauen
Ziemlich viele Männer kämen allerdings nicht damit klar, dass Frauen plötzlich mitbestimmen wollen. Auf diese Veränderung reagierten sie mit physischen und psychischen Übergriffen, mit sexueller Belästigung, berichtet Momi Sako. Die 29-Jährige gewann im Tokioter Bezirk Musashino einen Sitz im Stadtparlament.
Dennoch weichen die Geschlechterrollen in Japan langsam auf, ob in den Unternehmen oder den Parlamenten. Die Japanerinnen kommen voran, zwar meist nur in kleinen Schritten, aber ein Zurück wird es nicht mehr geben.
Der Mutter-Test Über Adoption in Japan
Julia Shimura erzählt von den Anforderungen die ein Paar erfüllen muss, um ein Kind in Japan zu adoptieren, und was das Durchlaufen dieses Prozesses mit ihr macht.
Literatur
Buchkritik Mieko Kawakami – All die Liebenden der Nacht
Die Autorin Mieko Kawakami ist ein Star in ihrer Heimat Japan: In ihren Büchern wie „Brüste und Eier“ oder „Heaven“ beleuchtet sie die junge, japanische Gesellschaft. So auch in ihrem Roman „All die Liebenden der Nacht“, der bereits 2011 in Japan erschienen ist und erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Ein Buch über eine einsame, schüchterne junge Frau, die nichts kennt, außer ihren Job und die eines Tages beschließt, auszubrechen. Ein berührender Roman, der in seinem eigenen, langsamen Rhythmus die Hauptfigur zum Leuchten bringt, findet Kristine Harthauer.
Aus dem Japanischen von Katja Busson
Dumont Verlag, 260 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-8321-8284-7
Buchkritik Jun’ichirô Tanizaki – Das Geständnis
Der Schriftsteller Mizuno hat einen Mord begangen. Wenn auch bloß in einer seiner Geschichten. Doch jetzt fürchtet er, ein ominöser Schattenmann könne diesen Mord in die Realität umsetzen und ihn als Hauptverdächtigen an den Galgen bringen. Bald verstrickt sich Mizuno in ein Gespinst aus Wahn und Wirklichkeit - und gerät zudem in die Fänge einer sonderbar teutonischen Femme fatale. Tanizaki Jun'ichiros Roman „Das Geständnis" erschien bereits im Jahr 1928 auf Japanisch und liegt nun erstmals auf Deutsch vor.
Aus dem Japanischen von Jan Manus Leupert
Septime Verlag, 261 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-99120-019-2
Buchkritik Chisako Wakatake – Jeder geht für sich allein
Als Momoko 1964 nach Tokio zog, träumte sie von Freiheit und Selbstverwirklichung. Doch so einfach war das nicht. In Chisako Wakatakes berührendem Roman «Jeder geht für sich allein» zieht die gealterte Momoko Bilanz und fällt in ihren Selbstgesprächen immer wieder zurück in den Tôhoku-Dialekt ihrer nordjapanischen Heimat. Auf Deutsch wurden diese Passagen ins Erzgebirgisch-Vogtländische übertragen. Ein ungewöhnliches Übersetzungsprojekt.
Rezension von Isabella Arcucci.
Aus dem Japanischen von Jürgen Stalph
Cass Verlag, 109 Seite, 22 Euro
ISBN 978-3-944751-25-2