Flow. Alles fließt. Man ist aktiv und konzentriert und fühlt sich doch spielerisch leicht – im Hier und Jetzt. Raum und Zeit sind vergessen. Kann man diesen Zustand bewusst trainieren?
Konzept der Positiven Psychologie
Eine innere Ordnung, die das menschliche Tun in einen ruhigen Fluss bringt, weil es stimmig ist mit dem, was man machen kann und erreichen will – dieses harmonische Bild traf im letzten Jahrhundert auf die Konzepte der sogenannten Positiven Psychologie. Ein Begriff aus den 1950er Jahren; Ende der 1990er wurde – vor allem durch den amerikanischen Psychologen Martin Seligman – ein eigener Forschungszweig daraus.
Die Positive Psychologie nimmt die Ressourcen eines Menschen in den Blick und zielt darauf ab, die ihm innewohnende Kraft zu stärken: Zum Beispiel die kognitiven Potentiale zu fördern, etwa Neugier und Aufgeschlossenheit oder aber Emotionales wie Mut und Beharrlichkeit. Soziale Intelligenz kann eine Stärke sein oder Gerechtigkeitssinn bis hin zu Bescheidenheit oder Humor. Die eigenen Ressourcen als Ausgangsbasis – auch für einen Flow.
Mihály Csíkszentmihályi und der Flow
„Flow ist die optimale Erfahrung.“ So fasste es der amerikanisch-ungarische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi (1934 - 2021) bereits in den 1970er-Jahren zusammen. Csíkszentmihály hat das Phänomen des Flow nicht als Erster entdeckt. Er entwickelte jedoch zu dieser "optimalen Erfahrung" an der University of Chicago ein theoretisches Modell.
Ein Flow ereignet sich immer nur dann, wenn die menschlichen Fähigkeiten gerade bestens mit den gestellten Aufgaben einhergehen. Mihály Csíkszentmihályi stellte in seinen Untersuchungen fest, dass sehr viele Menschen immer wieder dieses Erlebnis haben – einigen war es bewusst, anderen nicht. Er plädierte dafür, dies nicht dem Zufall zu überlassen, sondern das gute Gefühl zu verinnerlichen und außerdem gezielt darauf hinzuarbeiten.
Flow ist also ein positiver Bewusstseinszustand, den wir zwar nicht bewusst erzeugen können, der aber möglich wird, wenn eine Person mit sich und dem, was sie tut, im Lot ist. Das richtige Gespür dafür lässt sich Forschern und Trainern zufolge einüben.
Die neuere Flow-Forschung
Wenn Menschen ihre Fähigkeiten optimal einsetzen, fühlen sie sich wach und agil, sie sind motiviert, haben das Gefühl, den ganzen Ablauf unter Kontrolle zu haben und lassen sich kaum ablenken. Die Forscher haben die dazugehörigen körperlichen Parameter gemessen. Im Flow ist ein Mensch demnach in einem sehr speziellen Erregungszustand. Probanden, die zum Beispiel am Computer Tetris oder Schach gespielt haben und dabei Flow erlebten, hatten moderat erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol.
In einer anderen Untersuchung zeigte sich, dass die zusätzliche Gabe von Cortisol zu signifikant weniger Flow führte.
Man braucht also ein nicht zu hohes und nicht zu niedriges Erregungsniveau, um diesen Zustand erreichen zu können, der sich so besonders gut anfühlt.
Tätigkeit wandert vom expliziten ins implizite Gedächtnis
Im Flow zu sein bedeutet, dass man sein Tun wie von selbst geschehen lassen kann. Der Berliner Neurologe und Professor Surjo Soekadar erklärt den Ablauf im Gehirn dazu: Durch gezieltes Üben wandere eine Tätigkeit vom sogenannten expliziten in das implizite Gedächtnis, wie beispielsweise beim Fahrradfahren, Tennisspielen oder Schwimmen.
Optimale Flow-Bedingungen schaffen
Anspannung und Entspannung perfekt ausbalancieren – mit dem eigenen Innenleben und den eigenen Stärken im Reinen – und mit einer Aufgabe weder überfordert noch unterfordert sein, um sie begeistert anzugehen und zu erledigen. Expertinnen und Experten ermuntern dazu, sich solche optimalen Flow-Bedingungen bewusst zu schaffen.
Dazu gehört allerdings auch, genauer kennenzulernen, was die zugrunde liegende eigene innere Ordnung ausmacht. Dabei hilft es, über die persönlichen Werte nachzudenken: Charisma. Mobilität. Macht. Klugheit. Vertrauen. Abenteuer usw.
Ziele sollten so ausgewählt sein, dass man sie mit seinen Stärken und Talenten auch erreichen kann.
Flow – 6 Merkmale
Nach Mihaly Csikszentmihalyi lassen sich sechs Mekrmale des Flow zusammenfassen:
- Intensive Aufmerksamkeit
- die Einheit von Denken und Handeln
- kein Grübeln oder Selbstkritik
- das Gefühl der Kontrolle über das eigene Tun
- das verzerrte Zeiterleben
- die Tätigkeit an sich wird als lohnend erlebt
Übermotivation kann riskant sein
Den Thrill. Das ultimative Intermezzo. Der Fallschirm-Sprung oder die hohe Surf-Welle. Diese Übermotivation kann den Krankheitssymptomen einer Manie ähneln.
Der Marathonlauf oder über hundert Kilometer lange Ultraläufe durch die Wüste oder über die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains sind gute Beispiele dafür. Auch hier erleben Menschen oft außergewöhnliche mentale Zustände. Die Transmitter Dopamin, Serotonin, Adrenalin und Noradrenalin werden in den Nervenzellen ausgeschüttet. Hinzu kommen möglicherweise angstlösende körpereigene Cannabinoide, etwa beim sogenannten 'Runner's High' – die Läufer sind übermäßig risikobereit und trauen sich sehr viel zu. Das kann wie eine Droge sein. Auch darin zeigt sicher schmale Grad des Flow.
Freude und Begeisterung regt Wachstum der Nervenzellen an
Warum sich dieser Zustand so besonders anfühlt? Hier könnte die Hypothese der Hypofrontalität gültig sein, sagt der Neurologe Surio Soekadar: Je stärker ich implizit bei dem bin, was ich tue, desto eher wird das störende "Was-mache-ich-hier-eigentlich?" im Frontalhirn reduziert und ich kann mich freier und begeisterter der Tätigkeit widmen.
Soekadar bekräftigt aber auch, dass diese Hirnvorgänge noch nicht endgültig erforscht sind. Es gebe bislang zu wenige Daten, weil Flow-Zustände nicht unbedingt zu Laborbedingungen passen und daher schwer messbar sind. Das könnte sich ändern, wenn in solchen Untersuchungen künftig virtuelle Realität eingesetzt wird und damit ein Flow stimuliert werden kann.
Dass Freude und Begeisterung das Wachstum der Nervenzellen anregen und das Lernen fördern, dies hat die Forschung bereits belegt. In einer Studie der Universität Potsdam wurde das Flow-Erleben von Psychologie-Studierenden untersucht, die sich auf eine Statistik-Prüfung vorbereiteten. Diejenigen, die von Flow-Momenten während des Lernens und auch in der Vorlesung berichteten, hatten am Ende auch die besseren Ergebnisse in der Prüfung. Umgekehrt gilt: Wer in einer Sache gut ist, erlebt mehr Flow.
85/15: Die Regel für den Lernerfolg
Psychologen von der University of Arizona stellten dazu jüngst die sogenannte 85-Prozent-Regel auf: Das Lernen funktioniert am besten, wenn 85 Prozent der gestellten Aufgaben richtig gelöst werden und 15 Prozent falsch: ein austariertes Maß an erreichtem Erfolg und neuer Herausforderung.
Dieser motivierende Mechanismus findet sich beispielsweise auch in jedem Computerspiel. Der Reiz, das nächste Schwierigkeitslevel zu erreichen, absorbiert die Aufmerksamkeit und animiert dazu, dranzubleiben, nicht aufzugeben und nicht aufzuhören. Mihaly Csikszentmihalyi hat den Flow als "positive Sucht" bezeichnet, andere sprechen von einer "Hochmotivation" oder von Leidenschaft.
Flow bleibt flüchtiges Erlebnis
Flow passt gut in eine Zeit, in der viele sich gestresst fühlen und mehr auf sich und ihre Stärken und persönlichen Prioritäten achten wollen. Als moderne Management-Methode zur Selbstoptimierung von Arbeitskräften wird die produktive Selbstvergessenheit trotzdem nicht funktionieren. Denn vielleicht ist das letzte Geheimnis des Flow, dass es immer ein flüchtiges Erlebnis bleibt.
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