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Geheimnisse – Lust und Last des Schweigens

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Autor/in
Silvia Plahl
Silvia Plahl
Onlinefassung
Susanne Paluch

Etwas geheim zu halten, kann beschützend oder traumatisch wirken. Einen Effekt hat es immer – auf diejenigen, die schweigen, und auf diejenigen, vor denen etwas verborgen bleibt.

Geheimhalten erzeugt Stress

Geheimnis. Ein Wort, das neugierig macht und in Unruhe versetzt. Es wird etwas verborgen, verheimlicht, geheim gehalten. Jeder Mensch kennt dieses Phänomen und welchen Druck die Entscheidung bedeutet, etwas nicht zu verraten: das Geburtstagsgeschenk, das sexuelle Gedankenspiel, das Insiderwissen am Arbeitsplatz.

Die Bandbreite des Nicht-Gesagten ist sehr groß, wie der Psychologe Michael L. Slepian von der Columbia Universität in New York in Studien festgestellt hat: 

Er und sein Team baten zunächst 2000 Personen, ihre Geheimnisse anzugeben, und teilten diese dann in 38 Kategorien ein: Lügen, Diebstahl, Drogenkonsum, Geldprobleme, Seitensprung, Abtreibung. Die Liste wurde Tausenden weiterer Personen präsentiert und 97 Prozent bekannten, mindestens ein Geheimnis davon zu haben. Im Durchschnitt waren es 13 Heimlichkeiten pro Person – kleinere und bedeutsame.

Etwas geheim zu halten, erzeugt Stress, berichten Betroffene.

Traurig schauende Frau

Ständig kreisen ihre Gedanken um das Geheimnis, das sogenannte "mind wandering". Es ist ihnen bewusst, dass sie sich durch das Verheimlichen von anderen abgrenzen, also ihnen die eigene Wirklichkeit nicht offenbaren. Michael L. Slepian betont: „Die Geheimhaltung und Verschwiegenheit definiert die sozialen Beziehungen und das menschliche Miteinander.“

Motive für das Schweigen

Warum schweigen Menschen dann mitunter so lange? Nachdem sie z.B. sexuelle Gewalt erlebt hatten.  

Der Psychologe Theodor Itten meint: Manchmal wissen wir es ja auch nicht. Es sind diese großen Geheimnisse meistens aus der Kindheit, die uns großen Kummer bereiten oder uns einschränken. Weil wir im Hier und Jetzt als erwachsene Person uns nicht mit voller Kraft dem eigenen Leben widmen können. (Theodor Itten)

Wohl gehütete Familiengeheimnisse

Schreckliche Erlebnisse, Ängste, Schmerz und Trauer erzeugen Narben im Erbgut eines Menschen. Sie können in einer Familie dann oft von Generation zu Generation weitergegeben werden. Man spricht von der transgenerationalen emotionalen Vererbung oder auch dem epigenetischen Gedächtnis. Das ist z.B. auch in kriegstraumatisierten Familien der Fall.

Mutter und Kind auf altem Foto
Mutter mit ihrem "Kriegskind"

Werden schmerzliche Erfahrungen tabuisiert und vererbt, sind Kinder und Kindeskinder oft mit Depressionen, eigenen Ängsten oder Schmerzen konfrontiert, deren eigentlichen Ursprung sie nicht kennen. Doch Kinder spüren meist, wenn Eltern oder Großeltern etwas konsequent verschweigen.

Manchmal ist es schwierig, lang gehütete Familiengeheimnisse ans Tageslicht zu bringen. Der Psychoanalytiker Itten empfiehlt seinen Klientinnen und Klienten dann meist, dieses Geheimnis für sich zu lüften, die Betroffenen aber nicht weiter damit zu behelligen.

Denn: Ganz wenige können sagen: Ja, das ist geschehen, das haben wir erlebt. Das tut uns so leid. Wir haben auch darunter gelitten. (Theodor Itten)

Vor allem wohl gehütete Familiengeheimnisse erfüllen häufig beide Funktionen zu gleichen Teilen: Sie schützen die einen, die vergessen wollen, und quälen die anderen, die den verheimlichten Schrecken weiter in sich tragen. In den deutschen Familien ist gerade die Zeit der Weltkriege und des Nationalsozialismus mit viel Ungesagtem behaftet.

Geheimnisse offenbaren oder nicht?

Werden Geheimnisse, Tabuisiertes und Verschwiegenes aber aufgedeckt, kann dies eine Erleichterung sein, sagt Michael L. Slepian, denn ungelüftete Geheimnisse fühlten sich immer wie ein schwerer Rucksack an.

In einer 2019 veröffentlichten Studie fand er heraus, dass Menschen, die ihr bisher verschwiegenes Wissen mitgeteilt haben, sozialen Beistand bekamen.

Eine Frau telefoniert
Es hilft, sich anderen mitzuteilen.

Sie fühlten sich dadurch wohler und hatten auch das Gefühl, ganz sie selbst zu sein. 

Aber es gibt genauso starke Motive zu schweigen, weiß Barbara Kavemann von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs:

Also die Angst, die Familie zu verlieren. Die Angst, in den Augen von Personen schlecht da zu stehen, die eine wichtig sind. Dass die Familie nicht glaubt, dass Geschwister sich gegen einen wenden, obwohl ihnen dasselbe passiert ist. Sorgen auch, aus diesem Leben zu fallen. Die am Sprechen hindern. (Barbara Kavemann)

Schweigen brechen erfordert einen geeigneten Rahmen

Entschließen sich Betroffene aber zum Sprechen, müsse die Gesellschaft auch einen entsprechenden Raum dazu bieten, meint Barbara Kavemann: 

Zum Beispiel eine strenge Hierarchie, die unterdrückt, schlecht behandelt. Entwertet. Die wird nicht dazu führen, dass wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Vermutung haben, dass hier was überhaupt nicht in Ordnung ist, dass die dann zur Leitung gehen und sagen: Ich muss mit Ihnen (darüber) reden. Gleichzeitig, wenn alle alles dürfen und Leitung keine Verantwortung übernimmt und wenn nicht klar ist, dass Erwachsene in der Verantwortung sind den Jugendlichen gegenüber – da haben wir auch sehr begünstigende Strukturen. (Barbara Kavemann)

Doch letzten Endes gilt: Über sehr großen Schmerz darf geschwiegen werden, unterstreicht der Psychoanalytiker Theodor Itten. Weil: Soviel Elend gar nicht ausgedrückt werden kann. (Theodor Itten)

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