Als Konsumenten von Morgen sind die Kleinen längst im Visier der Marketingstrategen. Wie kann man Kinder davor schützen?
Kinder beeinflussen Kaufentscheidungen
Kinder sind heute mehr denn je auch Konsumenten. Bewusst oder unbewusst beeinflussen sie in den meisten Familienhaushalten viele Kaufentscheidungen, beobachtet Tobias Effertz, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Hamburg. Etwa wenn es um den Kauf des Familienautos oder um die Buchung des Familienurlaubs ginge. Vielleicht klappe das nicht immer, so Effertz, aber: „Es klappt zumindest so häufig, dass sich ein Werben um die Kinder und ein Kinder-Marketing auf die Kinder gerichtet lohnt.“
Allein im Lebensmittelbereich liegt der Werbe-Etat von Unternehmen in Deutschland bei etwas mehr als drei Milliarden Euro, schätzt Wirtschaftswissenschaftler Effertz. Mehr als die Hälfte des Geldes werde gezielt für Werbung an Kinder und Jugendliche ausgegeben. „Die junge Zielgruppe ist eben die, die sich prägen lässt, die sich konditionieren lässt, die eben für diese Produkte auch noch empfänglich und gewinnbar ist“, sagt Effertz. Viele Unternehmen versuchen deshalb, Kinder möglichst früh an die eigene Marke zu binden. Denn Kinder sind loyale Kunden. Wenn sie sich einmal für eine bestimmte Marke entscheiden, bleiben sie ihr als Konsument in der Regel lange Zeit treu.
Werbung für Kinder funktioniert anders als für Erwachsene
Kleinkinder können nicht lesen. Also setzen Marketing-Experten auf Figuren, die Kinder kennen und mit denen sie positive Gefühle verbinden. Comic-Figuren etwa oder die sprechenden Tiere aus ihren Lieblingsserien. Erwachsene lassen sich beim Shopping davon kaum beeindrucken. Aber auf Kinder wirken Joghurtbecher mit Micky Mouse oder Chipstüten mit dem Pommbär besonders anziehend.
Luise Molling, Campaignerin bei „Foodwatch“ zum Thema „Übergewichtsprävention bei Kindern“, hat seit 2011 sämtliche an Kinder vermarktete Lebensmittel unter die Lupe genommen. Ihr Ergebnis: Diejenigen Produkte, die mit Comicfiguren, mit Gewinnspielen oder Spielzeugbeigaben beworben würden, seien zu 90 Prozent Zuckerbomben. Ernährungsphysiologisch ausgewogene Produkte dagegen werden in der Regel nicht beworben. Comic-Helden auf Möhren oder Äpfeln sucht man vergeblich.
Die Grenze zwischen Werbung und Unterhaltung verschwimmt
Für ihre Werbefiguren entwickeln Marketing-Experten eigene Geschichten. Das Produkt bekommt ein oder zwei „Helden“, die Abenteuer erleben. So werde die Marke positiv im Gedächtnis der Kleinen verankert, erklärt Foodwatch-Campaignerin Molling. Dazu gibt es passende Internet-Seiten voller Spiele, Clips, Musiken. Es sei immer schwerer zu erkennen, wo die Unterhaltung aufhöre und wo die Werbung beginne, sagt Molling: „Die Kinder schauen sich Filme an und sollen letztlich damit dazu gebracht werden, ein Produkt zu kaufen.“
Es ginge darum, den Kinder etwas zu geben, mit dem sie spielen könnten, sagt Christopher Schering, Gründer von Cobra Youth Communications, einer Agentur für Kinder-, Jugend- und Familienmarketing mit Sitz in Berlin. Kleine GIFs, die sie selber über Whatsapp weiterverbreiten oder ein kleines Online-Game, mit dem sie in eine Marken-Welt eintauchen können. Natürlich müssen sich Werbefachmann Schering und seine Kollegen auch an ein paar Regeln halten. So sind etwa direkte Kaufappelle an Kinder verboten. Bei anderen Vorschriften ist die Auslegung allerdings eher vage.
Das Werbe-Verbot für Kinder greift nicht
Bereits 2007 haben führende Lebensmittelhersteller eine freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnet mit dem Inhalt, ihr Marketing für Kinder unter 12 Jahren einzuschränken. Gut zehn Jahre später hat sich Wirtschaftswissenschaftler Tobias Effertz im Rahmen einer Studie für die AOK angesehen, in wieweit die teilnehmenden Unternehmen etwa bei ihrer Internet-Werbung der Selbstverpflichtung wirklich nachkommen. Seine Bilanz ist ernüchternd. Denn die Selbstkontrolle finde praktisch nicht statt, sagt Effertz. Die Kinder würden nach wie vor gezielt angesprochen.
Gendermarketing bringt der Wirtschaft mehr Vermarktungsmöglichkeiten
Pirat versus Prinzessin. Dinosaurier versus Blümchen. Stärke versus Gefühl. Die Werbung vermittelt oft noch weitere Botschaften als die reine Aufforderung zum Kauf. Kulturwissenschaftlerin Stevie Schmiedel, Gründerin von Pinkstinks Deutschland, einer Protest- und Bildungsorganisation gegen Sexismus und Gendermarketing, beobachtet ein großes Ausmaß von so genanntem Gendermarketing, also dem Prinzip, dass man beide Geschlechter getrennt anspricht.
Aus Marketing-Sicht mache das durchaus Sinn, denn es steigere den Absatz bei sinkender Zielgruppe, sagt Schmiedel. Das Bobby-Car für den Jungen könnten Eltern der Tochter nicht mehr geben. „Kinder lernen so sehr früh: Das ist für mich und das ist für meinen Bruder - und austauschen ist schlecht“, sagt Schmiedel.
Gendermarketing zementiert Rollenbilder
Selbst Kinder-Shampoos gibt es für „Sie“ und „Ihn“ samt entsprechender Rollenzuschreibung. Unterteilt wird nicht nur beim Spielzeug, auch bei der Kinderkleidung. In den Girls-Abteilungen finden sich kaum noch Hosen, mit denen Mädchen anständig klettern können. Die meistens sind zu eng geschnitten, zu empfindlich im Farbton. Und selbst bei den Lebensmitteln gibt es heute Feen-Drinks oder Feuerwehr- und Prinzessinnen-Suppen. All das wird von der Industrie angeboten und von den Eltern gekauft.
So argumentieren auch die Marketing-Experten: „Wenn das dem Kunden nicht gefällt, würde er es nicht kaufen“. Stevie Schmiedel empört dieser Satz. „Pinkstinks“ versucht auf ganz verschiedenen Ebenen dagegen zu halten. Indem der kleine Verein etwa bei Unternehmen und Agenturen das Thema Gendermarketing anspricht, in Kindergärten und Grundschulen mit einem Theaterstück rund um einen kleinen Jungen und sein rosa Pony aufklärt und erzürnten Eltern eine Plattform bietet.
Digitale Kampagnen und Influencer auf dem Vormarsch
Die Kids von heute erreicht man am besten übers Netz. Denn die meisten Kinder und Jugendlichen sind spätestens als Teenager in den sozialen Medien aktiv. Für Unternehmen ein Gebiet schier unbegrenzter Werbe-Möglichkeiten. Während Print-Anzeigen praktisch bedeutungslos geworden sind und auch das Fernsehen immer stärker abnimmt, sind digitale Kampagnen auf dem Vormarsch.
Ein großes Problem sei dabei die Vermischung von Werbung und Content, sagt Irene Schulz, Mediencoach bei „Schau Hin“, einer Initiative für Medienerziehung. Besonders gravierend sei es bei den so genannten Influencern. Das sind Social-Media-Stars, denen Kinder auf Facebook, bei Instagram und YouTube folgen und die scheinbar aus ihrem gewöhnlichen Alltag berichten und dabei erzählen, was sie am liebsten essen und anziehen. Für Kinder und Jugendliche sei es oft so gut wie unmöglich zu verstehen, dass ein Marketing-Konzept hinter den Geschichten der Influencer stünde, sagt Schulz: „Ich finde, dass ist selbst für uns Erwachsene manchmal ganz schwer zu erkennen.“
Warum ist Werbung oft so kindisch?
Gleichzeitig wird die Zielgruppe der Influencer immer jünger. Denn es gibt immer mehr so genannte „Mini-Influencer“. Kinder, die mit Hilfe ihrer Eltern ihren Kinder-Alltag zur Schau stellen, was wiederum von Kindern geschaut wird. Vordergründig geht es um Geburtstage, Spielsachen, Kochen – doch eigentlich ist es Marketing und Konsum.
Aufklärung und Gesetze sind besser als Verbote
Den Kindern YouTube, Instagram und Co. zu verbieten sei Quatsch, sagt Medienpädagogin Schulz. Sie schlägt stattdessen vor, mit Perspektivwechseln zu arbeiten, also Kinder beispielsweise auch mal Werbung selbst machen zu lassen: „ Da werden Kinder selbst total kreativ und denken sich die tollsten Sachen aus. Sie lernen dadurch, wie Werbung funktioniert.
Dadurch könnten Kinder lernen die Marketingstrategien der Unternehmen zu durchschauen. Aber spielen und aufklären allein wird nicht reichen, findet Wirtschaftswissenschaftler Tobias Effertz, jedenfalls nicht, wenn es um Kinder-Marketing für ungesunde Lebensmittel geht. Er plädiert dafür, zumindest das Kinder-Marketing für Lebensmittel ganz zu verbieten und wünscht sich mehr Unterstützung für die Eltern durch die Politik.
Produktion 2019
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