Christoph König im Gespräch mit dem Historiker Dr. Stefan Wolle
Die Mauer war gefallen. Nach den Demonstrationen im Jahr 1989 hatte sich die DDR-Führung dem Druck der Straße gebeugt und die Grenzen geöffnet. Die Bürgerinnen und Bürger hatten nun zum ersten Mal in der Geschichte der DDR die Chance, ihren Staat demokratisch umzugestalten, zum Beispiel am Runden Tisch. Doch gleichzeitig wurde der Wunsch nach einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten lauter.
Wie klang das letzte Jahr der DDR im Radio in Ost und West? Welche Alternativen zur Wiedervereinigung standen zur Debatte? Warum gelang die Einheit nur elf Monate nach dem Fall der Mauer?
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Dr. Stefan Wolle ist wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in Berlin.
Das letzte Jahr der DDR in Originalaufnahmen
10.11.1989 Der Tag nach der Maueröffnung
10.11.1989 | Einen Tag nach Öffnung der Mauer fand vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin eine Kundgebung mit westdeutschen Spitzenpolitikern statt: Walter Momper, Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher und der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl.
4.12.1989 Vermeintlicher Stasi-Mitarbeiter berichtet von Aktenvernichtung
4.12.1989 | Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer ist im DDR-Rundfunk ein Interview mit Sprengkraft zu hören. Ein junger Stasi-Mitarbeiter will gesehen haben, dass sein Vorgesetzter mit Unterlagen im Heizraum verschwindet. Die Stasi vernichtet belastendes Material, das ist die Nachricht.
6.12.1989 Egon Krenz tritt zurück
6.12.1989 | Die Ära von Egon Krenz als Nachfolger von Erich Honecker währt nur 44 Tage. Am 3. Dezember tritt das Zentralkomitee der SED und das Politbüro mit Krenz an der Spitze zurück. Drei Tage später erklärt Krenz auch seinen Rücktritt als Vorsitzender des Staatsrats und des Nationalen Verteidigungsrates. Neues Staatsoberhaupt wird der Liberaldemokrat Manfred Gerlach (LDPD).
19.12.1989 Kohl wünscht sich Wiedervereinigung – Rede vor der Dresdner Frauenkirche
19.12.1989 | Kaum war die Mauer gefallen, stand die Frage der Wiedervereinigung im Raum. Es war aber nicht sofort klar, dass und vor allem wie schnell sie kommen würde. Bezeichnend ist die folgende Rede von Helmut Kohl vor den Ruinen der Dresdner Frauenkirche. Kohl spricht zunächst von "konföderativen Strukturen" zwischen den beiden deutschen Staaten, also noch nicht von Wiedervereinigung. Erst in einem Nachsatz schiebt er hinterher, dass sein persönliches Ziel die deutsche Einheit bleibe, wenn die geschichtliche Stunde es zulässt.
Das war gut einen Monat nach dem Mauerfall. Interessant auch die Kluft zwischen dem hörbaren Jubel im Publikum und der Bewertung des Reporters, der am findet, dass es jetzt nicht "die ganz große Rede" war.
15.1.1990 Ansturm auf Stasi-Zentrale in Ostberlin
15.1.1990 | Nach der Stürmung der Stasi-Gebäude in Erfurt, in Leipzig, Suhl und Rostock ist am 15. Januar 1990 auch die Zentrale in Ostberlin dran. Es ist der Höhepunkt der Proteste. Wütende Bürgerinnen und Bürger stürmen die Zentrale in der Normannenstraße. Die Besetzung eskaliert.
1.7.1990 D-Mark für die DDR: Stunde Null auf dem Alexanderplatz
1.7.1990 | Mit dem Juli kommt die Währungsunion. Eine Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz gibt schon um Mitternacht die ersten DM-Scheine aus. Der Andrang ist groß. Es gibt Tumulte. Im Getümmel werden Menschen ohnmächtig und verletzt. Wer nicht an den Schalter kommt, ist sauer. Wer schon die D-Mark in der Tasche hat, singt und feiert auf dem Platz die Nacht der Währungsunion.
Aber nicht jedem ist nach Feiern zumute. Konrad Weiß, Mitglied der Bürgerrechtsbewegung und Regisseur, kommt in Südfunk Aktuell zu Wort. Er findet, die Währungsunion komme zu schnell und die ideellen Werte der Bewegung würden vergessen.
31.8.1990 Der Einigungsvertrag
31.8.1990 | Der Wille war da, aber es der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR war kein Selbstläufer. Es wurde gerungen und brauchte einige Anläufe, bis die Wiedervereinigung schriftlich besiegelt wurde. Die schwierigsten Verhandlungsthemen waren: Der Umgang mit den Stasi-Unterlagen und die Frage der Abtreibung.
3.10.1990 Der Moment der Wiedervereinigung
3.10.1990 | Es ist Mitternacht: Auf dem Platz der Republik läuten die Glocken und dann spricht Bundespräsident Richard von Weizsäcker die ersten Worte zum wiedervereinigten Deutschland.
Obwohl fast alle Rundfunkanstalten diesen Moment übertrugen, ist er nur in den wenigsten archiviert. Bemerkenswert auch: Nach der kurzen Ansprache Weizsäckers hört man ihn noch sagen "Jetzt muss die Nationalhymne kommen". Nach den ersten Tönen ermuntert ihn Hannelore Kohl noch: "Sag was zur Hymne." Doch dabei bleibt es. Nach der Nationalhymne ist dieser "offizielle Teil" erledigt.
Die Monate vor dem Mauerfall
Archivradio Carl Goerdeler und der Widerstand gegen Hitler | Gespräch mit Peter Theiner
"Die SA will, dass ich das Mendelssohn-Denkmal entferne. Aber wenn sie es je anfasst, mache ich hier Schluss“, erklärt der Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, wenige Wochen bevor die Nazis in einer Nacht- und Nebelaktion, im November 1936, das Denkmal des berühmten jüdisch-stämmigen Kapellmeisters und Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy entfernen.
Goerdeler tritt, wie angekündigt, zurück und geht in den Widerstand gegen das Nazi-Regime. Auch am versuchten Staatsstreich im Juli 1944 ist er beteiligt – und bezahlt dafür mit dem Leben. Am 2. Februar 1945 wird Carl Friedrich Goerdeler in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
"Er war der Motor des zivilen Widerstandes", sagt der Stuttgarter Historiker Peter Theiner im Gespräch mit Stefan Nölke (MDR 2025)
Diskussion Deutschland wieder auf der Spur? – Was das Ausland nun von uns erwartet
Back on Track – zurück auf der Spur sieht Friedrich Merz das Land, das er bald als Bundeskanzler regieren will. Nicht nur unsere unmittelbaren Nachbarn warten auf die deutsche Unterstützung gegen die wilde Zollpolitik von Trump und die Aggressionen von Putin. Welchen Ton wird Deutschland auf dem internationalen Parkett einschlagen? Erwarten oder fürchten die Nachbarn mehr deutsche Führung? Claus Heinrich diskutiert mit Ph.D. Andrew Denison – Transatlantic Networks, Königswinter; Prof. Dr. Hélène Miard-Delacroix – Zeithistorikerin und Politikwissenschaftlerin an der Sorbonne, Paris; Joanna Maria Stolarek – Direktorin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau
Diskussion Der Wert des Immergleichen – Wie wichtig sind Rituale?
Bald verstecken wir wieder bunte Eier, im Advent haben wir Kerzen angezündet und dazwischen einen Wahlkampf als demokratisches Ritual erlebt. Wir pusten Geburts-tagskerzen aus, und Cristiano Ronaldo betritt das Spielfeld stets mit rechts: Rituale strukturieren und stabilisieren unseren Alltag - auch und gerade in einer zunehmend säkularisierten Welt. Welche sind neu, welche überholt, welche dienen Propaganda und Manipulation? Und wie können sie in unübersichtlichen Zeiten eine Hilfe sein? Bernd Lechler diskutiert mit Prof. Dr. Dieter Frey, Psychologe – Ludwig-Maximilians-Universität München; Prof. Dr. Guido Sprenger – Ethnologe, Universität Heidelberg; Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger – Historikerin, Wissenschaftskolleg zu Berlin