Die meisten Jurastudierenden sind Akademikerkinder, den Abschluss schafft man nur mit teuren Repetitorien, der psychische Druck ist enorm. Doch wie könnte eine Reform aussehen?
Juristisches Staatsexamen: die große Angst vor dem Scheitern
Die Vorbereitungsphase für das Erste Juristische Staatsexamen: Kaum eine andere Prüfung an deutschen Universitäten gilt als so anspruchsvoll. Geprüft wird ein riesiger Berg an Stoff aus Strafrecht, Zivilrecht und Öffentlichem Recht. Knapp ein Drittel der Studierenden fällt durch. Nach vier bis fünf Jahren Studium hat man dann nichts in den Händen. Die Angst, im Jurastudium zu scheitern, ist enorm.
Die Prüfung kann nur einmal wiederholt werden und die Note ist entscheidend für die Karriere. Das Spektrum der Bewertung reicht von 0 bis 18 Punkten. 18 Punkte hat noch nie jemand erreicht. 15 Punkte, so erzählen Jurastudierende meist mit dem Unterton höchster Bewunderung, sollen einzelne Absolventinnen geschafft haben.
Karriere als Richterin, Staatsanwalt oder in Top-Kanzlei: nur mit Prädikatsexamen
Angestrebt werden von den meisten die magischen neun Punkte: das sogenannte Prädikatsexamen. Damit kann man Richterin oder Staatsanwalt werden oder einen Job in einer Top-Kanzlei ergattern. Viele hängen die Latte aber auch gleich etwas tiefer und hoffen auf vier Punkte: bestanden.
Wenn man es schafft, gehört man zu den Harten, die das Jurastudium bewältigt haben. Jura-Professorinnen sagen zu Beginn ihrer Vorlesungen schon mal, dass jeder Studierende nach rechts und links schauen soll – denn genau diese Kommilitonen werden nach ein paar Semestern nicht mehr da sein.
Nachwuchsmangel als Folge von Stress und Druck im Jurastudium
Der enorme Stress in der Prüfungsphase ist aber nur eine Kritik am Jurastudium. 2018 gab das nordrhein-westfälische Justizministerium gemeinsam mit fünfzehn Bundesländern ein Gutachten beim Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Auftrag. Ein Grund dafür: Nach einer jahrelangen Juristenschwemme drohte nun ein akuter Nachwuchsmangel.
Die Studie sollte herausfinden, woran das lag und fand heraus: Vor allem Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien haben es schwer, das Studium zu bewältigen. Nicht einmal jede dritte erfolgreiche Jura-Absolventin kommt aus einer solchen Familie. Und in keinem anderen Fach wird das Studium so spät abgebrochen: 24 Prozent beträgt die Abbrecherquote bei Jura, sehr viel für ein Fach mit Staatsexamen.
Motivation, Unterstützung und Praxisbezug fehlen
Es gebe zu wenig Unterstützungsangebote – das sagen die Autoren der Studie. Und vielen Studierenden fehle ein Praxisbezug. Die Forscherinnen stellten besonders heraus, dass vielen Studierenden offenbar die Motivation für Jura fehlt und sie sich mit dem Fach auch kaum identifizieren. Vielen geht es offenbar mehr um einen Job mit Ansehen als um das eigentliche Fach.
Prüfung: überfrachtet und fern von der beruflichen Praxis
Das ist auch eine Erfahrung, die Elisa Hoven regelmäßig macht. Sie ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und setzt sich für eine Reform des Jura-Studiums ein. Sie stellt fest, dass viele Studierende vor lauter Büffeln gar keine Liebe zum Fach entwickeln. Außerdem wird im beruflichen Alltag von Juristen schon bald nach dem Examen klar, dass die Fülle des Stoffs im Examen völlig übertrieben ist.
Auch das Setting einer Klausur im Ersten Juristischen Staatsexamen kann man als anachronistisch bezeichnen. Die Kandidatinnen sitzen in einem Raum und haben fünf Stunden Zeit. Ausgerüstet sind sie nur mit einem Stift und Papier. Ohne andere Hilfsmittel. Doch in so einer Situation werden sie weder als Anwalt noch als Richterin oder Staatsanwältin jemals arbeiten, so Hoven.
Keine Chancengleichheit: Examensvorbereitung mithilfe teurer privater Repetitorien
Eine weitere Besonderheit, die zudem die soziale Gerechtigkeit im Jurastudium unterminiert, ist das Repetitorium. Ein Kurs, meist von privaten Anbietern, in dem auf das Staatsexamen vorbereitet wird. Etwa 70 Prozent der Studierenden nehmen solche Repetitorien in Anspruch, verbunden mit hohen Kosten. Der Druck, den das Studium aufbaut, wird hier gegen Geld abgemildert. Viele Studierende sind auch überzeugt, dass das Examen ohne privates Repetitorium nicht zu schaffen sei.
Fehlende Chancengerechtigkeit im Jurastudium ist schon seit Jahren ein wichtiger Kritikpunkt. Nicht nur haben es Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien in diesem Studium schwer. Auch für Frauen gibt es Hindernisse. Sie stellen zwar die Mehrheit der Studierenden, die Prüfungskommissionen sind aber zu zwei Dritteln rein männlich besetzt. Das hat die Hertie School of Governance in einer Studie im Auftrag des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 belegt.
Frauen schneiden im Zweiten Juristischen Staatsexamen knapp zwei Prozent schlechter ab als Männer. Ein Prädikatsexamen mit mehr als neun Punkten bekommen sogar zwölf Prozent weniger Frauen als Männer. Und auch ein Migrationshintergrund bringt Nachteile: Die Wahrscheinlichkeit auf eine Prädikatsnote liegt da sogar 70 Prozent niedriger.
Umfassende Reformen schwer umzusetzen: Juristenausbildung ist Ländersache
Die Juristenausbildungsgesetze unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Jedes hat eigene Justizprüfungsämter, die das Erste Juristische Staatsexamen abnehmen. Das macht die Abstimmung untereinander ausgesprochen schwierig, sagt Elisa Hoven. Es gebe eben nicht die eine Stelle, den einen Verband, der eine Änderung vollziehen könne. Und kein Land wolle den Alleingang wagen und eine umfassende Reform angehen.
Dann ist da natürlich ein großer Bewahrungsdrang, meint Juraprofessorin Elisa Hoven. Zwar gab es bereits im 19. Jahrhundert Kritik an den Noten und auch heute spricht sich niemand gegen Reformen aus – aber es setzt sie auch niemand wirklich um. Vielleicht, weil es zu kompliziert ist. Denn für eine echte Reform des Jurastudiums müssten sich alle 16 Justizminister der Länder miteinander abstimmen. Zudem müsste für viele Reformvorhaben auch das Deutsche Richtergesetz vom Bundestag geändert werden.
Ein Katalysator könnte eine Entwicklung sein, der auch die Juristen nicht ausweichen können: die Digitalisierung. Obwohl sich juristische Fakultäten dagegen zum Teil noch stemmen. Doch eines ist klar: Ein gut funktionierender Rechtsstaat braucht gute Juristinnen und Juristen.
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