Die ökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie sind schwer einzuschätzen, weil wir kaum Erfahrungen mit Seuchen in der modernen Weltwirtschaft haben. Umso interessanter sind die Erfahrungen mit der "Spanischen Grippe" 1918 bis 1920. Dazu gibt es neue Forschung. Professor Friedrich Heinemann vom Leibniz-Institut für Europäische Wirtschaftsforschung hat sie sich angeschaut.
"Hitliste" der ökonomischen Desaster
Eine Pandemie hat durchaus das Zeug, ökonomische Schäden ähnlich denen von Kriegen und Weltkriegen anzurichten.
Von einem ökonomischen Desaster reden wir, wenn Volkswirtschaften innerhalb eines Jahres eine Rezession in der Größenordnung von zehn Prozent erleben. Die "Hitliste" der schlimmsten ökonomischen Desaster sind in dieser Reihenfolge:
- der Zweite Weltkrieg
- die Depression der 1930er-Jahre
- der Erste Weltkrieg
- die Spanische Grippe
Ein von der Spanischen Grippe durchschnittlich betroffenes Land hat etwa sechs Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verloren.
Spanische Grippe: Pandemie unterscheidet zwischen arm und reich
Lange Zeit haben wir geglaubt, dass die Spanische Grippe blind zugeschlagen hat und Reiche genauso getroffen hat wie Arme. Doch neuere Studien belegen, dass das nicht stimmt. Die Spanische Grippe war mitnichten eine klassenlose Krankheit, im Gegenteil.
Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Robert Barro hat sich eingehend mit der Spanischen Grippe und seinen Folgen befasst. Er fand heraus, dass sich die Anzahl der Menschen, die an der Grippe gestorben sind, von Land zu Land unterschieden haben.
Die meisten Toten hatte Indien zu beklagen. Dort sind Barros Schätzungen zufolge fünf Prozent der Bevölkerung gestorben, also jeder Zwanzigste.
In den wohlhabenden USA dagegen lag die Mortalität bei einem halben Prozent, in Deutschland bei 0,8 Prozent. Das ist jetzt aktuell bei Corona ähnlich.
Schlechtes Krisenmanagement: Bevölkerung verliert Vertrauen in den Staat
Mangelndes Vertrauen in den Staat kann zu negativen ökonomischen Folgen führen. Die Menschen konsumieren weniger, investieren weniger, die Börsenkurse sind auf Talfahrt.
Ein Forscherteam der Mailänder Luigi Bocconi-Universität hat untersucht, wie sich die Spanische Grippe auf das Vertrauen der Menschen ausgewirkt hat.
Dazu haben sich die Forscher europäische Einwanderer in die USA genauer angeschaut und dabei unterschieden zwischen
- den Nachfahren, deren Vorfahren vor der Spanischen Grippe eingewandert sind,
- und denjenigen, deren Vorfahren nach der Grippe eingewandert sind.
Tatsächlich fanden sie heraus, dass die Menschen ein deutlich geringeres Vertrauen haben, wenn ihre Vorfahren die Spanische Grippe in ihren Heimatländern noch miterlebt hatten.
Das Sozialkapital eines Landes kann also dauerhaft durch eine Pandemie geschädigt werden. Allerdings ist auch ein gegenteiliger Effekt möglich – nämlich dann, wenn ein Land eine Krise gut meistert. So wie das aktuell in Deutschland der Fall ist.
Spanische Grippe vs. Covid-19
Die historische Forschung zeigt, dass es durchaus nicht ungewöhnlich ist, dass Pandemien ähnlich hohe Rezessionen auslösen können wie Kriege und dass sie zu schwersten Wirtschaftseinbrüchen führen.
Unsere Zeit unterscheidet sich jedoch sehr vorteilhaft von den Erfahrungen vor 100 Jahren. Das hat nicht nur medizinische Gründe, sondern liegt auch an dem umfangreichen Wissen, das wir heute haben.
1918 kannte man noch keine Viren. Heute war das Genom des SARS-CoV-2-Erregers schon nach Wochen entschlüsselt, sodass die globale Wissenschaftscommunity anfangen konnte, nach Impfstoffen zu suchen.
1918 gab es keine Möglichkeit der Digitalisierung, ins Homeoffice zu gehen und dort weiter produktiv zu bleiben. Wir haben heute ganz andere Techniken, unsere wirtschaftliche Aktivität aufrechtzuerhalten.
Heute wissen wir besser, wie man mit Krisen und schweren Rezessionen umgeht.
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16.10.1957 | In den Jahren 1957 und 1958 sterben weltweit mehr als eine Million Menschen an der damals grassierenden Asiatischen Grippe. Es ist die zweitschlimmste Influenza-Pandemie des 20. Jahrhunderts, übertroffen nur durch die Spanische Grippe 1918 bis 1920. In Deutschland fallen der Asiatischen Grippe rund 30.000 Menschen zum Opfer. Trotz dieser schweren Epidemie findet sich in den Archiven des Südwestrundfunks zur Asiatischen Grippe nur ein einziger Bericht aus dieser Zeit, gesendet am 16. Oktober 1957. Es geht, auch damals, um die Folgen für die Wirtschaft und das öffentliche Leben – und natürlich auch um Vorbeugemaßnahmen. Händewaschen wird dabei noch nicht genannt, dafür das Gurgeln mit Wasserstoffsuperoxid sowie das Einnehmen formalinhaltiger Tabletten. Die Asiatische Grippe hat vor allem Kinder und Jugendliche getroffen. Insofern hätte es gute Gründe gegeben, die Schulen zu schließen, aber damit war man zurückhaltend. Der Unterricht fiel erst aus, wenn die Hälfte einer Klasse erkrankt war.
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