Der Herbst 1977 war eine düstere Zeit – geprägt vom Terror der RAF. Der Deutsche Herbst hatte eine lange Vor- und Nachgeschichte.
Die historischen Tondokumente dokumentieren die Ereignisse ab 1972 sowie die Stimmung und den Zeitgeist bis zum Herbst 1977.
Die Tonaufnahmen zur RAF im Kontext
Christoph König im Gespräch mit dem Autor Maximilian Schönherr.
Teil 1: Die Vorgeschichte der RAF
Nach dem Stammheim-Prozess und dem Suizid Ulrike Meinhofs ging die RAF zur Ermordung von Repräsentanten des Staates und des "Kapitals" über.
Teil 2: Höhepunkt der Terrorwelle durch die RAF
1977 spitzt sich der Terror in Deutschland zu. Die RAF ermordet und entführt Repräsentanten von Politik und Wirtschaft.
Tondokumente zur RAF
1.6.1972 Verhaftung der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe
1.6.1972 | Hunderte Schüsse sollen gefallen sein, als am 1. Juni 1972 die Polizei im Frankfurter Nordend drei Mitglieder aus dem harten Kern der "Roten Armee Fraktion" festnahm: Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. In den Wochen zuvor hatte die Terrorgruppe eine Reihe von Anschlägen verübt.
Baader saß 1970 schon einmal im Gefängnis, war aber mithilfe der Journalistin Ulrike Meinhof befreit worden und hielt sich seitdem im Untergrund auf bzw. zusammen mit anderen Angehörigen der Terrorgruppe in Jordanien, wo sie wiederum bei palästinensischen Terroristen Waffentraining bekamen. Zurück in der Bundesrepublik verüben sie 1972 zahlreiche Bombenanschläge – auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Frankfurt und Heidelberg, auf Polizeistationen, auf die Zentrale des Axel-Springer-Verlags in Hamburg.
Welche Bedeutung die Festnahme von Baader, Meins und Raspe hat, zeigt sich auch darin, wie ausführlich die Nachrichten des Südwestfunks und die unmittelbar anschließende Sondersendung darauf eingehen. Sie unterstützen auch die weiteren Fahndungsaufrufe der Polizei.
19.6.1972 Bundesanwaltschaft zur Verhaftung von Ulrike Meinhof
19.6.1972 | Ulrike Meinhof wurde heute verhaftet. Die Staatsanwaltschaft grübelt über einem verschlüsselten Brief von Gudrun Ensslin an Ulrike Meinhof. | RAF
11. bis 15.11.1974 RAF-Terrorist Holger Meins stirbt im Gefängnis – Kritik an Ärzten
11. bis 15.11.1974 | Der RAF-Terrorist Holger Meins stirbt am 9. November 1974 als Folge seines Hungerstreiks im Gefängnis im rheinland-pfälzischen Wittlich. Als Reaktion darauf ermordet die sogenannte "Bewegung 2. Juni" den Präsidenten des Berliner Kammergerichts, Günter von Drenkmann. Bis heute konnten die Täter nicht ermittelt werden. Beide Ereignisse werfen Fragen auf. Vor allem auch in Stuttgart, wo der Prozess gegen die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Carmen Roll bevorsteht, die sich dort im Gefängnis Stammheim befinden.
16.12.1974 Bundespräsident Heinemann schreibt Ulrike Meinhof einen Brief
16.12.1974 | Bundespräsident Gustav Heinemann, der Meinhof von früher kennt, appelliert an die inhaftierte RAF-Terroristin, ihren Hungerstreik zu beenden.
Die Öffentlichkeit erfährt von diesem Brief erst fünf Tage später – im folgenden Bericht vom 16. Dezember 1974 wird der Brief vorgelesen, vorher ist noch der Schriftsteller Heinrich Böll zu hören, der von einem Wahnsinn spricht, der in Deutschland vor sich gehe und den politischen Umgang mit der RAF kritisiert.
Der Brief des Bundespräsidenten an Ulrike Meinhof, die er kennt, seit er sie einmal als Anwalt in einem Beleidigungsverfahren verteidigt hat, wird von einem Rundfunksprecher verlesen. Er beginnt mit "Sehr geehrte Frau Meinhof" und geht dann auf den Hungerstreik ein. "Sie kommen an die Grenzen Ihres Lebens."
Selbstopferung hält Heinemann für einen Irrtum. Ulrike Meinhof erschwere damit die Arbeit anderer, die sich um Besserung der Verhältnisse bemühen. Heinemann meint, er habe ihren Weg mit Aufmerksamkeit verfolgt und schließt mit den Worten: "Bitte nehmen Sie sich die Freiheit und beenden den Hungerstreik."
3.3.1975 Entführung von Peter Lorenz
3.3.1975 | Peter Lorenz, Spitzenkandidat der CDU für das Amt des Regierenden Bürgermeisters in Berlin, war von Mitgliedern der RAF entführt worden. Die "Bewegung 2. Juni" forderte die Freilassung von RAF-Häftlingen. Alle vier Partien kamen binnen weniger Tage zum Konsens, darauf einzugehen. Der Name der "Bewegung 2. Juni" bezieht sich auf das Datum des Todes von von Benno Ohnesorg. Er war am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration in West-Berlin von einem Polizisten erschossen worden. | RAF
24.4.1975 Geiselnahme: Überfall auf deutsche Botschaft in Stockholm
24.4.1975 | Die fast eineinhalbstündige Livesendung beginnt 14 Stunden nach Beginn der Geiselnahme, als sich die Lage in Stockholm zuspitzt, und endet mit der Bergung der Geiseln und einer schwächer brennenden Botschaft, aus der heraus noch geschossen wird. Wesentliche Elemente werden durch ein Live-Telefongespräch mit dem Reporter vor Ort geliefert. | RAF
21.5.1975 Der Baader-Meinhof-Prozess beginnt in Stuttgart-Stammheim
21.5.1975 | Stuttgart-Stammheim. Beginn des Prozesses gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Sicherheitskontrollen wie noch nie bei einem bundesdeutschen Gerichtsverfahren. Ansonsten: Eine Angeklagte, die im Gerichtssaal raucht. Drei Rechtsanwälte, darunter Hans-Christian Ströbele, die durch einen Trick ihrem Gerichtsausschluss entgehen wollten. Und im Luftraum über Stammheim taucht auch noch ein verdächtiges Sportflugzeug auf.
Das war der Stand der Dinge in der Mittagsausgabe von SDR1 Aktuell. Am Nachmittag gab es schon eine Weiterentwicklung – dann war auch klar, was es mit dem Sportflugzeug auf sich hatte.
28.10.1975 Stammheim-Prozess: Jan-Carl Raspe zu den Haftbedingungen
28.10.1975 | Der Angeklagte Jan-Carl Raspe kritisiert während der Verhandlung am 28. Oktober 1975 die Isolationshaft. | RAF
4.5.1976 Baader kritisiert Stammheim-Prozess, Schily fordert Nixon als Zeuge
4.5.1976 | Der Stuttgarter Stammheim-Prozess gegen die Mitglieder der RAF zieht sich hin. Der Angeklagte Andreas Baader wirft dem Gericht vor, dass der Prozess aus wahlkampftaktischen Gründen künstlich in die Länge gezogen werde. Baader sieht das Gerichtsverfahren letztlich als Spiegelbild der globalen Machtverhältnisse.
10.5.1976 Neue Erkenntnisse nach dem Tod von Ulrike Meinhof
10.5.1976 | Einen Tag nach dem Tod von Ulrike Meinhof gibt es Streit über die Obduktion und die Informationspolitik der Justizbehörde. In Frankfurt finden gewalttätige Sympathiekundgebungen statt. | RAF
10.1.1977 Otto Schily erhebt Beschwerde gegen Haftbedingungen für RAF-Mitglieder
10.1.1977 | Otto Schily, Verteidiger von Gudrun Ensslin, erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bundesrichter Albrecht Mayer. Begründung: Verdacht auf geheime Absprachen zwischen den Richtern sowie Weitergabe von Prozessakten an Journalisten. Noch am selben Tag wird Albrecht Mayer versetzt. | RAF
6.9.1977 Attentat auf Hanns Martin Schleyer: Augenzeugenbericht
6.9.1977 | Ein Augenzeuge schildert die Ereignisse nach dem Anschlag auf den Arbeitgeberpräsidenten: Böllerschüsse, Pulvergeruch und fürchterliche Schreie. | RAF
15.10.1977 Videoaufzeichnung mit dem Entführten Hanns Martin Schleyer
15.10.1977 | Der entführte Hanns Martin Schleyer fleht in einer RAF-Videobotschaft um Hilfe.
18.10.1977 Sondersendung: Befreiung der Geiseln in Mogadischu
18.10.1977 | Deutsche Spezialeinheiten haben die entführte "Landshut" gestürmt. Regierungsvertreter danken der GSG 9 für die Befreiung der Geiseln. Hanns-Martin Schleyer ist noch immer gefangen.
18.10.1977 Ende des Geiseldramas in Mogadischu – Selbstmorde in Stammheim
18.10.1977 | RAF | Die "Landshut" ist befreit, die in Stammheim inhaftierten Terroristen sind tot. Das Schicksal von Arbeitgeberpräsident Schleyer: Noch ungewiss. Das ist die Situation am Nachmittag des 18.10.1977. Der folgende Mitschnitt beginnt mitten in den 17-Uhr-Südwestfunk-Nachrichten mit Wetterbericht und geht dann in eine einstündige Dokumentation über. Diese besteht aus 13 Elementen, die von Ursula Schaffeld und Bernhard Hermann moderiert werden. Hermann stellt zu Beginn fest. "Es jagen sich jetzt noch die Meldungen. Telefone und Fernschreiber stehen nicht still." Weitere Audios und Hintergründe: http://swr.li/deutscher-herbst
19.10.1977 Hanns Martin Schleyers Leiche in Mühlhausen gefunden
19.10.1977 | Im französischen Mühlhausen wird die Leiche von Hanns Martin Schleyer gefunden. Die Sondersendung des Südwestfunks beginnt mit Mutmaßungen über die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, die sich im Laufe des Abends bestätigen. Die Bundesregierung beantwortet keine Fragen und erklärt "die Stunde der Fahndung" für gekommen.
20.10.1977 Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Kampf gegen Terrorismus
20.10.1977 | Nach der riskanten, aber gelungenen Befreiung der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" und der anschießenden Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer durch die RAF befasst sich am 20. Oktober 1977 der Bundestag mit den Ereignissen. Bundeskanzler Helmut Schmidt gibt dabei eine Regierungserklärung ab. Er befasst sich damit auch mit der Frage, welche Risiken der Staat eingehen darf, um seine Bevölkerung zu schützen.
23.12.1977 Hanns-Eberhard Schleyer spricht über die Ermordung seines Vaters Hanns Martin Schleyer
23.12.1977 | Hanns-Eberhard Schleyer, ältester Sohn des von der RAF am 5. September 1977 entführten und am 18. Oktober 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, lehnt schärfere Gesetze aufgrund der Ereignisse ab. Er fordert aber von den "meinungsbildenden Kräften" und Sympathisanten, sich zur demokratischen Grundordnung zu bekennen. | RAF
30.11.1989 Mord an Alfred Herrhausen
30.11.1989 | Eine Bombe tötet den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen. Die RAF bekennt sich zur Tat. Doch bis heute konnten die Täter nicht ermittelt werden. Alfred Herrhausen war ein untypischer Bankchef, der sich der Öffentlichkeit stellte, sich in Osteuropa engagierte und für einen Schuldenerlass gegenüber afrikanischen Ländern warb. Auch war er ein persönlicher Vertrauter des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl.
27.6.1993 Schusswechsel mit RAF-Terroristen im Bahnhof Bad Kleinen
27.6.1993 | Spezialkräfte der GSG 9 nehmen Birgit Hogefeld fest, doch Wolfgang Grams tötet den GSG-9-Beamten Michael Newrzella und begeht dann Suizid.
20.4.1998 RAF gibt Auflösung bekannt
20.4.1998 | Die Rote Armee Fraktion (RAF) war jahrzehntelang der Inbegriff des Links-Terrorismus. Nach vielen Morden, Entführungen und Anschlägen in den 1970ern und 1980ern und mindestens zwei Generationswechseln an der Spitze der Gruppe wurde es in den 1990er-Jahren still um die RAF – so still, dass es fast eine Überraschung ist, als die RAF am 20. April 1998 in einem förmlichen Schreiben ihre Auflösung bekannt gibt mit den Worten: "Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte."