Der Erfolg der Backstreet Boys war kein Zufall. Ihr Erfinder Lou Perlman war nicht nur ein abgebrühter Musik-Manager, sondern ein Verbrecher. Die Netflix-Serie „Schmutziges Pop-Geschäft: Der Boyband-Betrug“ erzählt von den Schattenseiten hinter der Bandgeschichte.
Es ist nicht die musikalische Passion, die Nick, Brian, Kevin, AJ und Howie im Jahr 1993 zusammenführt. Es ist auch nicht die jahrelange Freundschaft unter sangeslustigen Jungs, die die Fünf schließlich als Backstreet Boys gemeinsam auf die Bühne bringt. Es ist die Gier eines einzelnen mächtigen Mannes, der aus den Träumen junger Männer Kapital schlägt und sich auf ihre Kosten bereichert.
Der Mann hinter den Backstreet Boys heißt Louis „Lou“ Pearlman, von seinen Zöglingen lässt er sich „Big Poppa“ nennen. Pearlman ist das, was man gemeinhin einen windigen Typen nennt: ein umtriebiger und exzellent vernetzter Unternehmer mit visionären Ideen, der nicht davor zurückschreckt, seine Ziele auch durch kriminelle Machenschaften zu erreichen.
Eine neue Netflix-Serie erzählt davon: „Schmutziges Pop-Geschäft: Der Boyband-Betrug“ (Original: „Dirty Pop: The Boy Band Scam“) heißt sie.
Trailer zur Netflix-Miniserie „Schmutziges Pop-Geschäft: Der Boyband-Betrug“:
Pearlman ist nicht nur der Erfinder der Backstreet Boys, sondern auch der Kopf hinter Bands wie *NSYNC, O-Town oder Natural. Ferner hatte er die Idee zur Strip-Kombo Chippendales und der Casting-Show „Making the Band“.
Vor allem aber ist der 2016 verstorbene Pearlman ein Verbrecher. Was für eine Geschichte verbirgt sich hinter diesem Mann?
Pearlman ging es nicht um Musik, sondern um Profit
Pearlman, ein Cousin von Art Garfunkel, baute zunächst ein Helikopter-Unternehmen in New York auf und beförderte damit vorrangig Promis. Als er den Manager der New Kids on the Block kennenlernte und von den exorbitanten Einnahmen der Band erfuhr, beschloss er kurzerhand, selbst eine Boyband zu gründen.
Von Beginn an ging es ihm nicht um die Musik, sondern um die Herzen kleiner Mädchen – mit denen man sehr gut Reibach machen konnte. Einst entgegnete Pearlman auf die Frage, wann es mit dem Boyband-Trend zu Ende sein würde: „Ich sage Ihnen genau, wann es zu Ende gehen wird. Wenn Gott aufhört, kleine Mädchen zu machen. Bis es soweit ist, machen wir weiter.“
Eine Zeitungsannonce steht am Anfang der Backstreet Boys
1992 schaltete er in Orlando eine Zeitungsannonce und lud mehrere hundert junge Männer zum Casting in einem seiner Hangars ein. Orlando galt seinerzeit als Hollywood der Pop-Branche, mit Freizeitparks wie Disney World und der Sendung Mickey Mouse Club war es der Ort, an dem der Traum vom großen Durchbruch, vom Leben auf der Bühne, vom Star-Sein und Bewundert-Werden für junge Menschen greifbar wurde.
Alexander James McLean, genannt AJ, und Howard „Howie“ Dorough kannten sich bereits von anderen Castings. Auch Nicholas Gene Carter, aka Nick, und Kevin Richardson wussten zu gefallen. Schließlich holte Richardson im Nachgang noch seinen Cousin Brian Littrell dazu – die Backstreet Boys, die Pearlman nach einem Flohmarkt in Orlando benannt hatte, waren damit komplett.
Das Lügen beginnt
Größtenteils kannten sich die Jungs vorher nicht, nach außen wurde von Pearlman aber die Legende einer jahrelangen Freundschaft kolportiert. Wie verschlagen Pearlman war, zeigt sich etwa bei einem Interview, das er 1997 dem Focus gab. Auf die Frage, wo er die Backstreet Boys kennengelernt habe, antwortet der Musik-Manager: „Die Backstreet Boys habe ich bei einem Schulfest in Orlando gehört. Ich habe sie spontan verpflichtet und dem ehemaligen Tourmanager der New Kids On The Block gesagt: ,Hier hast du ein neues Baby, und nun mach einen Goldesel draus!‘“. In Wahrheit hatten sie ihren ersten Auftritt bei einer Wal-Show im Sea Life in Orlando.
Es sollte nicht die einzige Lüge bleiben. Das Image der Band musste, entsprechend der Zielgruppe, schwiegermuttertauglich sein: das Aussehen glatt, die Lebensentwürfe harmlos. Es gab klare Anweisungen vom Management: Alkohol und Zigaretten waren tabu, ebenso wie Piercings oder Tätowierungen.
Die Boys mussten für die Öffentlichkeit Single sein und heterosexuell: Das perfekte Ziel für jugendliche Schwärmereien. Das alles war jedoch nur Schein. Sowohl Nick als auch AJ berichteten später von ihrer Alkohol- und Drogensucht und offensichtlich hatten alle Jungs immer wieder Freundinnen.
Auch sonst kontrollierte Pearlman das Leben der Jungs auf und hinter der Bühne, mit Knebelverträgen und Unehrlichkeit. Wie sich im Nachhinein zeigte, wussten weder die Backstreet Boys noch *NSYNC, seinerzeit die größten Konkurrenten im Boyband-Business, dass Pearlman Manager beider Bands war.
Lou Pearlman steckt sich den Gewinn selbst in die Tasche
Seinen Zöglingen enthielt er Gagen mit der Begründung, in Vorleistung für ihren Erfolg gegangen zu sein. Obwohl jedes Bandmitglied Ende der 1990er-Jahre millionenschwer hätte sein müssen, zahlte er AJ, Nick, Kevin, Howie und Brian nur 12.000 Dollar im Jahr aus. Die Sänger von *NSYNC erhielten übrigens einen Tagessatz von 35 Dollar. Fast alle Bands, die von Pearlman gegründet wurden, klagten deshalb später erfolgreich gegen den Unternehmer.
Auch Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs wurden laut: In der Vanity Fair sprach Pearlmans ehemaliger Assistent Steve Mooney 2007 von der Vorliebe Pearlmans für junge Männer und davon, dass er Erfolgsversprechen dazu nutzte, sie gefügig zu machen. Pearlman bestritt die Vorwürfe zeitlebens und auch vonseiten der Band-Mitglieder wurden sie nicht bestätigt.
30 Jahre Backstreet Boys: Softe Typen, eingängige Hits und kreischende Teenies:
Einfach unverbesserlich
2007 wird Lou Pearlman auf Bali festgenommen. Der Vorwurf lautet Anlagebetrug in Millionenhöhe. 2008 gibt der Boyband-Erfinder zu, Anleger mit einem Schneeballsystem um 300 Millionen Dollar betrogen zu haben. Ähnlich wie der Flowtex-Gründer Manfred Schmider baute er ein Lügengerüst auf, das den Investoren vorgaukeln sollte, er habe ein florierendes Charter-Unternehmen, dabei besaß er nur drei Flugzeuge.
Pearlman wurde 2008 zu 300 Monaten Haft verurteilt, ein Monat je veruntreuter Million. Das Gericht räumte ihm die Möglichkeit ein, für jede zurückgezahlte Million einen Monat Haftverkürzung zu erhalten. Was macht Lou Pearlman also?
Er will ein Band-Casting in seiner Zelle organisieren, um die 1.700 Betrugsopfer zu entschädigen. Er versucht, das Gefängnis zu überzeugen, doch das Casting wird nicht erlaubt. 2016 stirbt Pearlman im Gefängnis an einem Herzstillstand.
Währenddessen füllen die Backstreet Boys weiter Hallen mit begeisterten Fans, starten Anfang 2017 eine Las-Vegas-Show und arbeiten an ihrem neunten Album. Im vergangenen Jahr tourten die Jungs, die längst erwachsene Männer sind, durch Europa.
Dass das Boyband-Konzept nach wie vor funktioniert und lukrativ ist, zeigt auch der große Erfolg von K-Pop-Bands wie BTS oder NCT.
Machtmissbrauch im Pop-Business der 1990er-Jahre
Die Geschichte der erfolgreichsten Boyband aller Zeiten erzählt vom Machtmissbrauch im Pop-Business der 90er-Jahre ebenso wie von der Geldgier eines kriminellen Unternehmers, der die Musikbranche nur als eine von vielen möglichen lukrativen Einkommensquellen sah.
Sie erzählt aber auch davon, wie viel Menschen bereit sind, für ihren Traum aufzugeben und wie das Geschäft mit der Schwärmerei kleiner Mädchen auch mehr als 30 Jahre nach ihrer Erfindung noch immer funktioniert.
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