„Wenn wir Freunde wären, dann würdest du so einen Scheiß überhaupt nicht machen!“ Die legendäre, weil völlig entgleiste Pressekonferenz von Tic Tac Toe war der wohl größte Fremdschäm-Moment der deutschen Popgeschichte. Heute muss man anerkennen: Die Band war nicht nur nervig, sondern in manchen Dingen ihrer Zeit voraus. Hier sind fünf Gründe.
1. Ihre Texten waren ein Befreiungsschlag für Mädchen
Über die ästhetische Qualität der Musik lohnt es sich nicht zu diskutieren. Bei Tic Tac Toe fragt man sich heute, was man sich bei vielen popkulturellen Erscheinungen der 90er fragt: Was hat uns damals geritten?
Doch für junge Mädchen und Teenager-Girlies war die Band eine Sensation. Endlich durfte man einfach ungeniert herausbrüllen was gefällt. „So scheiße, baby!“ „Verpiss Dich“, „Leck mich am A*“ – Tic Tac Toe machten es vor. Die Message: Wir wollen niemandem gefallen.
Starke Frauen, die sich mit harten Texten positioniert haben: Das gab es damals überhaupt nicht in der Popkultur. Nach dem Ende der Band im Jahr 1997 dauerte es satte 20 Jahre, bis wieder Frauen mit einer vergleichbaren In-your-Face-Attitüde den Pop in Deutschland aufmischten.
2. Lust auf Sex war bei Tic Tac Toe kein Tabu
Es ist noch immer ein schwieriges Thema. Doch zu Zeiten von Tic Tac Toe war weibliche Lust ein Skandal. Zur Einordnung: 1995 war auch das Jahr der Hexenjagd auf Monica Levinsky, die wegen einer Sex-Affäre mit US-Präsident Bill Clinton eine beispiellose Schmutzkampagne über sich ergehen lassen musste.
„Funky“ ist so ein Song, der es schaffte, Eltern die Schamesröte ins Gesicht zu treiben, wenn er aus den Kinderzimmern der unbedarften Töchter erklang. In „Du hast den Schönsten“ passiert, was sonst nur Frauen über sich ergehen lassen müssen: Ein Mann wird zum Lustobjekt degradiert.
3. Sie machten den Pop diverser
Wir erinnern uns: Bis auf wenige Ausnahmen war der Mainstream-Pop in den 90ern weiß und aalglatt auf Kommerz poliert. Tic Tac Toe waren Schwarze Frauen. Noch dazu kamen die drei aus dem tiefsten Ruhrgebiet. Sie waren vorbelastet, brachten ihre eigenen Geschichten mit.
Das Management bemühte sich, alles Unsaubere zu vertuschen. Dann flog auf, dass die Frauen nicht 18, sondern schon 19, 21 und 22 Jahre alt waren, dass Lee verheiratet war und eine Drogen- und Prostitutionsvergangenheit hatte.
Ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. In einer Hetzkampagne entlud sich der ganze Widerwille des Pop-Establishments gegen diese ungehobelten Gören aus dem Block.
4. Bei aller Peinlichkeit: Tic Tac Toe waren authentisch
Die Pressekonferenz von 1997 ist völlig entgleist. Eine psychisch labile Ricky, die dem irrsinnigen Erfolg offensichtlich nicht gewachsen ist, trifft auf die geballte Arroganz von Lee und Jazzy. Vor laufender Kamera haben sich Tic Tac Toe selbst demontiert – der wohl größte Fremdschäm-Moment der deutschen Popgeschichte.
Dieser Auftritt hat das Image von Tic Tac Toe für die Ewigkeit zementiert. Mit Genugtuung stellte die Öffentlichkeit fest, dass sie es ja immer gewusst hatte: Die drei waren nicht viel mehr als drei streitsüchtige Gören mit großer Klappe.
Die Band passte nicht zur affektierten Lollipop-Ästhetik des Plastikpop jener Zeit. Ricky, Jazzy und Lee zeigten sich, wie sie waren: Laut, frech, nervtötend und – ja, peinlich. Aber sie waren es selbstbewusst und mit ungeschliffener Aufrichtigkeit.
5. Sie haben SXTN, Shirin David und co. den Weg bereitet
26 Jahre nach Tic Tac Toe ist die Welt eine andere. Deutschrapperinnen wie Nura, Juju, Ebow oder Haiyti stehen für eine neue Ära weiblicher Selbstermächtigung. Starke Frauen mit harten Texten, die ihre Klappe weiter aufreißen als ihre männlichen Kollegen – sie dominieren heute den Pop.
„Du willst mich ficken, aber du darfst es nicht, weil ich's verbiete“ säuselten SXTN 2017 in „Er will Sex“. Das Feuilleton flippte aus. Endlich waren sie da, die Frauen, die der männerdominierten Szene Paroli bieten.
20 Jahre zuvor rappten Tic Tac Toe in „Leck mich am A B Zeh“ ganz ähnliche Zeilen. Feministisch fand das damals niemand.
„Ohne Tic Tac Toe gäbe es viele von uns nicht“, sagte auch die Rapperin Antifuchs kürzlich in einem Interview mit Musikexpress. Ihr Rap „Ich find euch scheiße“ ist eine späte Hommage an die Pop-Pionierinnen der 90er.
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