Als Frontmann und Gesicht von Scooter ist H.P. Baxxter seit 30 Jahren nicht nur Architekt des Partysounds, sondern auch Botschafter der Eskalation. Ist Scooter inzwischen Kult oder einfach nur zum Lachen?
Rock am Ring 2022, gegen 1 Uhr in der Nacht: Rund 50.000 Fans fiebern geduldig auf den nächsten Act hin. Doch hinter der Bühne steht kein Schockrocker mit surrenden Gitarren bereit. Nein, im Backstage wartet Hans-Peter Geerded aus Ostfriesland auf seinen Auftritt, sehnsüchtig erwartet von der feierwütigen Menge.
Pulsierende Bässe ertönen und der wasserstoffblonde Hans-Peter, besser bekannt als Feierbiest H.P. Baxxter, brüllt „God save the Rave“ in sein nostalgisches Mikrofon. Für die Masse gibt es kein Halten mehr: Rock am Ring fühlt sich hardcore und stellt sich kollektiv die alles entscheidende Frage, was denn nun der Fisch kostet.
Das Revival der 90er Jahre kommt Scooter zu Gute
Wer Scooter als den Inbegriff der 90er Jahre sieht, und sich nun darüber wundert, dass diese Band im Jahr 2022 noch jemand hinter dem Ofen hervorlockt, hat damit nicht ganz Unrecht. Warum ist diese Band, deren Musik schon vor 20 Jahren nicht mehr State of the Art war, also bis heute so erfolgreich?
Die 90er sind nicht nur Kult, sondern auch voll im Trend. Das 90ies Revival ist im vollen Gange, sowohl in der Mode als auch in der Musik: Scooter passen da natürlich voll ins Bild, auch, weil sie sich seit ihrer Gründung (abseits der Besetzung) kaum verändert haben.
Filmbesprechung zu „FCK 2020“ von Julia Haungs:
Scooter sind Baxxter, Baxxter ist Scooter
Frontmann H.P. Baxxter bildet die einzige feste Konstante in der Band: Immer wieder changieren die Mitglieder der Band wild durch, zuletzt ist Baxxter das einzige Mitglied. Doch für Scooter als Marke spielt das keine Rolle – Scooter sind Baxxter, Baxxter ist Scooter und das konsequent, seit der Gründung 1993.
Der Erfolg der Band, die in Deutschland schon mit Platin ausgezeichnet wurde, reicht weit über die Landesgrenzen hinaus: Gerade in Osteuropa sind Scooter extrem beliebt und erfolgreich. Als die Band 2017 auf der Krim spielt, ist die Kritik immens. Scooter sitzen es aus, man will sich nicht politisch vereinnahmen lassen. Auch hier ist man offenbar konsequent.
Raffinesse ist Mangelware: Die unerschütterliche Kraft der Simplizität
Tiefgründige Texte, dezente Showelemente, geschmackvolle Inszenierungen: All das sucht man bei Scooter vergebens. Frei nach dem Motto „stumpf ist trumpf“ sind eingängige und meist gecoverte Melodien die Herzstücke der Songs, die von den kuriosen und meist eher inhaltslosen Rufen Baxxters gestützt werden.
Leicht bekleidete Gogo-Tänzerinnen, die bei den von Pomp, Pyro- und Spezialeffekten überladenen Shows über die Bühne huschen, werfen überdies die Frage nach Sexismus auf. Aber stört das bei den Auftritten von Scooter jemanden? Bei Rock am Ring zumindest nicht. Denn bei Scooter-Shows geht es weder um Qualität noch um Raffinesse.
Die Party als Schlüsselelement des Erfolgs
Auf Scooter können sich alle die einigen, für die Party im Fokus steht: Scooter bedeuten Ekstase, Scooter bedeuten Rausch und vor allen Dingen völlige Eskalation. Doch wer sind die Leute, die Scooter heute feiern? Nur Retro-Fans, die ihre Jugend wieder aufleben lassen wollen? Keineswegs!
Erstaunlicherweise sind es gerade junge Menschen, die in den 90ern noch lange nicht geboren waren, die Scooter bei Rock am Ring frenetisch feiern. Gespickt mit den Dancefloor-Veteranen, die schon vor 20 Jahren zu „Maria“ tanzten, ergibt sich ein diverses Publikum, das geeint durch den Wunsch nach Alltagseskapismus anderthalb Stunden durchtanzt. Hinterher ist man sich einig: Das war einer der besten Auftritte des Festivals.
Man muss sich klar machen: Scooter-Platten sind gewiss nichts für einen entspannten Abend im Ohrensessel, bei dem man anspruchsvolle Musik hören will. Scooter sind mit ihren treibenden Beats und anspruchslosen Texten viel mehr der Katalysator einer Massen-Katharsis, bei der die Tanzwilligen ihren Frust abschütteln können. Das wird geschätzt.
Sinnbild für den kommerziellen Ausverkauf des Techno
Doch nicht alle sind begeistert von Scooter und ihrer Mainstreamisierung der elektronischen Musik: In der Techno-Welt steht die Band sinnbildlich für den kommerziellen Ausverkauf der Szene und ist schon seit den 90ern verhasst.
Biederten sich Scooter in „Hyper Hyper“ noch mit einer Hommage an die Größen der Szene an, hatte das jedoch wenig Erfolg. Mit Scooter und dem persiflageartigen Bild, das sie aus der Technoszene zeichnen, will bis heute niemand etwas zu tun haben.
Was kostet denn nun der Fisch?
Trotzdem sind Scooter und ihre Songs längst zum Kult geworden. Denn eines müssen sich auch die härtesten Gegner der Band eingestehen: Mindestens einen Song der Band kann wohl jeder aus dem Stegreif vor sich hin summen. Scooter funktionieren seit fast 30 Jahren, weil sie in ihrem Konzept konsequent sind: Man weiß, was man bei Scooter (nicht) bekommt. Und das kommt an.
Die Frage nach dem Erfolgsrezept der Band ist geklärt, bleibt noch die Frage nach dem Preis des Fischs – doch auch die wurde beantwortet, in einer Edeka-Werbung, in der H.P. Baxxter vor einigen Jahren durch einen Supermarkt streifte: 1,59 Euro.
Sind Scooter nun also Kult oder Klamauk? Ganz einfach: beides.
Buchkritik Jens Balzer – No Limit. Die Neunziger – das Jahrzehnt der Freiheit
Historische Rückblicke auf bestimmte Schicksalsjahre sind seit einer Weile Mode. Mindestens ebenso ergiebig kann es aber sein, eine ganze Dekade in den Blick zu nehmen. Der Publizist Jens Balzer widmet sich in diesem Sinne seit 2019 den zurückliegenden Jahrzehnten der Zeitgeschichte. Er begann mit den siebziger Jahren, 2021 folgte ein Buch über die Achtziger, und nun ist Balzers Rückblick auf die neunziger Jahre in die Läden gekommen. Ein äußerst süffig zu lesender Kultur- und Mentalitätsabriss mit vielen erhellenden Momenten, sehr unterhaltsam, wenn auch mit einigen tiefen Lücken.
Rezension von Michael Kuhlmann.
Rowohlt Verlag, 382 Seiten, 28 Euro
ISBN 978-3-7371-0173-8
Film „Hyper Hyper“ – Kinodoku „FCK 2020“ über die Band „Scooter“ von Cordula Kablitz-Post
Scooter ist ein Phänomen. Gleichzeitig verspottet und verehrt, landet die Band um H.P. Baxxter seit bald 30 Jahren Techno-Hits. Die Dokufilmerin Cordula Kablitz-Post hat Scooter zweieinhalb Jahre lang begleitet. „FCK 2020“ ist ein faszinierender Einblick in das Innenleben einer schrägen Band und ein tragikomisches Zeitdokument der Coronakrise.