Kollektives Bedrohungsgefühl

„Zeit der Verluste“ – Buch von Daniel Schreiber über den Umgang mit verlorenen Sicherheiten

Stand
Interview
Philine Sauvageot

Wir befinden uns in einer Zeit um sich greifender Verluste, sagt Daniel Schreiber, Autor des Buches „Zeit der Verluste“. Das Bedrohungsgefühl, dass wir heute spürten, sei so groß wie noch nie für die meisten von uns zu unseren Lebzeiten. Darüber müssten wir nachdenken und dieser Situation mit einer „inneren Trauerarbeit" begegnen, so der Aufruf des Autors.

Kollektives Gefühl des Verlusts von Sicherheiten

Die vergangenen sieben Jahrzehnte seien eine noch nie da gewesene Zeit der Stabilität gewesen, so Schreiber. Jetzt gäbe es ein konkretes, kollektives Gefühl, dass diese immer noch greifbare Stabilität verloren ginge. Zum Beispiel angesichts von Kriegen, die heute wieder Mittel von Politik geworden seien und immer näher rückten.

Oder angesichts des Klimawandels und der Zunahme antidemokratischer, nationalradikaler Entwicklungen. „So zu tun als sei das etwas, was die Menschen schon die ganze Zeit durchmachen müssen, das ist einfach falsch und unaufrichtig und für mich eher ein Zeichen der Trauerabwehr", so der Autor.

Verdrängungs- und Abwehrreaktionen gegenüber der Bedrohungslage

An der Unfähigkeit zu trauern, habe sich seit Erscheinen des Buchs von Margarete Mitscherlich nicht wirklich etwas verändert, argumentierte Schreiber. Grundsätzlich gäbe es heute zwei Lager: Die einen, die sagten, diese mediale Katastrophisierung, da möchte ich nicht mitmachen und die anderen, die die Katastrophe beschwören würden. „Ich glaube, beide Reaktionen sind verständliche Reaktionen auf die gegenwärtige Bedrohungslage und beide Reaktionen sind Reaktionen der Trauerabwehr".

Wir stehen vor einer psychischen Herausforderung, wenn wir trauern und diese intuitive Verdrängung, das Schwere der Trauerarbeit, das müssen wir persönlich durchmachen.

In seinem Buch „Zeit der Verluste“ wolle er vermitteln, dass innere Arbeit an Trauer möglich sei, dass auch eine Arbeit an der Verdrängung möglich sei, und das versuche er an seinem eigenen Verdrängen und Weglaufen klarmachen, so Schreiber.

„Wir stehen vor einer psychischen Herausforderung, wenn wir trauern und diese intuitive Verdrängung, das Schwere der Trauerarbeit, das müssen wir persönlich durchmachen."