Zum 100. Geburtstag des Illustrators

Walter Moers über Edward Gorey: „Ich habe seine Zeichnungen als heimelig und warm empfunden“

Stand
Das Interview führte
Max Bauer
Interview mit
Walter Moers

Am 22. Februar 2025 wäre der 100. Geburtstags des amerikanischen Kultautors und Illustrators Edward Gorey (u.a. „Ein fragwürdiger Gast“). Walter Moers hat ihm zum Jubiläum ein Buch gewidmet. Im Interview spricht Moers über seine Lieblinge im Gorey-Kosmos.

Mit „Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“ und dem „Kleinen Arschloch“ ist der Zeichner und Autor Walter Moers berühmt geworden. In seinem neuesten Buch zeichnet Moers nicht selbst, sondern stellt einen anderen Zeichner vor: den „Großmeister des Kuriosen“ Edward Gorey.

Zu dessen 100. Geburtstag hat Walter Moers einen opulenten Band mit Goreys grandios gezeichneten Bildergeschichten herausgegeben. Eine Würdigung eines zeichnerischen Werks, das auf einzigartige Art und Weise düster und verspielt, tieftraurig und witzig, feinfühlig und melancholisch ist – mit einem Wort „goreyesk“.

Innenansicht des Buches „Edward Gorey. Großmeister des Kuriosen“ von Walter Moers
Innenansicht des Buches „Edward Gorey. Großmeister des Kuriosen“ von Walter Moers

Walter Moers über seinen Bezug zu Edward Gorey

SWR Kultur: Edward Gorey hat mit sehr feinem Strich seine schlanken, tänzelnden Figuren gezeichnet. Doch so richtig leicht ums Herz wird es einem in der Regel nicht, wenn man seine skurrilen, oft düsteren Geschichten liest. Wie sind Sie auf Edward Goreys Kunst gestoßen? Und wissen Sie noch, in welche Stimmung Sie die erste Begegnung versetzt hat?

Walter Moers: Ich habe kurz vor dem Abitur etwa ein Jahr lang die Schule geschwänzt, weil ich mit dem, was man uns dort beibrachte, nichts mehr anfangen konnte. Ich habe meinen Eltern jeden Tag vorgemacht, in die Schule zu gehen und bin stattdessen in die Stadtbibliothek gegangen und habe da gelesen und studiert, was mir wichtiger erschien.

Das waren unter anderem die Bücher von Edward Gorey. Das war eine sehr seltsame Zeit in meinem Leben, natürlich auch voller Ängste über meine Zukunft. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass ich das Abitur nicht geschafft habe.

Edward Gorey war ein Büchermensch. Er hat französische Literatur studiert und als Illustrator in einem Verlag gearbeitet. Er hat seine ersten Bücher selbst veröffentlicht und eine Bibliothek mit circa 25.000 Bänden besessen. Und sein Buch „Eine Harfe ohne Saiten“ handelt von dem fiktiven Autor Mr. Earbrass und seinen Schwierigkeiten, ein Buch zu schreiben. In welcher Situation des fiktiven Autors erkennen Sie sich als Autor wieder?

Walter Moers: „Eine Harfe ohne Saiten“ habe ich gelesen, lange bevor ich selber Bücher geschrieben habe. Ich habe erst später so richtig verstanden, wie absolut gültig und dabei unglaublich komisch Edward Gorey darin die Arbeit eines Schriftstellers dargestellt hat, literarisch wie zeichnerisch. Es war sein erstes Buch und ist immer noch sein bestes.

In dem Buch gibt es eine Zeichnung, auf der der Autor so weit wie möglich von seinem Schreibtisch entfernt sitzt, weil ihm die Reinschrift seines Romans droht. Diese Zeichnung hing lange über meinem eigenen Schreibtisch, weil ich mich damit sehr gut identifizieren kann.

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„Großmeister des Goreyesken“

SWR Kultur: Edward Goreys Zeichnungen und Geschichten werden oft als skurril, surreal, sonderbar, düster, geheimnisvoll bezeichnet. Manche sagen einfach: „goreyesk“. Was ist für Sie „goreyesk“?

Walter Moers: Wir haben zusammen lange mit dem Verlag über den Untertitel nachgedacht. Schließlich haben wir uns auf „EDWARD GOREY – Großmeister des Kuriosen“ geeinigt. Mir hätte „Großmeister des Goreyesken“ eher gefallen, weil er Goreys Einzigartigkeit am besten erfasst. Es gibt nur wenige Künstler, die man am besten mit dem eigenen Namen und einem „esk“ hinten dran beschreibt – mir fallen eigentlich nur Kafka und Gorey ein. Aber der Titel wäre fürs Marketing dann wohl doch etwas zu goreyesk gewesen.

Innenansicht des Buches „Edward Gorey. Großmeister des Kuriosen“ von Walter Moers
Innenansicht des Buches „Edward Gorey. Großmeister des Kuriosen“ von Walter Moers

SWR Kultur: Die Landschaften und Räume, die Edward Gorey gezeichnet hat, sind oft leer, kalt und düster. In seinem Buch „The West Wing“ geht es ganz ohne Worte um einen Ort, „wohin man geht, wenn man gestorben ist“, wie Edward Gorey selbst über dieses rätselhafte Werk gesagt hat. Braucht man für Edward Goreys Bilderwelten einen dicken Pelzmantel, damit es einen nicht dauernd fröstelt?

Walter Moers: Ich habe seine Zeichnungen nie so empfunden, sondern eher als heimelig und warm. Das liegt hauptsächlich an der Liebe für seine eigene Arbeit, die Akribie, die er in jede seiner Zeichnungen investiert, aber auch an seinem schrägen Humor. Wenn man sich auf diese Detailversessenheit und die düstere Comedy einlässt, kann einem das sehr viel geben.

Edward Gorey – Perfekt für Kinder?

SWR Kultur: Bei Edward Gorey kommen oft Kinder vor, denen es schlecht ergeht. „The Gashlycrumb Tinies“ handelt von den unterschiedlichsten Arten, wie Kinder zu Tode kommen. Ich habe bei Ihnen gelesen, dass das Buch bis heute Goreys meistverkauftes Werk ist. Der Zeichner Maurice Sendak hat gesagt, Edward Gorey sei „perfekt für Kinder“. Stimmen Sie ihm zu?

Walter Moers: Ja, absolut. Edward Gorey hat die Frage, ob seine Bücher für Kinder geeignet sind oder nicht, selber am besten mit einem Bonmot beantwortet: „Erwachsene verstehen nie etwas von alleine, und für Kinder ist es ermüdend, ihnen immer und ewig alles erklären zu müssen."

Innenansicht des Buches „Edward Gorey. Großmeister des Kuriosen“ von Walter Moers
Innenansicht des Buches „Edward Gorey. Großmeister des Kuriosen“ von Walter Moers

SWR Kultur: Edward Gorey war offen für Vieles: Er hat die unterschiedlichsten Autoren illustriert, für erfolgreiche Broadway-Theaterstücke Kostüme und Kulissen entworfen, war ein Experte für japanisches Kino und Fan von Fernsehserien. Wie passt das dazu, dass seine Geschichten immer in den gleichen Welten spielen, die an das viktorianische England erinnern?

Walter Moers: Absolut gar nicht. Es gehört für mich immer noch zu den ungelösten Rätseln um Edward Gorey, dass er sich diese vermeintlichen Selbstbeschränkungen auferlegt hat. Aber ich bin sicher, dass er dafür seine guten Gründe hatte.

Zeichnung von Edward Gorey aus seinem Buch „Ein fragwürdiger Gast“
Zeichnung von Edward Gorey aus seinem Buch „Ein fragwürdiger Gast“

„Ein fragwürdiger Gast“ – Ein sehr schräges Selbstportrait

SWR Kultur: Die Geschichte „Der fragwürdige Gast“ handelt von einem seltsamen stummen Wesen, das entfernt an einen Pinguin erinnert. Mit langem Schal und weißen Canvas-Tennisschuhen bekleidet besucht es eine Familie in deren viktorianischem Herrenhaus. Dort bringt das Wesen die Ordnung der Dinge durcheinander mit Handlungen, die scheinbar wenig Sinn ergeben. Warum könnte das Wesen Edward Gorey selbst sein?

Walter Moers: Edward Gorey trug – obwohl er ein absoluter Tierfreund war, mit zahlreichen Katzen zusammenlebte und sein ganzes Vermögen Organisationen vermachte, die dem Tierwohl dienen – oft Pelzmäntel (wie Pinguine es von Natur aus tun) und weiße Tennisschuhe und lange Schals. Insofern handelt es sich beim Gast eindeutig um ein Selbstportrait. Ein sehr schräges und komisches, wie es sich für Gorey gehört.

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