Buchkritik

Emma Cline – Die Einladung

Stand
Autor/in
Pia Masurczak

Was wir schon immer über Reiche wussten: Emma Clines neuer Roman „Die Einladung“.

Alex ist jung und schön und sie weiß: Um aufzusteigen, muss sie sich anpassen. An Simon, ihren älteren Liebhaber, oder vielmehr: Kunden.

Anpassen auch an seine Welt in den Hamptons, dem Sommerdomizil der New Yorker Upper Class. Das gelingt ihr eine Zeit lang gut, bis sie für einen kurzen Moment aus dem Rahmen fällt. Von da an begleiten wir Alex bei ihrem Versuch, sich durchzuschlagen zwischen gleichermaßen reichen wie unglücklichen Familien, deren Hausangestellten und den Mitarbeitern eines Country Clubs. Bis zu Simons Party, auf dem Alex, das ist der Horizont von „Die Einladung“, ihn zurückgewinnen will.

Emma Cline hat für ihren neuen Roman bereits jetzt viel Lob geerntet. Kühl und präzise entwerfe sie darin ein Gesellschaftsbild, inklusive einer Heldin, die nicht sympathisch sein müsse. Und tatsächlich beschreibt die Autorin an wenigen Details äußerst komplexe Statusunterschiede.

Die Welt, die Alex durchstreift, entfaltet sich auf den rund 300 Seiten wie in einem Panorama. Und doch bleibt „Die Einladung“ an der Oberfläche dieses Luxus kleben. Weder der Heldin noch den anderen Figuren gesteht Cline allzu viel Motivation, Geschichte oder Tiefe zu. Reiche Familien sind unglücklich, kalt und lieblos, so könnte man Alex‘ Begegnungen zusammenfassen. Am Ende bleibt nach der Lektüre das Gefühl, die eigenen Ressentiments bestätigt bekommen zu haben.

Schon von Anfang an ahnt man, dass Alex nicht gut aus der Sache rauskommen wird. Da wohnt sie noch über die Sommerwochen mit einem deutlich älteren, deutlich reicheren Mann in dessen Ferienhaus in den Hamptons. Dieser Simon ist nicht ihr Freund oder Ehemann, sondern ein Kunde. Nicht so einer, der der jungen Frau Geld auf den Nachttisch legt, sondern eher einer, der sie mit teuren Kleidern und Urlauben bezahlt. Und so lernen wir Alex auch kennen: Als eine, die sich gut und gerne an dieses Leben anpasst:

Alex hatte sich ausgemalt, was für eine Person Simon gefallen würde, und es war die Person, die Alex ihm vorgab zu sein. Alex’ ganze abgeschmackte Vergangenheit wurde herausgelöst, bis es sogar ihr selbst allmählich so vorkam, als wäre nichts davon je passiert.

Ein Sommer voller Langeweile, Partys und Strand

Auch wenn wir wenig von Alex’s Vorgeschichte erfahren, so viel ist klar: Zurück in „die Stadt“, gemeint ist New York, kann sie nicht. Keine Wohnung, stattdessen Mietschulden und ein irgendwie gefährlicher Ex-Kunde lassen die Flucht ins Sommerhaus unausweichlich erscheinen. Dort herrscht eine gepflegte Langeweile, unterbrochen nur von Fahrten zum Strand und Partys bei Simons ebenso wohlhabenden Freunden.

„Schöne Aussicht“, sagte Alex – und das war es. Von dort, wo sie und Simon standen, war der Strand nicht zu sehen. Nur Wasser, flach und silbrig, das sich vom Rand der Terrasse bis hinaus zur pinkfarbenen Horizontlinie zu erstrecken schien. […] Neid durchfuhr Alex‘ Körper wie Adrenalin, ein schneller und belebender Flash, der ihr geradewegs zu Kopf stieg.

Denn Alex gehört natürlich nicht dazu: Sie ist Gast und abhängig davon, Simons perfektes Arm Candy, sein Schmuckstück zu sein. Jung und schön, aber sonst so unauffällig wie möglich. Das klappt, bis zu dem Punkt, als Alex kurz die Kontrolle verliert und mit einem anderen Mann im Pool landet. Ein Faux Pas mit Konsequenzen:

Sie war dumm gewesen gestern Abend, leichtsinnig, aber sie und Victor hatten ja nichts gemacht. […] Sie würde mit Simon reden. […] Sie hatte gar nichts ruiniert. Das Unglück hatte Alex nicht berührt: Es war ihr nur so nahe gekommen, dass sie den kalten Hauch eines ganz anderen Ausgangs vorbeisausen spürte.

Alex schnorrt sich durch die Upper Class

Da täuscht sie sich, denn Simon bedeutet ihr kalt und unmissverständlich, dass sie doch besser abreisen solle. Und dann, am Bahnhof, beginnt die siebentägige Odyssee, auf die Emma Cline ihre Heldin schickt. „The Guest“ heißt der Roman im Original, was besser passt als „Die Einladung“. Denn Alex macht sich zum uneingeladenen Gast der wohlhabenden Upper Class. Zwischen reichen Familien, den emotional vernachlässigten Kindern und den beflissenen, leicht zu übersehenden Hausangestellten schnorrt die Heldin sich durch. Das Ziel: Ausharren bis zu Simons Party am Labor Day, auf der sie ihn zurückgewinnen will. Muss, denn eine andere Option hat sie nicht, suggeriert uns der Roman.

So entsteht ein Panorama dieses sehr speziellen Milieus zwischen Villen und meterhohen Zäunen, versinnbildlicht durch die überall vorhandenen Pools: Anfangs groß, kristallklar und warm. Je mehr die Dinge in Richtung Katastrophe kippen, dann so:

Der Whirlpool war immer noch kalt. Die Heizanlage funktionierte nicht – Stunden waren vergangen, und das Wasser hatte immer noch dieselbe Temperatur. Noch etwas, das kaputt war. Alex saß auf der Terrasse, die Knie angezogen unter dem Nachthemd. Es gab Dinge, die ließen sich tatsächlich nicht in Ordnung bringen.

Überhaupt ist alles recht eindeutig in diesem Roman: Die Metaphern so wenig subtil wie die Häuser, die Menschen kühl und emotional verkümmert, die Kinder wohlstandsverwahrlost und ungeliebt, wie der Teenager Jack, der sich in sie verliebt.

„Mein Vater wär froh, wenn ich weg wäre. Denen ist es egal.“

„Bestimmt nicht“, sagte Alex. „Bestimmt ist es ihnen nicht egal“, wobei sie selbst nicht daran glaubte. Nicht mal bei Leuten wie Jack, mit Eltern wie seinen. […] Vor Hunderten von Jahren hätten ihre Eltern ihre Babys vielleicht im Wald ausgesetzt. Stattdessen zog sich die Vernachlässigung über Jahre hin, ein Verwelken in Zeitlupe. Die Kinder wurden nach wie vor ausgesetzt, im Wald zurückgelassen, nur dass der Wald wunderschön war.

Emma Cline gilt als Stern am Literaturhimmel

Emma Cline wurde schon für ihr Debut „The Girls“ als neuer Star am amerikanischen Literaturhimmel gefeiert – inklusive Millionenvorschuss, was den Hype noch einmal zusätzlich befeuerte. Und auch „Die Einladung“ hat das Prädikat „Roman des Sommers“ verliehen bekommen. Ein bisschen vorschnell. Denn die Autorin schafft hier eine erstaunlich eigenschaftslose Heldin. Alex ist keine Hochstaplerin wie Felix Krull, auch wenn sie mit großer Leichtigkeit ihre Rolle performt. Und sie ist auch kein jugendlich verzweifelnder Holden Caulfield aus „Der Fänger im Roggen“, der die soziale Oberfläche zu durchschauen meint. Sondern eine biegsame junge Frau, mit einigen wenigen Sprüngen in der glatten Oberfläche. Die Beobachtung der feinen Unterschiede ist so kühl und präzise wie die Upper Class selbst. Aber daraus folgt für die Figuren wenig. Selbst die Gefahr, die Alex von einem Ex-Kunden droht, ist mehr Behauptung als wirklich nachvollziehbar. So hat man am Ende der rund dreihundert Seiten das Gefühl, vor allem die eigenen Ressentiments bestätigt zu bekommen. Und Alex? Die macht einfach trotzig weiter:

Zu Simon. Das war alles, was Alex tun musste.

Nicht anhalten, einfach weitergehen, obwohl sie spüren konnte, dass etwas nicht stimmte, ihr Nacken war verkrampft, ihr Gang irgendwie schief. Aber es ging ihr gut, solange sie den Blick nach vorn richtete, solange sie nicht stehen blieb oder langsamer wurde.

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