Buchkritik

Michael Köhlmeier – Frankie

Stand
Autor/in
Carsten Otte

Ein Vierzehnjähriger, der seine Mutter bekocht und sich mit Waffen auskennt. Ein Großvater, der nach achtzehn Jahren Gefängnis vorzeitig entlassen wird. Die beiden gehen auf eine Reise mit ungewissem Ende. Michael Köhlmeiers Roman „Frankie“ ist ein Familienroman mit Thriller-Elementen und grotesken Roadmovie-Szenen. Eine perfekt erzählte Geschichte über die Frage nach Verantwortung und Schuld.

Frank Thaler lebt mit seiner Mutter in Wien. Bald wird er vierzehn Jahre alt, ein Kind noch, aber eines, das in vielen Bereichen „selber entscheiden kann“ und muss. Gerne bekocht der Ich-Erzähler seine Mama, eine gelernte Schneiderin, die an der Volksoper arbeitet und oft nicht daheim ist. Die beiden führen ein bescheidenes, aber durchaus wohlgeordnetes Leben, als Franks Opa vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Achtzehn Jahre hat der Mann gesessen.

„Ich weiß nicht, was er getan hat. Ich denke, ich werde es herauskriegen. Irgendwann. Jetzt habe ich noch ein bisschen Angst davor.“

Der Großvater ist eine unheimliche Gestalt. Groß und hager, aber alles andere als gebrechlich. Er ist ziemlich unfreundlich zu seinem Enkelsohn, nennt ihn Frankie, was der Junge nicht möchte. „Ich sag´s trotzdem, Frankie“, erwidert der Großvater, der ohnehin merkwürdig spricht.

„Eigentlich müsste ich, wenn ich über ihn schreibe und ihn etwas fragen lasse, kein Fragezeichen setzten, sondern ein Rufzeichen. ‚Darf ich noch von dem Gulasch haben!‘ Oder: ‚Darf ich mir noch ein Bier nehmen!‘ Oder: ‚Hast du Kandiszucker!‘ Immer Rufzeichen. Das muss er sich abgewöhnen, denke ich. So kommt er draußen nicht weit.“      

Dem Großvater scheint es gleichgültig zu sein, was andere über ihn denken. Er lebt inzwischen in einer schäbigen Wohnung, die ihm von der Bewährungshilfe zugewiesen wurde. Anfangs besucht ihn Frank, bringt frische Bettwäsche, kauft ihm sogar ein Handy. Doch der Großvater bleibt so undankbar wie unberechenbar. Eines Tages steht er vor der heimischen Tür, die Frank nicht öffnen möchte, auch weil die Mutter nicht da ist.

„Ich warte. Ich sag nichts mehr und warte. Aber ich warte nicht lange. Wie lange ich warte, das wirst du dann schon merken. (…) Du merkst es daran, dass ich die Tür einschlage. Ich kann das. Also.“   

Zwischen Frank und dem Großvater entwickelt sich schon bald eine unheilvolle und widersprüchliche Beziehung. Einerseits möchte der Junge möglichst wenig mit dem ruppigen Kerl zu tun haben, der sich wie ein Cowboy aufführt und aus irgendwelchen Gründen seinen Namen verschweigt. Andererseits ist er auch fasziniert von dem Einundsiebzigjährigen mit seinem „von Kerben kreuz und quer geritzten Nacken“. Gerade das Gewalttätige scheint Frank anzuziehen. Jedenfalls steigt er in ein Auto, das der Großvater gerade aufgebrochen hat. Sie fahren nun „weg von Wien, weg von Mama“, nicht schnell, sondern so langsam auf der rechten Spur, dass die LKW-Fahrer ständig hupen. Dann rutscht Opas Jackett vom Armaturenbrett, Frank hebt es auf und findet in der Seitentasche eine kleine Pistole. Das ist, erklärt der Großvater, „die brillante Miss Raven MP23 Mouse Gun Saturday Night Special, auch genannt Killerlady, weil eine Damenpistole mit Verzierung“.

Die beiden fahren weiter, als wäre fast nichts geschehen. Allerdings verändert sich der Tonfall der Erzählstimme. Wir erfahren, dass der ansonsten so brave Frank nicht nur den Unterschied zwischen Pistolen und Revolvern kennt, sondern auch weiß, was eine Uzi und was ein Makarow ist.  

„Über meine Waffenkenntnisse habe ich ihn nicht informiert. Er hätte sich gefreut. Nehme ich an. Aber das wollte ich nicht.“

Nach der Hälfte des Romans wirkt der jugendliche Ich-Erzähler mindestens so dämonisch wie der Ex-Knacki. Kein Wunder, dass es auf einer Raststätte zu einem Duell der beiden kommt. Mehr darf über diese zeitgemäße und äußerst bedrückende Wildwest-Story nicht verraten werden, deren Wendepunkte bis zuletzt überraschen.

Michael Köhlmeier ist nicht nur ein präziser Erzähler, er weiß auch mit Genre-Motiven zu spielen. „Frankie“ ist ein Familienroman mit Thriller-Elementen und grotesken Roadmovie-Szenen. Im Mittelpunkt der perfekt gebauten Geschichte von gerade mal 200 Seiten steht die Frage nach Verantwortung und Schuld. „Warum tust du, was du tust?“ fragt Frank seinen Großvater einmal, aber der möchte sich mit Kausalzusammenhängen nicht abgeben.

„Ich bin dahintergekommen, dass wir nicht etwas aus irgendeinem Grund tun. (…) Wir tun etwas. Fertig. Wir tun es, weil wir es tun. (…) Eine wirklich gescheite Justiz würde sagen: Er hat es getan. Fertig. Ab ins Loch mit ihm! Kein Warum, kein Weil. Er hat getan. Fertig, aus.“

Der brachiale Existenzialismus, den der Großvater vertritt, führt immerzu ins Verderben. Denn wer nicht nach Gründen fragt, kann weitere Verbrechen nicht verhindern. Frank möchte sich aus dem familiären Zwangskorsett lösen, das nicht nur vom Großvater, sondern auch seinen geschiedenen Eltern vorgegeben wird. In jeder Rebellion, in jedem Erwachsenwerden aber steckt auch Gewalt, die sowohl in die Freiheit als auch ins Gefängnis führen kann. Das sind die Lehren des parabelhaften Romans, mit dem Österreichs überragender Stilist Michael Köhlmeier abermals beweist, dass er vom intellektuellen Monumentalbuch bis zum kleineren Genrestück alle literarischen Formen beherrscht.

Das zeigt sich wie immer bei Köhlmeier in der sprachlichen Ausgestaltung: Passend zum literarischen Stoff findet er stets die angemessene Ästhetik. Hatte sich im Vorgängerroman „Matou“ noch eine hochintelligente Katze durch die Jahrhunderte gesponnen, überzeugt Köhlmeier in „Frankie“ mit einer reduzierten, aber nie gewollt jugendlichen Rollenprosa. In den schroffen Dialogen offenbart sich sein Gespür für jene Figuren, die gerade in ihren geheimnisvollsten Momenten plausibel sind.

Michael Köhlmeier erklärt, moralisiert oder psychologisiert nicht. Vielmehr sucht er mit literarischen Mitteln noch im Abgrund nach einer Essenz des Humanen. Diesem Buch wünscht man sich ein möglichst breites Publikum; es ist im besten Sinn ein All-Age-Roman. Ein Text für Jung und Alt, hätte man früher gesagt. Moderne Literatur, die keinen Moden folgt. Und die Fragen aufwirft, die auch übermorgen noch relevant sind.

Buchkritik Michael Köhlmeier: Matou

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Rezension von Jerome Jaminet.
Hanser Verlag, 960 Seiten, 34 Euro
ISBN 978-3-446-27079-4

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Ein Autor erzählt tradierte Geschichten nach, ein Philosoph zeigt, welche Geheimnisse der menschlichen Existenz sie auch für heutige Leser bereithalten.
Rezension von Oliver Pfohlmann.

Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-26402-1
224 Seiten
20 Euro

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Autor/in
Carsten Otte