Die langjährige Amerika-Korrespondentin der „ZEIT“, Kerstin Kohlenberg, zeigt in ihrem Buch „Das amerikanische Versprechen“ am Beispiel der Lebensgeschichten von drei Amerikanern, wie die eigene Biografie das Streben nach Glück bestimmt und wie unterschiedlich dieses Glück definiert wird.
Die US-Wahlen im November entwickeln sich zur Zitterpartie. Nicht nur für Amerika, sondern auch für Europa.
Kerstin Kohlenberg erzählt in ihrem Buch „Das amerikanische Versprechen“ anhand von drei Lebensgeschichten vom „Streben nach Glück in einem zerstrittenen Land“. Es sind Geschichten vom Rand der amerikanischen Gesellschaft in 27 Kapiteln, in denen Kohlenberg den zeitlichen Bogen von 1987 bis zur Gegenwart spannt.
Nichts scheint die drei Hauptfiguren zu verbinden: Der Krankenpfleger Stephen aus dem ländlichen Kentucky gehörte zu den Erstürmern des Kapitols im Jahr 2021. Der Schwarze Black-Lives-Matter-Aktivist Walter wächst in der New Yorker Bronx auf.
Die Latina Magali wird als Siebenjährige über die mexikanische Grenze nach Iowa geschmuggelt, wo ihre illegal eingewanderten Eltern in der Fleischindustrie arbeiten. Die Orte, an denen Kohlenbergs Protagonisten leben, spielen eine ebenso große Rolle wie die Herkunftsfamilien und die Zeitumstände.
Kentucky und die Opioid-Krise
Der Krankenpfleger Stephen ist der einzige weiße Protagonist im Buch. Der Sohn einer früh verstorbenen drogenabhängigen Mutter wächst in instabilen Familienverhältnissen auf; Hilfe durch ein unterstützendes Sozialsystem erfährt er nicht. Kerstin Kohlenberg nutzt immer wieder biografische Etappen ihrer Protagonisten, um den Blick auf das größere Ganze zu lenken.
Als abstrakten Fakt mag man sich solche Informationen nur schwer merken, aber verbunden mit Stephens deprimierender Familiengeschichte brennen sie sich ins Gedächtnis ein. Dass der junge Südstaatler im Januar 2021 schließlich die Absperrung zum Kapitol niederreißt, ist einer Kette von Zufällen geschuldet und seiner politischen Radikalisierung.
Kohlenbergs Reportagekunst ist es zu verdanken, dass wir uns vom Klischee des gewaltbereiten, stupiden Kapitolstürmers verabschieden können und den verlorenen Menschen Stephen sehen, dem das Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten nie eine wirkliche Wahl ließ.
Wahlkampf und Migration
Warum der Schwarze politische Aktivist Walter 2024 nicht mehr zur Wahl gehen will, ist besonders vor dem Hintergrund des aktuellen US-Wahlkampfs interessant. Die amerikanische Politik-Maschine wird von unvorstellbar hohen Geldsummen angetrieben, von denen sie aber auch abhängig ist.
Walters politische Karriere nährt nachhaltige Zweifel an einem System, in dem der Einfluss von Lobbygruppen eine heiße, käufliche Ware ist.
Wer die Bedeutung des Themas Migration im US-Wahlkampf verstehen will, wird den Weg der jungen Latina Magali von der Illegalität in die amerikanische Mittelschicht mit Spannung verfolgen.
Geschickt verknüpft die Autorin die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie in der Kleinstadt Denison mit der Rolle der Gewerkschaften und der Einwanderungsgeschichte von Magalis mexikanischer Familie. Kerstin Kohlenberg spricht vom „amerikanischen Evangelium des Wohlstands“, und Magali macht es sich zu eigen.
Ein wichtiges Aufklärungsbuch über die USA
Kerstin Kohlenberg hat ein wichtiges Aufklärungsbuch über Amerika geschrieben, in dem sie mit einer Mischung aus Distanz und Empathie auf ein Land blickt, das uns zunehmend fremd geworden ist. Das Ergebnis der anstehenden Wahlen kennen wir nicht. Aber wer Kohlenbergs Buch liest, wird es einordnen und besser verstehen können.
Mehr Literatur zu den USA
Lesung und Diskussion Stefanie Sargnagel: Iowa. Ein Ausflug nach Amerika
Die talentierteste Ulknudel der österreichischen Literatur macht einen Ausflug nach Amerika, wo sie an einem College kreatives Schreiben unterrichten soll. Detailversessen und kommentierfreudig betrachtet sie ihre Umgebung.