Ausstellung

Leidenschaftlicher Briefeschreiber – Der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld

Stand
Autor/in
Silke Arning
Moderatorin Silke Arning

Der einflussreiche Verleger Siegfried Unseld hat mit dem Suhrkamp-Programm mehr als 50 Jahre lang das kulturelle Leben in Deutschland geprägt. Mehr als 50.000 Briefe Unselds liegen heute im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, die einen spannenden Blick hinter die Kulissen eines renommierten Literaturbetriebes werfen.

Ein beinharter Lektor

Auch wenn auf seinem Schreibtisch gleich drei Diktiergeräte stehen – der Griff zu Füller oder Schreibmaschine gehört für Siegfried Unseld zur täglichen Routine. Das ist Geschäftskorrespondenz einerseits. Sehr oft aber beschreibt er in seitenlangen Briefen neue Projekte und Ideen oder setzt sich mit seinen Autoren intensiv auseinander.

"Siegfried Unseld, der Verleger" im Literaturarchiv Marbach
Schreibtisch von Siegfried Unseld.

Er war ein beinharter Lektor, meint denn auch Jan Bürger, Leiter des Unseld-Archivs am Deutschen Literaturarchiv Marbach: „Bei Ingeborg Bachmann oder bei Max Frisch oder tatsächlich auch bei wissenschaftlichen Autoren. Wo er Peter Szondi auseinandernimmt und sagt: die und die Sachen könnten sie noch verlängern, dann wird das Buch lesbarer.“

„Hesse kennt mich persönlich“

An Selbstbewusstsein hat es schon dem jungen Siegfried Unseld nicht gemangelt. Im Oktober 1951 empfiehlt er sich in einem Schreiben an Peter Suhrkamp mit den Worten „Hesse kennt mich persönlich“ und schlägt vor, eine Festschrift zu Hesses 75. Geburtstag übernehmen zu können, „dessen illustre Mitarbeiter allein schon für sich sprechen würden.“ 

Unseld ist der perfekte Networker, der seine Netze in alle Richtungen auswirft. Nicht nur Hesse, Brecht oder Max Frisch stehen auf seiner Korrespondenz-Liste, er sucht Kontakt auch zu jüngeren Gegenwartsautoren wie Martin Walser oder Hans Magnus Enzensberger.

Briefwechsel mit Thomas Bernhard

Mit dem österreichischen Scharfzüngler Thomas Bernhard führt er einen erfrischenden Briefwechsel voller Höhen und Tiefen. „Nie habe es einen wichtigeren Verleger gegeben“, jubelt Bernhard im Oktober 1987, um nur einen Monat später zu granteln:

„abgesehen davon, dass in jedem Band wieder steht: lebt in Ohlsdorf … was ich mir schon so oft als perverse Umschlagsdummheit verbeten haben, sind unter Prosa DER WELTVERBESSERER und AM ZIEL aufgeführt: Ich glaube, mehr braucht es nicht, um sich angewidert von dieser verlegerischen Schlamperei abzuwenden.“

Das Buch als Gesamtkunstwerk

Dabei legt gerade Siegfried Unseld größten Werk auf das Buch als ein Gesamtkunstwerk. Das Manuskript muss stimmen, aber auch Papierqualität, Typographie und Umschlaggestaltung sollen durch ein besonderes ästhetisches Konzept überzeugen.

Intellektuelle und gestalterische Arbeit auf Augenhöhe. Mit dem Designer Willy Fleckhaus entwickelt Unseld ab Ende der 1950er Jahre einen modernen Auftritt für mehrere Suhrkamp-Reihen. Die Einbände bekommen ein buntes Outfit im Regenbogen-Spektrum. Im Buchladen allerdings bleibt dieser optische Effekt auf der Strecke, wie der Verleger bei einem Besuch in der damaligen Stuttgarter Buchhandlung Wittwer feststellen muss.

„Er schrieb der Buchhändlerin einen Brief: Liebe Frau Konz. Ich finde ihre Buchhandlung wunderbar. Aber Sie dürfen diese Bibliothek, die Edition Suhrkamp, nicht so aufstellen, da geht die ganze Design-Idee flöten, weil das ebenso ein Kuddelmuddel an Farben wird. Man muss es in der Reihenfolge des Erscheinens aufstellen, so dass es eben dieses unendliche Band gibt, diesen Regenbogen, der da entsteht.“ 

 Verleger und Geschäftsmann gleichermaßen

Doch gerade die neuen Design-Ideen kommen nicht überall gut an. Max Frisch sieht sich genötigt, seinem Verleger wegen der Präsentation der Werke ordentlich ins Gewissen zu reden. 1966 warnt er Unseld in einem langen Brief vor dem „Primat des Kommerziellen“, vor einer Ausweitung über die Literatur-Verwertung hinaus, nämlich dass der Name Suhrkamp durchaus „eine Qualitätsbezeichnung auch im Weinhandel“ sein könne. „Kommen Sie sich nicht zuweilen wie ein Industrieller vor?“ fragt Frisch.

Unseld war Verleger und Geschäftsmann gleichermaßen, betont Jan Bürger vom Deutschen Literaturarchiv Marbach. „Wenn Siegfried Unseld, der ja das Glück hatte mit guten, mit anspruchsvollen Autoren wie Hermann Hesse oder Isabel Allende ordentlich Geschäft zu machen – immer wenn ihm etwas gelungen ist und die Abschlüsse gut waren, hat er sich überlegt, man könne jetzt doch einmal diese anspruchsvolle Übersetzung oder diese Werkausgabe realisieren.“

Einsatz für die deutsch-jüdische Dichtung

Dazu gehört auch sein Einsatz für die deutsch-jüdische Dichtung. Mit großem, auch brieflichem Engagement überzeugte er Nelly Sachs und Paul Celan zu Suhrkamp zu kommen.

 "Siegfried Unseld, der Verleger" im Literaturarchiv Marbach
Brief Siegfried Unselds vom 22. Dezember 1948 an Hermann Hesse.

60 ausgewählte Briefe zeigt die Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum der Moderne, die die fast 50jährige Verlagstätigkeit dieses Mannes umreißt. Das ist schlicht präsentiert, eine typische Vitrinenausstellung. Doch spektakulär ist natürlich das Personal, das in diesen Briefen aufscheint und das einen ebenso aufschlussreichen wie unterhaltsamen Einblick in den bundesrepublikanischen Literaturbetrieb erlaubt.

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