Unter der Regie von Blitz Bazawule ist Alice Walkers Romanklassiker „Die Farbe Lila“ zum zweiten Mal verfilmt worden, jetzt als Musical. Für ihren Roman gewann Walker als erste Schwarze Frau den begehrten Pulitzer Prize. Auch heute gilt er als Meisterwerk der amerikanischen Literatur, gerade in der Schwarzen Community, und ist zugleich einer der am meisten beanstandeten.
Briefe an Gott gegen das Alleinsein
Georgia im frühen 20. Jahrhundert: Die junge Celie beginnt, Briefe an Gott zu schreiben. In einfachen Worten entfaltet sie das Elend ihres eigenen Lebens. Der Vater missbraucht sie regelmäßig und Celie erduldet es, um ihre jüngere Schwester Nettie vor seinem Zugriff zu beschützen.
Zwei Kinder bringt Celie zur Welt, bevor der Vater sie an einen verwitweten Farmer verheiratet. Bei ihm soll sie nun den Haushalt führen, die Kinder erziehen und auf dem Feld schuften. Auch hier erduldet Celie ihr Schicksal und die Prügel, Erniedrigungen und Vergewaltigungen durch ihren Mann, den Celie nur „Mister“ nennt.
Als ihre Schwester Nettie zu ihnen zieht, scheint sich die Welt für einen Moment zu bessern. Doch als sich Nettie den Avancen des Schwagers widersetzt, wirft er sie vor die Tür. Nettie verspricht, Celie zu schreiben. Briefe, die Celie erst Jahre später erhalten wird.
Einer der größten amerikanischen Romane der letzten 50 Jahre
Schwer zu bestreiten, dass „Die Farbe Lila“ einer der einflussreichsten amerikanischen Romane der letzten 50 Jahre ist, vielleicht sogar einer der einflussreichsten überhaupt. Seine Autorin Alice Walker gehört zu den bedeutendsten Autorinnen der afroamerikanischen Literatur, sie steht in einer Reihe mit Toni Morrison und Maya Angelou.
Vieles von dem Schlechten, was den Frauen in Walkers 1982 erschienenem Roman geschieht, beruhe auf Erzählungen von wahren Geschichten aus ihrer eigenen Familie, erzählt Walker in Interviews. Ihre Großmutter sei von einem Mann getötet worden, der sie zur Geliebten nehmen wollte. „Die Farbe Lila“ habe sie aus dem Wunsch heraus geschrieben, eine intimere Beziehung mit ihren Vorfahren aufzubauen.
Rüdiger Suchsland bespricht die Neuverfilmung:
Mit ihren Protagonistinnen gab Walker ihren Ahnen das glückliche Ende, das vielen von ihnen im realen Leben verwehrt blieb. Celie, die sich zu Beginn des Buches in ihr Schicksal ergeben hat, gelingt durch die Begegnung mit starken Schwarzen Frauen die Befreiung aus der Unterdrückung durch die Männer in ihrem Leben, Kirche und gesellschaftliche Zwänge.
Frühe kollektive Erinnerung für Schwarze Frauen
Dass Alice Walker 1983 als erste Schwarze Frau den Pulitzer Preis gewinnt, damit habe sie selbst am wenigsten gerechnet, so die Autorin. Ist der Roman schon zu diesem Zeitpunkt ein Erfolg, macht ihn die Verfilmung von Stephen Spielberg zwei Jahre später dank der starken Besetzung mit Whoopi Goldberg, Danny Glover und Oprah Winfrey zum kulturellen Phänomen.
Zwar wurde die stereotype Darstellung der Männer als Gewalttäter kritisiert und wird es bis heute, doch gerade für afroamerikanische Frauen unter 40 wurde „Die Farbe Lila“ zum Schlüsselwerk einer afroamerikanischen, weiblichen Erfahrung.
Es sei eines der frühesten Beispiele kollektiver literarischer Erinnerung für Schwarze Frauen, sagt etwa die US-Medienwissenschaftlerin Samantha N. Sheppard im Gespräch mit dem amerikanischen Nachrichtenportal Vox. Zitate aus dem Film hätten gerade unter Schwarzen Frauen einen hohen Stellenwert. Sie zeugen von der sentimentalen Verwurzelung der Erzählung im kollektiven Gedächtnis.
Noch heute in Amerikas Bibliotheken beanstandet
Dass dabei ausgerechnet Walkers Roman mit seinen düsteren Themen – Inzest, häusliche und sexuelle Gewalt, Erniedrigung – zum Identifikationswerk für Schwarze Frauen in Amerika geworden ist, verwundert nicht. Nicht in einem Land, dessen Schwarze Bewohner ihre Familiengeschichte über Generationen auf das Erdulden jahrhundertelanger Ungerechtigkeit zurückführen und wo noch heute rassistischen Verbrechen wie die Tötung von George Floyd im Mai 2020 trauriger Alltag sind.
In diesem Land polarisiert Alice Walkers Roman auch heute noch: Die drastischen Gewaltschilderungen und die homoerotische Beziehung zwischen Celie und der Jazzsängerin Shug Avery sorgen immer wieder für Aufforderungen, „Die Farbe Lila“ aus öffentlichen Bibliotheken zu verbannen. Die American Library Association führt das Buch auf Platz 50 der am häufigsten beanstandeten und verbannten Büchern der vergangenen Dekade.
Alice Walker polarisiert heute mit Antisemitismus
Heute polarisiert Alice Walker selbst durch ihre politischen Positionen: Sie betrachtet den Staats Israel als ein Apartheitsregime, gab in der Pandemie antijüdischen Verschwörungserzählungen eine Plattform und solidarisierte sich jüngst mit „Harry Potter“-Autorin JK Rowling im Kampf gegen die Rechte von trans Frauen.
Und trotzdem sollte man „Die Farbe Lila“ lesen. Die Kraft, die Celies Briefen innewohnt, ist auch über vierzig Jahre nach der Veröffentlichung des Romans ungebrochen. Er bleibt ein kultureller Prüfstein amerikanischer Schwarzer Kultur, die auch für deutsche Leserinnen und Leser ebenso wie Kinogängerinnen und Kinogänger das Wiederentdecken lohnt.
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