Buchkritik

Clemens Tangerding – Rückkehr nach Rottendorf

Stand
Autor/in
Eberhard Falcke

Wo findet die soziale Wirklichkeit statt? Dort, wo analysiert, dramatisiert und geredet wird oder dort wo gearbeitet und gelebt wird? Clemens Tangerding hat das Gefühl in zwei Welten zu leben, im medialen „Debattenplaneten“ einerseits und in der Erfahrungswirklichkeit andererseits. Davon handelt sein Buch „Rückkehr nach Rottendorf. Von Rechten, Linken und anderen normalen Leuten“.

Dass die Gesellschaft gespalten sei, ist zu einer Standardklage geworden. Jedes Weltproblem, jeder Konflikt, jede Krise reißt neue Gräben auf, gleich ob es sich um Klima, Migration, Ukraine, Antisemitismus oder Corona handelt. Schnell werden Fronten gebildet, die sich unversöhnlich gegenüberstehen.

Den Gegnern die Zähne zu zeigen, gilt als Tugend, Gesprächsbereitschaft als sträfliche Schwäche. Diese Stimmung bereitet Clemens Tangerding großes Unbehagen, darüber hat er sein Buch geschrieben. Es trägt den Titel „Rückkehr nach Rottendorf. Von Rechten, Linken und anderen normalen Leuten“. 

Die Debattenräume und die Wirklichkeit 

Tangerding ist als Historiker in der politischen Bildung tätig und betreut Geschichtsprojekte über den Nationalsozialismus in Städten und Gemeinden. Dabei hat er beobachtet: 

Ich fühle mich, als würde ich in zwei verschiedenen Welten leben. Die eine betrete ich, sobald ich im Zug mein Handy einschalte und mir Talkshows oder Bundestagsdebatten ansehe. Die andere Welt ist belebt von Menschen, die sich in irgendeiner Art und Weise in ihrem Viertel oder Dorf engagieren.

Wie ein roter Faden zieht sich eine Grundthese durch Tangerdings Buch, die sich so zusammenfassen lässt: Die aufgeregten politischen und medialen Debatten mit ihrem oftmals hochtönenden Gesinnungseifer reden an der Lebenswirklichkeit der Menschen im Lande weitgehend vorbei.  

Lauter Faschisten? 

Diesen Befund illustriert Tangerding mit zahlreichen Beispielen aus seinem beruflichen Alltag, in dem er viel organisatorische und kommunikative Basisarbeit leistet.

So hat er bei seinen Einsätzen für historische Aufklärung und demokratisches Zusammenwirken immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Frauen und Männer, die ihn bei seinen Projekten tatkräftig unterstützt haben, nicht einfach als „Faschisten“ abgestempelt werden können, wenn sie mit der AfD sympathisieren.  

Würde ich gefragt werden, welche Trends ich im Konfliktverhalten der Menschen sehe, würde meine Antwort eindeutig ausfallen: Nichts ist derzeit so beliebt wie Distanzierung.

Obwohl ständig an Dialogbereitschaft appelliert wird, konstatiert Tangerding einen Mangel an Verständigung und einen Überschuss an Brandmauern und Gesprächsverweigerung.  

Zurück zur sozialen Basis 

Ohne große Theorien aber mit zahlreichen Details bietet er in seinem essayistischen Erfahrungsbericht einen vielfältigen Befund über die Stimmungen in den ländlichen Regionen jenseits der urbanen Zentren.

Dafür steht die „Rückkehr nach Rottendorf“, den Heimatort des Autors, und dieses Eintauchen in konkrete Erfahrungswelten macht die Stärke des Buches aus. Der Autor schreibt: 

Ich möchte uns allen empfehlen, die Lautstärke der Debatte ab und zu herunterzudrehen. Und zurückzukehren an die Orte, wo die leiseren Töne der persönlichen Erfahrungen stattfinden: in unsere Straße, unser Viertel, auf unsere Arbeitsstelle, in unseren Verein und in unser Wohnzimmer.

Zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltungen plädiert Tangerding für eine Rückkehr aus den abgehobenen Debattenräumen, wo gerne von „den Menschen draußen im Lande“ fabuliert wird, zurück zur sozialen Basis, kein neuer aber nach wie vor bedenkenswerter Vorschlag.

Denn schließlich sind Demokratie und Pluralismus zu wertvoll, um sie allein den Schaukämpfen und Spiegelfechtereien auf den medialen Bühnen der Republik zu überlassen. 

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